1. Gesetzliche Regelung

Nach Nr. 1010 VV fällt die Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen in Angelegenheiten an, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 VV richten, wenn mindestens drei gerichtliche Termine stattfinden, in denen Sachverständige und Zeugen vernommen werden. Diese Gebühr entsteht für den durch besonders umfangreiche Beweisaufnahmen anfallenden Mehraufwand des Rechtsanwalts und fällt bei Wertgebühren mit einem Gebührensatz von 0,3 an.

Nach Auffassung des OLG Hamburg waren die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt.

2. Gesetzeswortlaut

Das OLG hat auf den insoweit klaren Gesetzeswortlaut verwiesen, der voraussetze, dass in mindestens drei gerichtlichen Terminen Sachverständige oder Zeugen vernommen worden sind. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben, da vorliegend nur in zwei gerichtlichen Terminen eine Beweisaufnahme stattgefunden habe. Dies führe dazu, dass eine Zusatzgebühr nicht ausgelöst werde (so auch OLG München AGS 2020, 374 m. Anm. N. Schneider = zfs 2020, 467 m. Anm. Hansens = RVGreport 2020, 340 [Hansens]).

3. Keine entsprechende Anwendung

Das OLG Hamburg ist auch nicht der Auffassung des Beklagten zu 3 gefolgt, die Gebührenvorschrift der Nr. 1010 VV sei auf andere Fälle einer umfangreichen Beweisaufnahme entsprechend anwendbar. Dies hat das OLG wie folgt begründet: Es fehle zunächst an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat mit dem 2. KostRMoG zwar einen Regelungsbedarf für den besonderen Aufwand bei sehr umfangreichen Beweisaufnahmen erkannt. Zur Vermeidung von Fehlanreizen habe er die Zusatzgebühr jedoch bewusst an die "Hürde bis zu einem dritten Beweistermin" geknüpft (s. BT-Drucks 17/11471, 227). Somit hätte es dem Gesetzgeber oblegen, den Anwendungsbereich der Gebührenvorschrift auf andere langwierige oder umfangreiche Verfahren zu erstrecken.

Des Weiteren hat das OLG Hamburg auf die Gesetzessystematik verwiesen, nach der der Gesetzgeber Anwaltsgebühren überwiegend als Pauschalgebühren ausgestaltet hat. Diese seien teilweise – möglicherweise auch im hier streitigen Fall – nicht kostendeckend. Dies schließe jedoch die Notwendigkeit von Billigkeitserwägungen aus. Dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit habe der Gesetzgeber – bei Betragsrahmengebühren – nur für die Gebührenhöhe herangezogen. Folglich – so fährt das OLG Hamburg fort – berücksichtige der Gesetzgeber auch sonst den Aufwand eines Rechtsanwalts allenfalls bei der Höhe einer Gebühr, niemals aber bei der Frage, ob eine Gebühr überhaupt entstanden sei.

Schließlich führt OLG Hamburg als weiteres Argument gegen eine entsprechende Anwendung der Nr. 1010 VV an, dass das Kostenfestsetzungsverfahren auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und auf die Klärung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten und demzufolge dem Rechtspfleger übertragen worden sei. Somit sei im Kostenfestsetzungsverfahren die Klärung komplizierter rechtlicher Fragen nicht vorgesehen und mangels der dafür notwendigen verfahrensrechtlichen Instrumente auch nicht sinnvoll möglich. Nur dies führe in dem formalisierten, auf vereinfachte Prüfung zugeschnittenen Kostenfestsetzungsverfahren zu einer praktikablen Handhabung und verlässlichen Ergebnissen (BGH JurBüro 2021, 582). Der Rechtspfleger, der im Rahmen der Kostenfestsetzung erstmals mit dem Rechtsstreit befasst sei, wäre mit der Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Prüfung des Umfangs der Beweisaufnahme erheblich und sachfremd belastet. Dies ist nach Auffassung des OLG Hamburg abzulehnen.

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