Entscheidungsstichwort (Thema)

Dauerordnungswidrigkeit. Schulpflicht. Eltern. Erziehungsberechtigte. Kind. minderjährig. Bußgeldbescheid. Rechtskraft. Rechtsbeschwerde. Statthaftigkeit. Rechtsbeschwerdegericht. Verfahrenshindernis. Doppelahndung. Tat. Tatbegriff. Tatentschluss. Taterstreckung. Tatunterbrechung. Unterbrechungshandlung. Zäsur. Urteil. Urteilserlass. ne bis in idem. Präsenzunterricht. Schulbesuch. Corona. Covid19. Atemschutzmaske. Spucktest. Verweigerung. Weigerung. Schulaufgabe. Klassenarbeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Stellt der Erziehungsberechtigte die Verpflichtung zum Schulbesuch von vornherein dauerhaft in Frage, so stellt der Verstoß gegen die gemäß Art. 76 Satz 2 i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG bußgeldbewehrte Pflicht, für die regelmäßige Teilnahme des schulpflichtigen Kindes am Unterricht zu sorgen, eine Dauerordnungswidrigkeit dar (Fortführung von BayObLG, Beschl. v. 17.11.1986 - 3 Ob OWi 161/86 bei juris und OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.09.2000 - 2 Ws [B] 388/00 OWiG = NStZ-RR 2001, 25 = BeckRS 2000, 30131975).

2. Die Dauerordnungswidrigkeit wird in diesen Fällen nicht bereits durch den Erlass des Bußgeldbescheides unterbrochen. Erst im Anschluss an das tatrichterliche Urteil oder mit Rechtskraft des Bußgeldbescheids beginnt, wenn sich am ordnungswidrigen Verhalten des Betroffenen nichts geändert hat, eine neue Dauerordnungswidrigkeit.

3. Liegt eine solche Unterbrechungshandlung nicht vor, darf ein weiterer Bußgeldbescheid wegen des Bestehens des Verfahrenshindernisses der Doppelahndung nicht erlassen werden.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 3; BayEUG Art. 76 S. 2, Art. 119 Abs. 1 Nr. 2; OWiG § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 1; StPO § 206a Abs. 1, § 354 Abs. 1, § 467 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Günzburg (Entscheidung vom 28.11.2022)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Günzburg vom 28. November 2022 aufgehoben und das Verfahren wird eingestellt.

  • II.

    Die Kosten des Verfahrens sowie die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Das Landratsamt hat mit Bußgeldbescheid vom 11.08.2022 gegen den Betroffenen wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen die Pflicht, als Erziehungsberechtigter in der Zeit vom 14.03.2022 bis 29.04.2022 für eine regelmäßige Teilnahme der schulpflichtigen Tochter, geboren am 28.03.2012, am Pflichtunterricht der Grundschule zu sorgen, eine Geldbuße von 925 Euro verhängt. Nach Einspruchseinlegung verurteilte das Amtsgericht Günzburg den Betroffenen mit Urteil vom 28.11.2022 wegen der vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des fehlenden Sorgetragens für die regelmäßige Teilnahme am Unterricht durch eine minderjährige Schulpflichtige entgegen Art. 76 Satz 2 BayEUG i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG und verhängte eine Geldbuße von 855 Euro. Gegen den Betroffenen war bereits am 21.04.2022 ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht in der Zeit zwischen dem 21.02.2022 bis 11.03.2022 ergangen. Das Amtsgericht Günzburg hatte in diesem Fall den Betroffenen aufgrund der Hauptverhandlung vom 05.09.2022 wegen der vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des fehlenden Sorgetragens für die regelmäßige Teilnahme am Unterricht durch eine minderjährige Schulpflichtige entgegen Art. 76 Satz 2 BayEUG zu einer Geldbuße von 385 Euro verurteilt. Mit Beschluss vom 27.01.2023 hat das Bayerische Oberste Landesgericht die Rechtsbeschwerde gegen das vorgenannte Urteil als unbegründet verworfen. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene u.a., dass das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses der Doppelbestrafung hätte eingestellt werden müssen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 22.02.2023 beantragt, durch Beschluss das Urteil des Amtsgerichts Günzburg aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses ,ne bis in idem'.

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft. Nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als 250 Euro festgesetzt worden ist. Nach § 79 Abs. 2 OWiG ist für den Fall, dass das Urteil mehrere Taten zum Gegenstand hat, die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig, als hinsichtlich der einzelnen Taten die Voraussetzungen nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft dabei eigenständig, ob nur eine Tat im verfahrensrechtlichen Sinne vorliegt, ohne insoweit an die Beurteilung des Tatrichters gebunden zu sein (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.01.1997 - 1 ObOWi 801/96 = BayObLGSt 1997, 17, 18 = MDR 1997, 483 = NZV 1997, 282 = VerkMitt 1997, Nr 56 = NStZ-RR 1997, 249 = VRS 93, 141 [1997] = VersR 1997, 1504 = NStZ 1998, 451).

a) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Tatrichters gelangte der Betroffene gemeinsam mit seiner Ehefrau zu der Auffassung, dass die für den Schulbesuch vorgeschriebenen Mas...

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