Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbale sexuelle Belästigung mit Handgreiflichkeiten gegenüber Kollegin beim Bundesgrenzschutz. Einstecken eines 200 DM-Scheines in den Ausschnitt des Mehrzweckanzuges der Kollegin. Niederdrücken der Beamtin auf ihr Bett in dienstlicher Gemeinschaftsunterkunft als Demonstration der Überlegenheit ohne Versuch einer sexuellen Nötigung. vorausgegangener verbaler Schlagabtausch auf dem Flur unter Kollegen mit sexuellen Anspielungen. Disziplinarmaßnahme: Gehaltskürzung von 24 Monaten

 

Normenkette

BBG § 54 S. 3, § 77 Abs. 1 S. 1; BeschSchG § 2

 

Verfahrensgang

BDIG (Urteil vom 23.10.2001; Aktenzeichen X VL 13/01)

 

Tenor

Die Berufung des Polizeiobermeisters im Bundesgrenzschutz … gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer X – … –, vom 23. Oktober 2001 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er

die Polizeimeisterin im BGS Silke T.… im Verlauf eines Einsatzpraktikums des Ausbildungszuges der ehemaligen … GSA … am 27. Oktober 1997 sexuell verbal und handgreiflich belästigt hat.

2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 23. Oktober 2001 die jeweiligen Dienstbezüge des Beamten auf die Dauer von 24 Monaten um ein Zwanzigstel gekürzt. Nach den Feststellungen des Bundesdisziplinargerichts waren der Beamte und die Zeugin, Polizeimeisterin T.…, zusammen mit weiteren Beamten des Bundesgrenzschutzes als Gruppenleiter ab dem 27. Oktober 1997 zu einem vierzehntägigen Ausbildungseinsatz in einem ehemaligen amerikanischen Fliegerhorst in der Nähe von T.… untergebracht. Am Vormittag des 27. Oktober 1997 soll der Beamte auf dem Flur in Anwesenheit Dritter unter Anspielung auf sein Sexualleben gegenüber der Zeugin erklärt haben, dass er “rattig” sei und die Zeugin gefragt haben, ob es ihr ebenfalls so gehe. Die Zeugin habe in der Absicht, den Beamten mundtot zu machen, geantwortet, Sex mit ihr sei für ihn zu teuer, weil er 100 DM pro Viertelstunde kosten würde. Da der Beamte sich durch diese Bemerkung auch gegenüber Dritten bloßgestellt fühlte, habe er der Zeugin eine Retourkutsche verpassen wollen. Er habe wenig später das Zimmer der Zeugin betreten, einen 200 DM-Schein hervorgeholt und erklärt, er “hätte gern für 200 DM”, wobei er ihr den Geldschein in den Ausschnitt gesteckt habe. Als die Zeugin das Geld zu Boden geworfen habe, habe er sie an den Schultern ergriffen, sie auf ihr Bett gedrückt und sich rittlings auf sie gesetzt. Erst nach zweimaliger Aufforderung habe der Beamte von der Zeugin abgelassen.

Das erstinstanzliche Gericht hat das Verhalten des Beamten als vorsätzliche Verletzung seiner Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gemäß § 54 Satz 3 BBG und als Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) bewertet. Damit habe er ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen, das erhebliches Gewicht habe und mit der verhängten Gehaltskürzung zu ahnden sei.

3. Mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung erstrebt der Beamte einen Freispruch, hilfsweise eine mildere Disziplinarmaßnahme. Er hält die Sachverhaltsfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts für großenteils unrichtig. Außerdem unterstelle die Kammer ihm Absichten und Intensionen, die er nicht gehabt habe. In der Gesprächssituation sei es ihm nicht darum gegangen, die sexuelle Bereitschaft der Zeugin T.… auszuloten, sondern es habe sich um ein allgemein flaxhaftes Gespräch auf dem Flur gehandelt. Die Situation im Zimmer der Zeugin sei in keinem Fall als ein ernsthafter Versuch sexueller Belästigung bzw. als vorsätzlicher körperlicher Angriff zu werten, sie müsse vielmehr als “Kabbelei” unter Kollegen gesehen werden. Als die Zeugin ihn, den Beamten, unmissverständlich aufgefordert habe, sie in Ruhe zu lassen, habe er dies unmittelbar daraufhin getan und das Zimmer verlassen. Im Übrigen rügt die Berufung, es sei verfahrensfehlerhaft, dass das Bundesdiziplinargericht entgegen seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen von einer Vernehmung der Zeugin T.… im Rahmen der Hauptverhandlung abgesehen habe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung ist unbegründet. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Bundesdisziplinargericht das disziplinare Fehlverhalten des Beamten mit einer 24-monatigen Gehaltskürzung geahndet hat.

