§ 14 RVG; Nr. 4124 VV RVG

Leitsatz

Ist die allein von der Staatsanwaltschaft geführte und begründete Berufung auf die Rechtsfolgen beschränkt und wird sie kurz vor der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen, rechtfertigt das nicht ohne Weiteres den Nichtansatz der Mittelgebühr nach Nr. 4124 VV.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.1.2024 – 12 Qs 80/23

I. Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten wegen Betrugs, den er in laufender Bewährung beging, zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten verurteilt. Im Bewährungsbeschluss hat es ihm u.a. eine stationäre Suchttherapie zur Auflage gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Diese hat sie begründet und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Das LG hat Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 25.5.2023 bestimmt. Mit Schreiben v. 11.5.2023 berichtete die Bewährungshilfe dem LG, dass der Verurteilte seit 1.1.2023 versicherungspflichtig beschäftigt sei, eine zweimonatige stationäre Therapie vollständig absolviert habe und seitdem von der Suchtberatung X betreut werde. Zur Bewährungshilfe habe er zuverlässig Kontakt gehalten. Die Bewährungshilfe stellte ihm nunmehr eine günstige Sozialprognose. Die Staatsanwaltschaft nahm deshalb am 23.5.2023 ihre Berufung zurück.

Das LG hat am 24.5.2023 den Hauptverhandlungstermin aufgehoben und der Staatskasse die Kosten der Berufung, einschließlich der dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt. Die Pflichtverteidigerin hat für den Mandanten einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt und dabei auch die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren i.H.v. 352,00 EUR, was der Mittelgebühr entspricht, nach § 14 RVG, Nr. 4124 VV geltend gemacht.

Hierzu nahm der Bezirksrevisor Stellung und beantragte, die Mittelgebühr um 30 % auf 246,40 EUR zu reduzieren. Der Ansatz der Mittelgebühr sei unbillig hoch. Die Berufung der Staatsanwaltschaft sei auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Feststellungen im Urteil sei daher nicht mehr erforderlich gewesen. Der Verurteilte habe die Taten erstinstanzlich eingeräumt und auf die Berufung sei keine Reaktion der Verteidigerin erfolgt. Insgesamt könne nicht von einem durchschnittlichen Verfahren ausgegangen werden. Es habe zwar die Möglichkeit bestanden, dass das Berufungsurteil die Bewährungsaussetzung versagt. Im Vergleich zu anderen Berufungsverfahren mit deutlich höherem Strafansatz sei vergütungsrechtlich aber nicht von einem durchschnittlichen Verfahren auszugehen. Die Verteidigerin hat dem widersprochen: Die Mittelgebühr sei gerechtfertigt, da die Berufung erst am 23.5.2023 zurückgenommen und daraufhin der Termin v. 25.5.2023 aufgehoben worden sei. Das Verfahren und die Verteidigungsstrategie bezüglich des Rechtsfolgenausspruchs seien daher bereits umfassend mit dem Verurteilten besprochen und vorbereitet worden.

Das AG hat den Kostenfestsetzungsantrag am 11.9.2023 mit der Begründung insgesamt zurückgewiesen, die Verteidigerin habe keine für die Antragstellung nach § 464b StPO erforderliche Vollmacht vorgelegt. Die Verteidigerin ist dann mit Schreiben v. 25.9.2023 erneut den Ausführungen des Bezirksrevisors entgegengetreten – ohne sich ausdrücklich gegen den Beschl. v. 11.9.2023 zu wenden – und hat zugleich eine Vollmacht vorgelegt, die sie dazu berechtigte, für den Verurteilten Kostenerstattungsansprüche geltend zu machen.

Das LG hat dieses Schreiben als sofortige Beschwerde gegen den AG-Beschluss angesehen. Das Rechtsmittel war erfolgreich.

II. Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde

Das Schreiben der Verteidigerin v. 25.9.2023 ist nach Auffassung des LG als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Rechtspflegerin v. 11.9.2023 auszulegen. Als solche sei sie statthaft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., 2023, § 464b Rn 1, 5 f.) und auch i.Ü. zulässig.

III. Begründetheit der sofortigen Beschwerde

Das Rechtsmittel hatte in der Sache auch insoweit Erfolg, als nach Auffassung des LG die beantragte Mittelgebühr festzusetzen ist.

1. Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers

Der Pflichtverteidiger dürfe bei vorliegender Bevollmächtigung im Namen seines Mandanten Kostenfestsetzung nach § 464b S. 1 StPO beantragen. Der Antrag ziele dabei im Ergebnis auf die Wahlverteidigergebühren, die er nach § 52 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 RVG von seinem Mandanten beanspruchen könne, sofern dem Mandanten seinerseits ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zustehe (OLG Nürnberg, Beschl. v. 20.5.2014 – 2 Ws 225/14, RVGreport 2014, 436 = StRR 2014, 513 = Rpfleger 2014, 694 m.w.N.). Einer Doppelbelastung der Staatskasse könne dadurch begegnet werden, dass der Verteidiger – wie geschehen – seinen Verzicht auf die Pflichtverteidigervergütung erklärte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.5.2009 – 1 BvR 2252/08, RVGreport 2009, 260 = StRR 2009, 276 = VRR 2009, 317).

2. Begründetheit der sofortigen Beschwerde / Höhe der Verfahrensgebühr

a) Bemessungskriterien

Die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren bestimme sich nach Nr. 4124 VV. Mit ihr werde das Betreiben des Geschäfts vergütet ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge