Leitsatz

In der Insolvenz des Mieters ist die einen Abrechnungszeitraum vor Insolvenzeröffnung betreffende Betriebskostennachforderung des Vermieters auch dann (einfache) Insolvenzforderung, wenn der Vermieter erst nach der Insolvenzeröffnung oder nach dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgerechnet hat.

(amtlicher Leitsatz des BGH)

 

Normenkette

BGB § 556; InsO § 109 Abs. 1 Satz 2

 

Kommentar

1 Der Fall

Zwischen den Parteien besteht ein Wohnungsmietvertrag, nach dem die Mieterin die Betriebskosten zu tragen hat; der Vermieter ist verpflichtet, hierüber abzurechnen. Am 29.4.2008 wurde über das Vermögen der Mieterin das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Treuhänder bestellt. Dieser hat gegenüber dem Vermieter am 28.5.2008 gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO erklärt, dass Ansprüche aus dem Mietverhältnis nicht mehr im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Mit Schreiben vom 2.11.2008 hat der Vermieter über die Betriebskosten des Kalenderjahrs 2007 abgerechnet. Die Abrechnung schließt mit einer Nachzahlung in Höhe von ca. 180 EUR. Mit Beschluss vom 27.2.2009 hat das Insolvenzgericht angekündigt, dass der Mieterin nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode eine Restschuldbefreiung erteilt wird. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 19.3.2009 aufgehoben. Die Wohlverhaltensperiode ist jedoch noch nicht abgelaufen. Der Vermieter nimmt die Mieterin auf Zahlung der restlichen Betriebskosten in Anspruch. Der BGH hatte zu entscheiden, ob dieser Anspruch gegenüber der Mieterin geltend gemacht werden kann.

2 Rechtslage während der Dauer des Insolvenzverfahrens

Die Regelungen der Insolvenzordnung unterscheiden zwischen den Insolvenzgläubigern (§ 87 InsO) und den Massegläubigern (§ 53 ff. InsO). Die Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen, nämlich durch Anmeldung beim Insolvenzverwalter zur Tabelle (§ 174 Abs. 1 InsO). Zu den Insolvenzgläubigern zählen alle Personen, die zurzeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Anspruch gegen den Schuldner haben. Hierzu gehören auch die Ansprüche des Vermieters gegen den Mieter auf Zahlung rückständiger Miete. Nachzahlungsansprüche aus einer Betriebskostenabrechnung sind Teil der Miete. Dies gilt auch dann, wenn über die Betriebskosten erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgerechnet wird, weil nicht fällige Forderungen im Insolvenzverfahren als fällig gelten (§ 41 Abs. 1 InsO).

Wichtig

Betriebskosten als Insolvenzforderung anmelden

Sie müssen deshalb ebenso wie die rückständige Miete als Insolvenzforderungen zur Tabelle angemeldet werden, wobei die voraussichtliche Höhe der Nachforderung zu schätzen ist.

3 Rechtslage nach Abgabe der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO kann der Insolvenzverwalter ein Mietverhältnis kündigen. Bei einem Mietverhältnis über Wohnraum tritt an die Stelle der Kündigung das Recht des Insolvenzverwalters zu erklären, dass Ansprüche nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die sog. "Freigabeerklärung" nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat zur Folge, dass die Masse nicht mehr für solche Mietansprüche haftet, die nach dem Wirksamwerden der Erklärung entstehen. Darin erschöpft sich die Wirkung der Erklärung.

Wichtig

Betriebskosten vor Insolvenzeröffnung zur Tabelle anmelden

Nachforderungen von Betriebskosten für Zeiträume vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleiben als (einfache) Insolvenzforderungen erhalten. Sie müssen demnach trotz der Freigabeerklärung zur Tabelle angemeldet werden.

4 Rechtslage nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens

In dem zur Entscheidung stehenden Fall wurde das Insolvenzverfahren durch Beschluss vom 19.3.2009 aufgehoben. Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens können die Insolvenzgläubiger ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen (§ 201 Abs. 1 InsO). Dies gilt unabhängig davon, ob die jeweiligen Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet wurden (BGH, Urteil v. 16.12.2010, IX ZR 24/10, Rpfleger 2011 S. 395). Hat der Schuldner den pfändbaren Teil seiner Einkünfte für die Dauer von 7 Jahren an einen Treuhänder abgetreten und wurde ihm mit Rücksicht hierauf Restschuldbefreiung in Aussicht gestellt, so steht dies einer Klageerhebung nicht entgegen.

Wichtig

Wohlverhaltensphase und Restschuldbefreiung

Während der Wohlverhaltensphase kann allerdings nicht in das Vermögen des Schuldners vollstreckt werden (§ 294 Abs. 1 InsO). Wird die Restschuldbefreiung nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode erteilt, erlöschen die Ansprüche der Gläubiger. Wird sie versagt, so können die Gläubiger in das Vermögen des Schuldners vollstrecken.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil v. 13.4.2011, VIII ZR 295/10, NJW-RR 2011 S. 876

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