Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung eines Insolvenzgeldvorschusses. Zeitpunkt des Eintritts des Insolvenzereignisses. zweimonatige Antragsfrist. Verspätete Antragstellung wegen Rechtsirrtums über Insolvenzgeldvoraussetzungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Betroffene Arbeitnehmer müssen Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis beantragen; Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Ausschlussfrist ist dabei derjenige der gesetzlich normierten Insolvenzereignis-Tatbestände, dessen Voraussetzungen am frühesten gegeben sind. Auf die Kenntnis des Arbeitnehmers von dem maßgeblichen Insolvenzereignis kommt es insoweit nicht an. Dies gilt auch bei gutgläubiger Weiterarbeit des Arbeitnehmers.

2. Wenn der betroffene Arbeitnehmer die fristgerechte Antragstellung wegen einer rechtsirrigen Beurteilung der Antragsvoraussetzungen unterlässt, hat er diesen Rechtsirrtum zu vertreten. Ein Rechtsirrtum entschuldigt ein Fristversäumnis nur dann ausnahmsweise, wenn der Beteiligte den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht hätte vermeiden können.

3. Eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Sinne von § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III liegt vor, wenn keine dem Betriebszweck dienenden Arbeiten mehr verrichtet werden, wobei reine Erhaltungs-, Abwicklungs- oder Liquidationsarbeiten nicht zählen.

 

Normenkette

SGB III § 183 Abs. 1, § 324 Abs. 3

 

Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 29.03.2004; Aktenzeichen S 5 AL 795/02)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. März 2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitgegenstand ist die Verpflichtung zur Erstattung eines Insolvenzgeldvorschusses für den Zeitraum 1. September 2000 – 16. November 2000 in Höhe von 4.500,00 DM.

Der 1965 geborene Kläger war seit 3. Mai 2000 bei der Firma P. Elektro- und Brandschutz GmbH (P. GmbH) in C-Stadt als Brandschutzfachmann beschäftigt. Er erhielt für die Monate September 2000 und bis November 2000 das vereinbarte Arbeitsentgelt nicht vollständig, bot seinem Arbeitgeber ab 27. September 2000 erfolglos seine Arbeitskraft an und wies auf Materialmangel auf seiner Baustelle in G. hin (Schreiben der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt an die Firma P. GmbH vom 9. und vom 15. November 2000), und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos zum 16. November 2000 und meldete sich an diesem Tag bei dem zuständigen Arbeitsamt arbeitslos. Die P. GmbH beantragte am 23. November 2000 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei dem Insolvenzgericht Weilheim; das Gericht lehnte den Antrag durch Beschluss vom 9. Mai 2001 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckende Masse ab (IN 221/2000). Der Kläger erhielt am 18. Dezember 2000 von der P. GmbH eine Insolvenzgeldbescheinigung mit Datum vom selben Tag, in der die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit sowie der Lösung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeberkündigung auf den 31. Oktober 2000 datiert sind. – Das Arbeitsgericht München verurteilte die P. GmbH auf die Klage des Klägers vom 9. Januar 20001 durch Versäumnisurteil vom 14. März 2001 zur Zahlung von 10.384,03 DM (29b Ca 26/01 W).

Der Kläger beantragte mit Schreiben der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt vom 11. Januar 2001, welches bei der Beklagten am 12. Januar 2001 einging, die Gewährung von Insolvenzgeld für die Monate September 2000, Oktober 2000 und November 2000 sowie einen Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld. – Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bescheid vom 27. April 2001 einen Insolvenzgeld-Vorschuss in Höhe von 4.500,00 DM unter Hinweis darauf, dass dieser zu erstatten sei, soweit der Anspruch auf Insolvenzgeld nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt werde.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 13. November 2001 den Antrag des Klägers auf Gewährung von Insolvenzgeld mit der Begründung ab, der Antrag vom 12. Januar 2001 sei erst nach Ablauf der zweimonatigen Ausschlussfrist nach dem maßgeblichen Insolvenzereignis gestellt worden. Das maßgebliche Insolvenzereignis sei hier der Tag der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit am 31. Oktober 2000, sodass die Ausschlussfrist vom 1. November 2000 bis zum 31. Dezember 2000 laufe. Der geleistete Vorschuss sei in Höhe von 4.500,00 DM zu erstatten.

Hiergegen legte der Kläger am 30. November 2001 Widerspruch mit der Begründung ein, die geltenden Insolvenzgeld-Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) sähen gar keine zweimonatige Ausschlussfrist vor. Im Übrigen sei das nach § 183 SGB III maßgebliche Insolvenzereignis nicht die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit zum 31. Oktober 2000, sondern entweder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Da die Entscheidung des Insolvenzgerichts mit Sicherheit nach dem 23. November 2000 ergangen sei, der Leistungsantrag jedoch bereits Anfang Januar 2001 geste...

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