Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung wegen Drohung mit Krankschreibung. Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Eigenkündigung des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, falls die Schichteinteilung nicht wie gewünscht erfolgt, stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.

2. Dennoch kann die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen, wenn die Drohung mit der Krankschreibung auf einem innerbetrieblichen Konflikt zwischen Arbeitnehmern beruhte, auf den der Arbeitnehmer bereits mit einer Eigenkündigung reagiert hat, und das Arbeitsverhältnis deshalb in Kürze endet.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1, § 241 Abs. 2; GewO § 106; BGB § 626 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 14.10.2020; Aktenzeichen 4 Ca 904/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 14.10.2020 - 4 Ca 904/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die auf die Drohung mit einer Krankschreibung gestützt wird.

Die im November 1987 geborene Klägerin nahm am 01.06.2010 bei der Beklagten, die eine Bäckerei mit vier Filialen sowie einem Verkaufswagen betreibt und rund 40 Arbeitnehmer beschäftigt, eine Tätigkeit als Verkäuferin auf. Der Arbeitsvertrag vom 17./18.05.2020 sieht eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 36 Stunden bei einer 6-Tage-Woche vor. Die Beklagte hat sich im Arbeitsvertrag vorbehalten, die Klägerin im Bedarfsfall in anderen Abteilungen, ggf. auch an einem anderen Ort einzusetzen. Der Stundensatz betrug zuletzt € 9,31 brutto, was ein durchschnittliches Monatsbruttogehalt von € 1.300,- ergab.

Die Klägerin ist verheiratet und hat ein minderjähriges Kind, das im Sommer 2020 die Schulstartergruppe "E." der örtlichen DRK-Kindertagesstätte besuchte. Die Schulstartergruppe befindet sich in einer Außenstelle, die von 06:30 bis 17:00 Uhr geöffnet ist, während in dem etwa 1 km entfernten Haupthaus eine Betreuung bis 18:00 Uhr angeboten wird. Der Ehemann der Klägerin ist in einem Baubetrieb beschäftigt und arbeitet auf verschiedenen Baustellen.

Die Klägerin war zuletzt in der Filiale am Markt, in der sich ein Cafè befindet, eingesetzt. Dort kam es vermehrt zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitarbeiterinnen. Diese Spannungen waren Anfang Juni 2020 Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Geschäftsführer sowie der Filialbetreuerin, Frau K., und der Klägerin.

Die Filiale am Markt war im Juni 2020 montags bis freitags von morgens 05:30 Uhr bis abends 16:30 Uhr und samstags von 05:30 bis 12:30 Uhr geöffnet. Im Ferienmonat Juli 2020 verlängerte die Beklagte die abendliche Öffnungszeit montags bis freitags auf 17:30 Uhr.

Am 09.06.2020 bat die Klägerin per WhatsApp ihre Filialleiterin, Frau P., sie in der Woche ab 20.07. zur Frühschicht einzuteilen. Dieser Bitte kam die Filialleiterin jedoch nicht nach. Während der Dienstplan in den ersten beiden Juliwochen noch ein regelmäßiges Arbeitsende um 16:30 Uhr vorsah, sollte die Klägerin in der Woche vom 20. - 25.07.2020 von Montag bis Freitag jeweils bis 17:30 Uhr arbeiten. Als die Klägerin am 19.06.2020 den Dienstplan für Juli 2020 erhielt, sandte sie um 12:04 Uhr und 12:05 Uhr die folgenden WhatsApp-Nachrichten an ihre Filialleiterin:

"Die Woche vom 20 mach ich definitiv

keine spät dann bin ich krank

geschrieben"

"Ich habe dich um Frühschicht gebeten"

Um 12:20 Uhr telefonierte sie mit der Filialbetreuerin, um eine Änderung des Dienstplans zu erreichen. Als die Filialbetreuerin darauf nicht einging, kündigte die Klägerin eine Krankschreibung in der Woche vom 20. - 25.07.2020 an.

Der Geschäftsführer erfuhr von diesen Vorgängen am 22.06.2020. Die Klägerin ging zunächst ihrer Arbeit weiter nach. Am 29.06.2020 suchte sie einen Arzt auf, der ihr mit der Diagnose F 32.9 G (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 29.06. - 04.07.2020 ausstellte. Diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übergab die Klägerin dem Geschäftsführer noch am selben Tag gegen 8:30 Uhr zugleich mit ihrem Schreiben vom 22.06.2020, mit dem sie ihr Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.07.2020 kündigte. Etwa 3 Stunden später erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 29.06.2020, das der Klägerin am selben Tag zuging, die außerordentliche Kündigung unter Bezugnahme auf die angedrohte Krankschreibung. Hilfsweise bestätigte sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.07.2020 auf Grundlage der Eigenkündigung.

Am 01.08.2020 nahm die Klägerin bei einem ortsansässigen Discounter eine neue Beschäftigung als Verkäuferin auf.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam sei, da es kein Grund hierfür gebe. Die Klägerin habe sich schon seit längerer Zeit dem psychischen Belast...

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