Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Übereinkommen von Aarhus. Zugang zu Gerichten. Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz. Umweltvereinigung. Klagebefugnis einer solchen Vereinigung zur Anfechtung der bestimmten Fahrzeugen erteilten EG-Typgenehmigung vor einem nationalen Gericht. Kraftfahrzeuge. Dieselmotor. Schadstoffemissionen. Ventil für die Abgasrückführung (AGR-Ventil). Verringerung von Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen, die durch ein ‚Thermofenster’ begrenzt wird. Abschalteinrichtung. Zulassung einer solchen Einrichtung, wenn sie zum Schutz des Motors vor Beschädigungen oder Unfall und zur Gewährung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs notwendig ist. Stand der Technik

 

Normenkette

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 9 Abs. 3, Art. 47 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2 Buchst. a

 

Beteiligte

Deutsche Umwelthilfe

Deutsche Umwelthilfe e. V

Bundesrepublik Deutschland

 

Tenor

1. Art. 9 Abs. 3 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass es einer Umweltvereinigung, die nach nationalem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wird, die möglicherweise gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge verstößt, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten.

2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung nur dann nach dieser Bestimmung zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Außerdem ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig” im Sinne dieser Bestimmung, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 29. November 2019, in dem Verfahren

Deutsche Umwelthilfe e. V.

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

Beteiligte:

Volkswagen AG,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan und P. G. Xuereb (Berichterstatter), der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, A. Kumin, N. Jääskinen und N. Wahl sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Deutsche Umwelthilfe e. V., vertreten durch Rechtsanwalt R. Klinger,
  • der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch F. Liebhart als Bevollmächtigten,
  • der Volkswagen AG, vertreten durch Rechtsanwälte B. Wolfers und R. B. A. Wollenschläger,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker, G. Gattinara und M. Huttunen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, das am 25. Juni 1998 in Aarhus (Dänemark) unterzeichnet und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde (ABl. 2005, L 124, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus), und von Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung...

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