Vorbem. 4 Abs. 1, Nrn. 4100, 4112, 4114 VV RVG

Leitsatz

Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger des Angeklagten bestellt worden ist, richtet sich nach Teil 4 Abschnitt 1 VV. Er umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV. Neben der Grundgebühr Nr. 4100 VV entsteht aber ggf. nicht auch eine Verfahrensgebühr.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S)

I. Sachverhalt

In dem vor der Strafkammer geführten Strafverfahren gegen sechs Angeklagte wegen Verbrechen nach dem BtMG hat der Kammervorsitzende mit Einverständnis des Angeklagten B Rechtsanwalt R für den Hauptverhandlungstag am 26.9.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren beigeordnete Pflichtverteidiger für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. In der Hauptverhandlung am 26.9.2022 wurde das Hauptverfahren gegen einen Mitangeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit "auf unbestimmte Zeit" abgetrennt,

Rechtsanwalt R hat beantragt, seine Gebühren festzusetzen. Geltend gemacht hat er eine Grundgebühr Nr. 4100 VV, eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV und eine Terminsgebühr Nr. 4114 VV sowie Auslagen und Umsatzsteuer. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat bei der Festsetzung die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr, jeweils nebst Umsatzsteuer, mit der Begründung in Abzug gebracht, dass diese Gebühren "nur dem vollumfänglich bestellten Pflichtverteidiger" zustünden, die Tätigkeit von Rechtsanwalt R sich hingegen "auf die Teilnahme an diesem Hauptverhandlungstag" beschränkt habe. Der gegen diese Festsetzung erhobenen Erinnerung des Rechtsanwalts R hat die Urkundsbeamtin nach Anhörung der Bezirksrevisors nicht abgeholfen und die Sache der Strafkammer des LG zur Entscheidung vorgelegt. Diese hat die angefochtene Entscheidung dahingehend geändert, dass auch die beantragten Grund- und Verfahrensgebühr festzusetzen sind. Zur Begründung hat das LG hervorgehoben, dass der nur für einen Verhandlungstag bestellte Pflichtverteidiger einem für das gesamte Verfahren bestellten Pflichtverteidiger gleichgestellt sei, da in beiden Fällen ein eigenständiges öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet worden sei. Gegen diese Entscheidung hat der Bezirksrevisor Beschwerde eingelegt und die Auffassung vertreten, dass dem Rechtsanwalt R lediglich die Termingebühr zustehe. Die Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerde hatte dort teilweise Erfolg.

II. Gebühren des Terminsvertreters

1. Stand der Rechtsprechung

In Rspr. und Lit. ist umstritten, ob der wegen Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers (nur) für einen Hauptverhandlungstermin beigeordnete Verteidiger als Vergütung für seine Tätigkeit nur die Terminsgebühr erhält oder ob ihm darüber hinaus auch eine Grund- und ggf. eine Verfahrensgebühr zustehen (vgl. die Nachw. zum Streitstand bei OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, VV 4100, 4101 Rn 5; BeckOK RVG/Knaudt, 58. Ed., Stand 1.12.2022, RVG VV Vorbemerkung Rn 19–22).

a) Nur Terminsgebühr

Nach einer Ansicht ist der lediglich für einen gerichtlichen Termin als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers beigeordnete Verteidiger gebührenrechtlich nicht dem zuvor bereits für das gesamte Verfahren beigeordneten Pflichtverteidiger gleichgestellt. Der zeitlich befristet bestellte Verteidiger sei nicht als weiterer Pflichtverteidiger, sondern lediglich als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers bestellt, weshalb insgesamt nur ein Pflichtverteidigermandat abrechnungsfähig sei. Lasse sich ein Verteidiger in einem Termin durch einen anderen Verteidiger – mit Zustimmung des Gerichts – vertreten, könne dies nicht dazu führen, dass Grund- und Verfahrensgebühr mehrfach entstehen. Andernfalls könne ein Pflichtverteidiger, der sich an verschiedenen Sitzungstagen durch verschiedene Vertreter vertreten lasse, zahlreiche Gebührentatbestände entstehen lassen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund bestünde (zu allem KG RVGreport 2011, 260 = StRR 2011, 281 = NStZ-RR 2011, 295 = JurBüro 2011, 479; OLG Celle RVGreport 2009, 226; OLG Koblenz RVGreport 2013, 17 = JurBüro 2013, 84 = StRR 2013, 304; OLG Oldenburg RVGreport 2015, 23).

b) Auch Grund- und Verfahrensgebühr

Nach überwiegender Rechtsauffassung in Rspr. und Lit. beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger des Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Termingebühren, sondern umfasse alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV (ausf. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023, 195; ebenso OLG Bamberg NStZ-RR 2011, 223 [Ls.]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2008 – 1 Ws 318/08; OLG Jena, B...

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