Das Berufungsverfahren ist nach dem 1. Januar 2002, dem In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes – BDG – (vgl. Art. 27 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 9. Juli 2001, BGBl I S. 1510) und dem gleichzeitigen Außerkrafttreten der Bundesdisziplinarordnung – BDO – (vgl. Art. 27 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, a.a.O.) nach bisherigem Recht, also nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen, vgl. § 85 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 BDG.

1. Das Rechtsmittel ist unbeschränkt eingelegt. Der Beamte bestreitet wesentliche Teile des erstinstanzlich festgestellten Sachverhalts und die rechtliche Bewertung seines Verhaltens als Dienstvergehen. Der Senat hat daher den Sachverhalt selbst festzustellen und disziplinarrechtlich zu würdigen.

2. Das erstinstanzliche Verfahren leidet nicht an einem Mangel im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO, der eine Zurückverweisung der Sache an das Bundesdisziplinargericht erforderlich machen würde. Insbesondere war das Bundesdisziplinargericht nicht verpflichtet, die Zeugin T.… in der Hauptverhandlung zu vernehmen.

Zunächst war das erstinstanzliche Gericht nicht schon im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz gehalten, die Zeugin zu vernehmen. Zwar gebietet es die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit (§ 25 BDO i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) von Amts wegen Beweiserhebungen vorzunehmen, wenn die Kenntnis bestimmter Tatsachen zur Entscheidungsfindung notwendig ist. Nach dem im Disziplinarverfahren geltenden Prinzip der mittelbaren Beweisaufnahme können jedoch Niederschriften über Aussagen von Personen, die schon in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren vernommen worden sind, grundsätzlich ohne nochmalige Vernehmung verwertet werden (§ 21 BDO). Insoweit durfte sich das erstinstanzliche Gericht auf die Beweisaufnahme im Untersuchungsverfahren stützen.

Eine nochmalige Vernehmung der Zeugin T.… war auch unter Berücksichtigung der Beweislage als Ergebnis des Disziplinarverfahrens nicht geboten. Dies wäre etwa dann der Fall gewesen, wenn die Aussage der Zeugin selbst oder im Vergleich mit anderen Aussagen erhebliche, im Rahmen der Beweiswürdigung nicht auflösbare Widersprüche aufgewiesen hätte oder sich in dem disziplinargerichtlichen Verfahren neue Erkenntnisse ergeben hätten, die eine nochmalige Vernehmung aufdrängten (vgl. Urteil vom 27. August 1997 – BVerwG 1 D 49.96 –). Solche besonderen Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Kein Verfahrensfehler liegt auch darin, dass das erstinstanzliche Gericht dem im Vorfeld der Hauptverhandlung gestellten Antrag der Verteidigung auf Vernehmung der Zeugin T.… nicht gefolgt ist. Denn auf diesen Antrag wurde – wie schon zuvor im Untersuchungsverfahren und nun auch wieder vor dem Senat – nach durchgeführter Beweisaufnahme verzichtet (vgl. Hauptverhandlungsprotokoll vom 23. Oktober 2001: “Anträge auf weitere Feststellungen und weitere Beweiserhebungen wurden nicht gestellt”).

3. Auf Grundlage der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Beweismittel geht der Senat von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beamte und die Zeugin, Polizeimeisterin Silke T.…, wirkten ab dem 27. Oktober 1997 an einem 14-tägigen Einsatzpraktikum des Bundesgrenzschutzes in der Nähe von T.… und S.… als Gruppenleiter für jeweils einen Halbzug junger BGS-Beamter mit. Die Beamten, ihre Ausbilderkollegen und die Auszubildenden waren während dieses Einsatzes in dem ehemaligen amerikanischen Fliegerhorst in B.… untergebracht.

