Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewerberbegriff nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG. Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligungsgrund und dadurch verursachter ungünstigerer Behandlung. Kein Vorstellungsgespräch bei Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens
Leitsatz (redaktionell)
1. Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch für ein Beschäftigungsverhältnis, ist er Beschäftigter i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass er eine Bewerbung eingereicht hat. § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG enthält einen formalen Bewerberbegriff.
2. Da für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die weniger günstige Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt sein muss, ist ein Kausalzusammenhang erforderlich. Dieser ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen in § 1 AGG genannten oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist.
3. Eine Verpflichtung nach § 165 S. 3 SGB IX zur Einladung zum Vorstellungsgespräch besteht nicht mehr, wenn das Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen wird. Führt der Arbeitgeber mit keinem Bewerber ein Vorstellungsgespräch, hat auch kein Bewerber eine ungünstigere Behandlung erfahren als irgendein Mitbewerber.
Normenkette
AGG §§ 1, 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 15; SGB IX § 165 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 08.04.2022) |
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 15.07.2022; Aktenzeichen 10 Ca 1581-21) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 15.07.2022 - 10 Ca 1581/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG wegen behaupteter Diskriminierung des schwerbehinderten Klägers.
Der am 29.10.1965 geborene Kläger verfügt über eine Qualifikation als Diplomverwaltungswirt. Er ist mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt.
Unter dem 17.02.2021 erhielt der Kläger einen Vermittlungsvorschlag der Arbeitsagentur. Aufgrund dessen bewarb sich der Kläger am 18.02.2021 unter Beifügung seiner Bewerbungsunterlagen auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Sachbearbeiter im Jugendamt im Bereich "Förderung von Tagesbetreuung für Kinder" mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3,526,45 EUR. Er wies auf der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Karriereseite (A.de/karriere) auf seine Schwerbehinderung hin.
Noch am 18.02.2021 erhielt der Kläger per E-Mail (Bl. 11 d.A.) eine Eingangsbestätigung hinsichtlich seiner Bewerbung von der Beklagten.
Mit weiterer E-Mail vom 19.02.2021 (Bl. 12 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Bewerbung nach Prüfung der Bewerbungsunterlagen keine Berücksichtigung finden konnte. Zu einem Bewerbungsgespräch wurde der Kläger nicht eingeladen.
Mit Schreiben vom 28.02.2021 (Bl. 13f. d.A.) machte der Kläger einen Entschädigungsanspruch wegen des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 15 AGG gegenüber der Beklagten geltend. Den Entschädigungsanspruch bezifferte er mit 11.198,94 EUR.
Mit Schreiben vom 11.03.2021 (Bl. 15 d.A.) entschuldigte sich die Beklagte dafür, dass eine Mitarbeiterin den Grund der Absage nicht richtig formuliert hätte und wies darauf hin, dass personalwirtschaftliche Gründe zum Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens geführt hätten, da sich die Möglichkeit ergeben hätte, die vakante Stelle intern zu besetzen.
Die Beklagte besetzte die vakante Stelle in der Folge mit dem Auszubildenden B, der nach Beendigung seiner Ausbildung im September 2021 auf die streitgegenständliche Planstelle umgesetzt werden sollte. Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte der Beklagten mit E-Mail vom 23.09.2021 (Bl. 181 d.A.), dass die gemeldete Stelle vom 27.01.-18.02.2021 in der Jobbörse veröffentlicht war, am 19.02.2021 automatisch ruhend gestellt und am 26.03.2021 mit der Rückmeldung "intern besetzt" gelöscht worden war.
Unter dem 11.04.2021 (Bl 16f. d.A.) machte der Kläger erneut gegenüber der Beklagten erfolglos die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 11.198,94 EUR geltend.
Mit seiner am 25.05.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Entschädigungsbegehren weiter.
Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Information über den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens und den dafür maßgeblichen Grund verstoßen. Zudem habe die Beklagte gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verstoßen.
Am 08.04.2022 ist ein klageabweisendes Versäumnisurteil gegen den Kläger ergangen. Gegen das ihm am 20.04.2022 zugestellte Versäumnisurteil hat der Kläger am 26.04.2022 Einspruch eingelegt.
Der Kläger hat beantragt,
das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 08.04.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und welche 10.579,35 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über d...