Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässiger Einspruch gegen Versäumnisurteil bei schuldhafter Versäumung der Einspruchsfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Rechtsanwalt hat selbstständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird; das gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt den Fristablauf ursprünglich selbst berechnet oder ob er die routinemäßige Fristberechnung und Fristenkontrolle einer zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen hat.

2. Die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung selbstständig zu überprüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt; diese Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristenkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen.

3. Die Pflicht, den Fristablauf selbstständig zu prüfen, besteht auch dann, wenn die Akte dem Prozessbevollmächtigten nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird, denn die Bearbeitung ist erst dann abgeschlossen, wenn der fristgebundene Schriftsatz vom Rechtsanwalt unterzeichnet und zur Weiterleitung an das Gericht freigegeben worden ist.

4. Der Prozessbevollmächtigte kann sich nicht damit entlasten, dass er seine Kanzleiangestellte bei Vorlage des von ihr geschriebenen Einspruchs gefragt hat, wann die Frist abläuft, da er sich auf deren Antwort: "Fristablauf ist erst morgen" nicht verlassen darf.

 

Normenkette

ArbGG § 59; ZPO §§ 233, 85 Abs. 2; ArbGG § 59 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Trier (Entscheidung vom 20.07.2015; Aktenzeichen 5 Ca 739/15)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 20. Juli 2015, Az. 5 Ca 739/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche wegen Annahmeverzugs und Urlaubsabgeltung.

Der Kläger ist seit 1990 bei der Beklagten als Lkw-Fahrer beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20.06.2013 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Das Arbeitsgericht Trier hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 15.01.2014 (4 Ca 836/13) stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung der Beklagten mit rechtskräftigem Urteil vom 14.08.2014 (3 Sa 79/14 - [...]) zurückgewiesen. Seit dem 01.09.2014 wird der Kläger wieder beschäftigt.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger - zuletzt - Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 21.06.2013 bis zum 31.08.2014 sowie Urlaubsabgeltung für 2013. Von seiner Gesamtforderung iHv. € 60.268,36 brutto bringt er das Arbeitslosengeld iHv. € 17.619,84 netto und Zwischenverdienst iHv. € 6.478,66 netto in Abzug.

Weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Kammertermin vom 03.06.2015 keinen Sachantrag gestellt hat, hat das Arbeitsgericht Trier ein klageabweisendes Versäumnisurteil (5 Ca 1233/14) erlassen. Das Versäumnisurteil ist dem Prozessbevollmächtigten am 11.06.2015 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 19.06.2015, beim Arbeitsgericht am selben Tag eingegangen, hat er Einspruch eingelegt. Nachdem ihn das Arbeitsgericht mit Schreiben vom 22.06.2015 auf die Versäumung der Einspruchsfrist hingewiesen hat, beantragte er mit Schriftsatz vom 06.07.2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Kläger erstinstanzlich vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses am 11.06.2015 eine Wiedervorlage von einer Woche verfügt. Die Notfrist habe die von seinem Rechtsanwalt selbst ausgebildete und bislang stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte O. in einem besonderen Fristenkalender eingetragen sowie als "rote" Frist in der Handakte vermerkt. Die Einspruchsbegründung habe sein Rechtsanwalt am 17.06.2015 diktiert, nachdem er in der Kanzlei noch einen Beleg zum Arbeitslosengeldbezug abgegeben habe. Frau O. habe den Schriftsatz am 18.06.2015 geschrieben und seinem Rechtsanwalt am Nachmittag vorgelegt. Sein Rechtsanwalt habe Frau O. bei Vorlage des Diktats gefragt, wann die Frist ablaufe. Sie habe ihm geantwortet: "Fristablauf ist erst morgen". Hierauf habe sich sein Rechtsanwalt verlassen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.07.2015 (5 Ca 739/15) den Einspruch gegen das Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Der Kläger habe die einwöchige Einspruchsfrist versäumt, sein Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet. Gegen das am 29.07.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 27.08.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 29.10.2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 28.10.2015 beg...

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