Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzumutbarkeit der Beschäftigung einer Person in einer Einrichtung i.S.d. § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG aus Arbeitgebersicht bei fehlender Beibringung eines Nachweises nach § 20a Abs. 2 IfSG

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Arbeitgeber, der eine Einrichtung iSd. § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG betreibt, kann es unzumutbar sein, eine Person zu beschäftigen, welche keinen Nachweis nach § 20a Abs. 2 IfSG vorlegt.

 

Normenkette

BGB § 615; IfSG § 20a

 

Verfahrensgang

ArbG Stade (Entscheidung vom 12.01.2023; Aktenzeichen 1 Ca 246/22)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 12.01.2023 - 1 Ca 246/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Annahmeverzugslohnansprüche bzw. Vergütung für die Zeit vom 14.03.2022 bis zum 31.12.2022.

Der Kläger ist bei der Beklagten unter Berücksichtigung eines Betriebsübergangs seit dem 01.06.2019 als Pflegefachkraft im Seniorenzentrum P.J. mit einem Bruttomonatsgehalt iHv. zuletzt 2.906,21 € auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22.05.2019 (Anlage K1 zur Klageschrift, Blatt 5 ff. der Akte) beschäftigt.

Der Kläger ist bei der Beklagten unter Berücksichtigung eines Betriebsübergangs seit dem 01.06.2019 als Pflegefachkraft im Seniorenzentrum P.J. mit einem Bruttomonatsgehalt iHv. zuletzt 2.906,21 € auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22.05.2019 (Anlage K1 zur Klageschrift, Blatt 5 ff. der Akte) beschäftigt.

Das P.J. ist eine vollstätionäre Einrichtung zur Betreuung und Unterbringung älterer und pflegebedürftiger Menschen.

Der Kläger ist nicht gegen den Corona-Virus SARS-CoV-2 geimpft. Am Anfang der Corona-Pandemie, nach Erinnerung des Klägers im Kalenderjahr 2020, war er an Corona erkrankt. Aufgrund eines im Dezember 2021 erlittenen Mittelfußbruchs war der Kläger bis zum 03.05.2022 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und erhielt vom 24.01.2022 bis zum 03.05.2022 Krankengeld.

Die Beklagte wies bereits mit Schreiben vom 16.12.2021 auf die ab dem 16.03.2022 geltende Gesetzeslage hin. Hier heißt es ua.: "Wer ab diesem Tag keine vollständige Corona-Schutzimpfung vorweisen kann, darf bundesweit in keiner Pflegeeinrichtung mehr beruflich tätig sein" (Anlage B1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 19.09.2022, Blatt 43 ff. der Akte).

Mit Schreiben vom 14.03.2022 (Anlage K2 zur Klageschrift, Blatt 17 f. der Akte) stellte die Beklagte den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:

"...

hiermit stellen wir Sie, beginnend ab dem 16.03.2022, von Ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis auf weiteres widerruflich frei. Nach derzeitiger Gesetzeslage erfolgt diese Freistellung jedoch nach heutigem Stand längstens bis zum 31.12.2022. Hintergrund ist die für uns als Arbeitgeber mit Ablauf des 15.3.2022 zwingend gesetzlich vorgeschriebene Einhaltung der Impfpflicht aller Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen.

Diese Freistellung erfolgt ohne Fortzahlung Ihres Arbeitsentgeltes.

..."

Am 16.03.2022 erfolgte die Meldung der Beklagten über die fehlende Vorlage eines Nachweises durch den Kläger an das Gesundheitsamt Stade (Anlage B10 zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.09.2022, Blatt 134 der Akte). Mit Schreiben vom 21.03.2022 sprach das Gesundheitsamt gegenüber der Beklagten die Empfehlung aus, nach Möglichkeit von einem patientennahen Einsatz des Klägers bis zur abschließenden Klärung abzusehen. Der Einsatz in einem Bereich, in welchem jeglicher Kontakt zu den gefährdeten Personen und zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgeschlossen werden könne, sei weiterhin möglich (vgl. Anlage B11 zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.09.2022, Blatt 135 der Akte).

Die Beklagte beschäftigte in ihren Einrichtungen seit dem 16.03.2022 nur noch Personen, die geimpft oder genesen sind oder bei denen eine Kontraindikation gegen eine Impfung besteht.

Der Kläger hat die Zahlung der Vergütung für den Zeitraum 14.03.2022 bis zuletzt 31.12.2022 und jeweils monatliche Abrechnungen begehrt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Freistellung betreffe lediglich seine arbeitsvertragliche Pflicht, seine Arbeitsleistung anzubieten und zu erbringen. Sie befreie die Beklagte nicht davon, das vertraglich geschuldete Entgelt zu zahlen. Solange das Gesundheitsamt kein Betretungs- oder Berufsverbot ausspreche, habe die Beklagte ihrer Pflicht zur Beschäftigung nachzukommen. Auch eine Impfung schütze nicht vor einer Ansteckung oder Übertragung des Virus, sondern lediglich vor einem schweren Krankheitsverlauf. Eine hinreichende Sicherheit und Schutz vulnerabler Gruppen ließe sich nur durch eine engmaschige Testung erreichen. Aufgrund ihres vertragswidrigen Verhaltens würde die Beklagte ihm auch unter dem Gesichtspunkt der Schadensersatzverpflichtung auf entgangenen Arbeitslohn haften.

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.312,32 € brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 26.08.2022 zu zahlen;
  2. dem Kläger Abrechnungen über ...

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