Nach Ankunft standen die Ausbilder PHM L.…, POM K.… und PM T.… zunächst im Flur des Unterkunftsgebäudes, um die Zimmeraufteilung vorzunehmen. Als der Beamte zu seinen Kollegen hinzutrat, bemerkte er, er freue sich schon auf das Ende des Einsatzes, denn er sei schon wieder “rattig”. Die Zeugin T.…, die er dabei ansah und die den Begriff als “sexuell interessiert” einzuordnen wusste, wollte sich in der Männerwelt ihrer BGS-Einheit, in der es außer ihr damals nur noch zwei weitere Beamtinnen gab, nicht zimperlich zeigen und den Beamten dadurch mundtot machen, dass sie ihm antwortete, sie hätte “es” schon gehabt. Weiter sagte sie zu ihm, dass er sich Sex mit ihr nicht leisten könne, da Sex mit ihr teuer sei und 100 DM pro Viertelstunde kosten würde. Die umstehenden Gruppenmitglieder – auch die Zeugin T.… – brachen darauf in lautes Gelächter aus. Nur der Beamte fühlte sich bloßgestellt und ärgerte sich darüber, dass die Zeugin einen Scherz auf seine Kosten gemacht hatte. Darauf trennte sich die Gruppe, und die Ausbilder begaben sich jeweils auf ihr Zimmer, um ihre Sachen auszupacken.

Der Beamte betrat wenig später das Zimmer der Zeugin T.…, die noch mit Einräumen beschäftigt war und gerade ihr Bett bezog. Er baute sich ca. eineinhalb Meter vor ihr auf, hielt einen 200 DM-Schein im Rücken, zog diesen hervor und sagte: “Ich hätte gern für 200 DM”. Dann steckte er der Zeugin den Geldschein in den Ausschnitt ihres Mehrzweckanzuges, unter dem sie noch ein hoch geschlossenes T-Shirt trug. Als die Zeugin das Geld zu Boden warf, ergriff der Beamte ihre Schultern mit seinen Händen und drückte die Zeugin der Länge nach auf ihr Bett, so dass nur noch eines ihrer Beine auf dem Boden verblieb. Anschließend setzte sich der ca. 90 kg schwere Beamte auf ihre Oberschenkel, fixierte mit einem Knie ihren linken Arm und versuchte, ihren noch freien rechten festzuhalten. Die Zeugin forderte ihn auf, sofort von ihr herunter zu steigen und sie in Ruhe zu lassen, was der Beamte aber nicht tat. Vielmehr demonstrierte er ihr seine körperliche Überlegenheit, indem er ihr ins Gesicht blies. Darauf wiederholte die Zeugin – lauter werdend – ihre Aufforderung und schrie ihn an, dass er ihr wehtue. Nun ließ der Beamte von der Zeugin ab, nahm den Geldschein wieder an sich und verließ den Raum.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugin T.… und des Zeugen K…. Die Zeugin T.… hat den Vorfall vom 27. Oktober 1997 in ihrer viereinhalbstündigen Vernehmung durch die Untersuchungsführerin am 13. September 2000 ausführlich geschildert und auch alle Fragen des Verteidigers des Beamten beantwortet. Ihre Aussage vor der Untersuchungsführerin deckt sich inhaltlich voll umfänglich mit ihren Aussagen vom 17. Dezember 1997 und 27. Mai 1998 im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Beamten, das von der Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden war, sowie im disziplinaren Ermittlungsverfahren. Widersprüche bestehen nicht.

Soweit Widersprüche zur Einlassung des Beamten bestehen, ist der Aussage der Zeugin zu folgen. Denn die Aussage der Zeugin ist glaubhaft, sie wird durch Aussagen weiterer Zeugen gestützt, während die gegenteiligen, teilweise auch widersprüchlichen Einlassungen des Beamten als Schutzbehauptungen zu werten sind. Die Zeugin hat nämlich auch die für den Beamten sprechenden Gesichtspunkte dargestellt, z.B. den Umstand, dass sie zu keinem Zeitpunkt die Befürchtung gehabt habe, vergewaltigt zu werden, und dass sie ursprünglich vor hatte, den Vorfall bei Einräumung des Fehlverhaltens durch den Beamten und Zusicherung künftigen vernünftigen Umgangs miteinander ohne dienstrechtliche Weiterverfolgung abzuschließen. Erst als dies nicht zustande kam und Dritte zu einer Anzeige rieten, habe sie sich dazu entschlossen. Aus ihrer Aussage wird erkennbar, dass sie dem Beamten keine Schwierigkeiten machen wollte und nur das aussagte, was sich tatsächlich ereignet hatte.

Diese Einstellung der Zeugin gegenüber dem Beamten wird bestätigt durch die Aussage des Zeugen K.…, der als Ausbilderkollege beider Beamter bekundete, dass die Zeugin trotz ihrer spürbaren Betroffenheit durch den Vorfall keinerlei Rachegefühle gegenüber dem Beamten hegte, vielmehr von dritter Seite zu einer Anzeigeerstattung bewogen wurde.

