Rz. 90

Im Hinblick auf Zahlungs- und andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ist im Grundsatz die Problematik zu beachten, dass Ausschlussfristen eine zügige außergerichtliche und ggf. auch gerichtliche Geltendmachung erfordern können. Im rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem Kündigungsschutzprozess können Annahmeverzugslohnansprüche betroffen sein, aber beispielsweise auch Lohnansprüche für Zeiten innerhalb der Kündigungsfrist, auf Zahlung einer Sonderleistung (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld etc.), von Prämien, Provisionen u.a.m., wenn der Arbeitgeber angesichts des nahen Endes des Arbeitsverhältnisses seinen Zahlungspflichten nicht in der gewohnten Weise nachkommen sollte. Tarifvertragliche Ausschlussfristen können auf das Arbeitsverhältnis der Parteien einwirken, wenn ein Tarifvertrag kraft Allgemeinverbindlichkeit, kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit oder kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Auch in Formulararbeitsverträgen können zweistufige Ausschlussklauseln wirksam vereinbart werden. Einzelvertragliche formularmäßig vereinbarte Ausschlussfristen, die die (außergerichtliche) Geltendmachung in Textform verlangen, sind bei Einhaltung einer Mindestfrist von drei Monaten grundsätzlich wirksam.[67] Auch die in Einzelarbeitsverträgen zulässige Mindestfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche beträgt drei Monate.[68] Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die unmittelbar vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängigen Annahmeverzugslohnansprüche.

1. Geltendmachung in Textform

 

Rz. 91

Ausschlussfristen in Klauseln, die eine bloße Geltendmachung in Textform verlangen, werden bereits durch das Erheben der Kündigungsschutzklage gewahrt, soweit es Ansprüche betrifft, die vom erfolgreichen Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängen.[69] Die Geltendmachung wahrt die Ausschlussfrist auch dann, wenn sie vor Fälligkeit erfolgt.[70] Bereits der Kündigungsschutzantrag als solcher reicht zur Geltendmachung aus. Dennoch ist es üblich und auch sinnvoll, zur Klarstellung in der Klagebegründung ausdrücklich sämtliche, insbesondere zukünftige, Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers geltend zu machen und hierbei auch die einzelnen in Frage kommenden Arten, am besten konkret, aufzuzählen (Lohn, Zulagen, Sonderzahlungen, Gratifikationen, Prämien, Provisionen usw.). Die klageweise Geltendmachung mittels bezifferten Leistungsantrags ist hingegen zur Wahrung der Ausschlussfrist nicht erforderlich. Allerdings müssen u.U. die Verjährungsfristen im Blick behalten werden, zu deren Wahrung die Erhebung der bloßen Kündigungsschutzklage nicht ausreicht.

[70] BAG v. 22.2.1978, NJW 1978, 1942 = DB 1978, 1350; BAG v. 13.2.2003, AP § 613a BGB Nr. 244 = NZA 2003, 1295.

2. Gerichtliche Geltendmachung

 

Rz. 92

Ausschlussfristen, die in einer zweiten Stufe die Pflicht zur gerichtlichen Geltendmachung vorsehen, entfalten infolge der Entscheidung des BVerfG vom 1.12.2010[71] im Hinblick auf die vom Ausgang eines Kündigungsschutzrechtsstreits abhängigen Annahmeverzugslohnansprüche keine praktische Wirksamkeit mehr. Das BVerfG hatte argumentiert, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbiete es, den Parteien eines Zivilprozesses den Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren; die Beschreitung des Rechtswegs werde auch dann faktisch vereitelt, wenn das Kostenrisiko zu dem angestrebten Erfolg außer Verhältnis stehe, so dass die Inanspruchnahme der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheine; dem Bürger dürfe der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht durch Kostenbarrieren abgeschnitten werden. Die Vorschriften seien als Ausprägungen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz auch bei der Anwendung von (im konkreten Fall: tariflichen) Ausschlussfristen zu berücksichtigen. Die von einer Ausschlussfrist für vom Ausgang eines Bestandsschutzstreits abhängige Annahmeverzugslohnansprüche verlangte (sofortige) gerichtliche Geltendmachung sei dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, da dies sein Kostenrisiko erhöhe; es dürfe ihm die Obliegenheit zur Klageerhebung vor rechtskräftigem Abschluss des Vorprozesses nicht auferlegt werden.

 

Rz. 93

Dass das zuvörderst als Grundrecht des Bürgers gegenüber den staatlichen Gerichten bestehende Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz es gebietet, ggf. sogar Vereinbarungen zwischen Tarifvertragsparteien unangewendet zu lassen, war der gesamten Arbeitsgerichtsbarkeit über lange Zeit verborgen geblieben. Nachdem das BAG mit drei Urteilen die Entscheidung des BVerfG dahin gehend umgesetzt hat, dass ein Arbeitnehmer mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die von deren Ausgang abhängigen Vergütungsansprüche "gerichtlich geltend" macht und damit die zweite Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist wahrt,[72] kann ...

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