Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeldes bei Verstoß gegen die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten

 

Orientierungssatz

1. Der Grundsicherungsberechtigte begeht nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB 2 eine Pflichtverletzung, wenn er die in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt festgelegten Pflichten nicht erfüllt, ohne einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweisen zu können.

2. Erforderlich ist, dass der Leistungsempfänger mit der Eingliederungsvereinbarung konkret, vollständig, richtig, verständlich und zeitnah über die Rechtsfolgen einer Verletzung der vereinbarten Bemühungen belehrt worden ist.

3. Wichtige Gründe können besondere Umstände, wie familiäre oder gesundheitliche Probleme oder eine Diskriminierung am aufgegebenen Arbeitsplatz sein, die bei objektiver Betrachtung der geforderten Mitwirkung entgegenstehen. Der wichtige Grund muss objektiv vorliegen (BVerfG Urteil vom 5. 11. 2019, 1 BvL 7/16).

4. Die Sanktion nach § 31a SGB 2 ist verfassungsgemäß. Sie verstößt insbesondere nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

5. § 31b Abs. 1 S. 3 SGB 2 ist in den Fällen des § 31 Abs. 1 SGB 2 mit folgender Maßgabe anzuwenden: wird die Mitwirkungspflicht erfüllt oder erklärt sich der Leistungsberechtigte nachträglich und ernsthaft bereit, seinen Pflichten nachzukommen, so kann der Leistungsträger ab diesem Zeitpunkt die Leistung wieder in vollem Umfang erbringen. Die Minderung darf ab diesem Zeitpunkt nicht länger als einen Monat andauern.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.02.2022; Aktenzeichen B 4 AS 203/21 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. August 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu zwei Dritteln zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Minderung von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. April 2013 bis 30. Juni 2013 und für die Zeit vom 1. Februar 2014 bis 30. April 2014 in Höhe von noch jeweils 30 v. H. der Regelleistung.

Bereits mit Bescheid vom 12. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2012 hatte der Beklagte gegenüber dem Kläger eine Minderung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 monatlich um 30 v. H. des maßgebenden Regelbedarfs (112,20 Euro monatlich) festgestellt, da der Kläger in seiner Selbstanzeige vom 18. Juli 2012 mitgeteilt habe, weder im Mai 2012 noch im Juni 2012 Eigenbemühungen um Arbeit entsprechend seiner Verpflichtung in der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom 2. Mai 2012 unternommen zu haben. Dagegen ist beim Sozialgericht Berlin die unter dem Aktenzeichen S 189 AS 4858/18 WA registrierte Klage (früher S 189 AS 33311/12) anhängig. Die gegen die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom 2. Mai 2012, geltend für die Zeit vom 2. Mai 2012 bis 2. November 2012, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2012 bei Sozialgericht Berlin erhobene Klage (S 34 AS 22401/12) hatte der Kläger hingegen im Mai 2015 zurückgenommen. Er begründete dies damit, dass es ihm um die Sanktionen gehe.

Dem im Februar 1957 geborenen Kläger, der seit 2005 als Berater und Dozent selbständig tätig ist und der seit 1. Januar 2006 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, waren auf dessen Weiterbewilligungsantrag mit Bescheid vom 2. Januar 2013 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 30. Juni 2013 in Höhe von 754,96 Euro monatlich (382,00 Euro für den Regelbedarf, 372,96 Euro für Unterkunft und Heizung) bewilligt worden.

Unter dem 18. Januar 2013 hatte der Beklagte gegenüber dem Kläger den Ersatz der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt für die Zeit vom 18. Januar 2013 bis 17. Juli 2013, soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart werde, verfügt. Als Ziel war die Verringerung der Hilfebedürftigkeit festgelegt. Als Leistungen des Beklagten waren u. a. neben der Unterbreitung von Vermittlungsvorschlägen die Unterstützung von Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen und von angemessenen und nachgewiesenen Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen sowie zur Unterstützung seiner hauptberuflichen Selbständigkeit die Teilnahme an einer Maßnahme zur Beratung und Kenntnisvermittlung, sofern der hauptberufliche Charakter der selbständigen Tätigkeit als Dozent festgestellt worden ist, vorgesehen. Als Verpflichtung des Klägers waren die Übersendung einer detaillierten Auflistung seiner Aktivitäten im Rahmen der selbständigen Tätigkeit als Dozent und Referent im Zeitraum vom 1. Juli 2012 bis 31. Dezember 2012 bis spätestens 15. Februar 2013 mit dem Ziel auszuwerten, in welchem Umfang eine Anerkennung als berufliche Tätigkeit möglich ist, und die Überse...

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