Die gegenteilige Einlassung des Beamten wurde vom Senat als Schutzbehauptung gewertet, die zu keiner erneuten Zeugenvernehmung Anlass gab. Dass die Einlassung des Beamten nicht geeignet war, die Aussagekraft des Zeugnisses T.… zu erschüttern, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass sie Widersprüche aufweist und erkennbar von dem – allerdings erfolglosen – Bemühen getragen ist, das Geschehene zu beschönigen. So hat der Beamte bestritten, das Gespräch mit seinen Kollegen am 27. Oktober 1997 mit seiner Bemerkung, er sei “rattig”, auf einen sexuell geprägten Inhalt gelenkt zu haben und gleichzeitig versucht, die Verantwortung dafür der Zeugin T.… zuzuschieben. Dies ist aber schon deshalb unglaubhaft, weil es im Gegensatz zu den insoweit übereinstimmenden Aussagen aller bei dem Gespräch anwesenden Zeugen aus dem Bereich der BGS-Beamten steht. Widersprüchlich ist die Einlassung des Beamten insofern, als dieser in seiner Vernehmung vom 15. Januar 1998 im disziplinaren Ermittlungsverfahren und im Schriftsatz seines Verteidigers vom 31. Oktober 1998 gegenüber der Staatsanwaltschaft vorgetragen hat, er habe den 200 DM-Schein auf das Bett der Zeugin T.… geworfen, während er ihn in seiner Darstellung vor dem Senat auf den Fußboden geworfen haben will. Zwischenzeitlich, am 6. August 1999, hat er auch behauptet, er habe den Geldschein der Zeugin T.… “zugeworfen”.

Dass er sein gesamtes Verhalten zu beschönigen versucht, wird u.a. daran deutlich, dass er gegenüber dem Senat geleugnet hat, die Zeugin T.… und ihre BGS-Kollegin K.… bereits vor dem angeschuldigten Vorfall häufig in sexuell diskriminierender Weise als “Bückstücke” bezeichnet zu haben, während dies von beiden Zeuginnen im disziplinaren Ermittlungsverfahren unter Angabe der näheren Umstände glaubhaft dargelegt wurde. Gleichmaßen stellte er das Niederdrücken der Zeugin T.… auf ihr Bett als scherzhaft gemeintes “Hinführen” dar und das Setzen auf die Oberschenkel der Zeugin mit seinen 90 kg Gewicht als berührungsfreies Beugen über die Zeugin. Es wäre unverständlich, warum die Zeugin den Beamten zweimal auffordern musste, von ihr zu lassen, wenn er sich nur berührungsfrei über sie gebeugt hätte.

4. Der Beamte hat durch sein Verhalten am 27. Oktober 1997 seine Kollegin T.… im Rahmen eines dienstlichen Einsatzes sexuell belästigt und damit seine Pflichten nach § 54 Satz 3 BBG und § 2 Abs. 2 und Abs. 3 Beschäftigtenschutzgesetz vorsätzlich verletzt.

Ein Beamter, der innerhalb des Dienstes Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter sexuell belästigt, verletzt in schwer wiegender Weise Würde und Ehre der Betroffenen und stört den Dienstfrieden (Urteil vom 12. Juni 2001 – BVerwG 1 D 39.00 –, Urteil vom 12. November 1997 – BVerwG 1 D 90.95 – BVerwGE 113, 151).

Die Pflichtenstellung nach § 54 Satz 3 BBG deckt sich weitgehend mit der nach § 2 Abs. 2 des Beschäftigtenschutzgesetzes vom 24. Juni 1994 (BeschSchG – BGBl I S. 1412 f.). Nach § 2 Abs. 3 BeschSchG ist eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein Dienstvergehen. Als eine solche Belästigung wird jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten definiert, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BeschSchG). § 2 Abs. 2 Satz 2 BeschSchG beschreibt zwei Gruppen sexueller Belästigungen, die unter die Definition des Gesetzes fallen: Zum einen strafrechtlich relevante Verhaltensweisen und zum anderen sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen sowie Bemerkungen sexuellen Inhalts, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden.

Entscheidende Kriterien zur Bestimmung eines sexuell bestimmten Verhaltens sind dabei nicht nur vom eigenen Sexualtrieb gesteuerte tätliche Übergriffe, sondern auch visuelle oder verbale Bezugnahmen auf Körperlichkeit und auf Privatheit in einer sexualisierten Form, d.h. mit einer impliziten oder expliziten Anspielung auf die Sexualität insbesondere der konkret konfrontierten Person. Der sexualisierte Charakter eines Verhaltens wird daran deutlich, dass die im dienstlichen Bereich generell vorgegebene psychische und körperliche Grenze zum individuellen Intimbereich überschritten wird und es zu einer Verletzung der (sexuellen) Würde des Beschäftigten kommt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Äußerung des Beamten, er hätte gerne Sex mit der Zeugin für 200 DM, auch unter Würdigung der besonderen Umstände des Falles, insbesondere des verbalen Schlagabtausches auf dem Flur, eine sexuelle Belästigung darstellte. Jedenfalls überschritt der Beamte die Grenze zum gesetzlich geschützten Intimbereich der Zeugin, als er ihr 200 DM in den Ausschnitt ihres Mehrzweckanzugs steckte und sie damit als käuflich wie eine Prostituierte behandelte. Die Zeugin empfand das auch so, was an ihrer erkennbar ablehnenden Reaktion, die darin bestand, den Geldschein auf den Boden zu werfen, deutlich wurde. Mit dem Einstecken des Geldscheines in den Ausschnitt wollte der Beamte die Zeugin in sexuell bestimmter Weise erniedrigen. Genau dies verstößt aber gegen die Vorschriften zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Der Beamte überschritt die gesetzlich errichtete Tabuschwelle erst Recht dadurch, dass er handgreiflich wurde und gegenüber der Zeugin vortäuschte, er wollte sich notfalls mit Gewalt nehmen, wofür er ihr die 200 DM gegeben hatte, auch wenn er dies nicht wirklich wollte.

5. Das vom Beamten vorsätzlich begangene Dienstvergehen im Sinne von § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG ist vom Bundesdisziplinargericht beanstandungsfrei mit einer 24-monatigen Gehaltskürzung geahndet worden; eine Maßnahmemilderung kommt nicht in Betracht. Für Dienstvergehen, die sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz zum Gegenstand haben, besteht keine Regelrechtsprechung. Die Handlungsbreite, in der sexuelle Zudringlichkeiten im Dienst denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In schweren Fällen innerdienstlicher sexueller Belästigung weiblicher oder männlicher Mitarbeiter, insbesondere wenn der Beamte unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versagt und dadurch nicht nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend einbüßt, sondern auch sein Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn schwer erschüttert, kann sich grundsätzlich die Frage seiner weiteren Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen (Urteil vom 12. Juni 2001, a.a.O., m.w.N.). Kann nach der Rechtsprechung des Senats bei bloßen verbalen Belästigungen ohne Ausnutzung einer Vorgesetztenstellung noch eine Gehaltskürzung im unteren Bereich angemessen sein (vgl. Urteil vom 4. April 2001 – BVerwG 1 D 15.00 –), so ist bei den vom Beamten im vorliegenden Fall verübten Handgreiflichkeiten – auch unter Berücksichtigung der Besonderheit der Situation im Wohnheim – die verhängte 24-monatige Gehaltskürzung keine zu strenge Disziplinarsanktion.

Zwar spricht zugunsten des Beamten, dass er disziplinar nicht vorbelastet ist und einen lockeren Umgangston und ein burschikoses Verhalten in seinem Arbeitsbereich als nicht ungewöhnlich erlebt haben mag. Gerade im Bereich dienstlicher Gemeinschaftsunterkünfte, in denen es keinen der privaten Unterbringung vergleichbaren Rückzugsbereich gibt, hatte sich der Beamte aber eine gesteigerte Zurückhaltung aufzuerlegen. Indem er die Zeugin T.… allein in ihrem Zimmer aufsuchte, sie sexuell belästigte und in ihrem Gefühl der persönlichen Sicherheit verletzte, beging er bereits zwei Jahre nach seiner Ernennung zum Lebenszeitbeamten ein Dienstvergehen, das schwerer wiegt als eine sexuelle Belästigung von rein verbalem Charakter. Gegen den Beamten spricht weiter, dass dieser das Gewicht seines Fehlverhaltens immer noch nicht richtig eingesehen zu haben scheint, wie an seinen Einlassungen in der Hauptverhandlung vor dem Senat deutlich geworden ist. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beamte durch das Disziplinarverfahren selbstverschuldet dienstliche Nachteile in Kauf nehmen musste und – zum Teil gesetzesbedingt (vgl. § 9 Abs. 3 BDO) – auch weiter hinzunehmen hat, ist die ausgesprochene Gehaltskürzung von etwa mittlerer Laufzeit (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 BDO) nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für den festgesetzten Kürzungsbruchteil von einem Zwanzigstel, der auf der ständigen Senatsrechtsprechung beruht (vgl. Urteil vom 21. März 2001 – BVerwG 1 D 29.00 – BVerwGE 114, 88).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.

 

Unterschriften

Albers, Müller, Dörig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1361568

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