Rz. 1209

Besonders hervorzuheben ist die in der mobbingschutzrechtlichen Anwendungspraxis im Einzelfall nicht immer ganz einfache Unterscheidung, ob ein Mobbingangriff auf den Fortbestand des Arbeitsplatzes oder eine zur Wahrung von Arbeitgeberinteressen zulässige Rechtsmaßnahme vorliegt.

 

Rz. 1210

Ein Arbeitgeber kann davon ausgehen, dass ein Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Kritik, auch an deutlicher Kritik, verträgt, solange der Arbeitnehmer ihm nicht deutlich macht, dass er solche Kritik als Angriff auf seine Ehre oder Persönlichkeit empfindet und dadurch gesundheitliche Probleme auftreten (LAG Nürnberg v. 5.9.2006, AuA 2007, 177). Die Äußerung eines Vorgesetzten ggü. einem Arbeitnehmer, eine Abmahnung sei inhaltlich zutreffend und daher nicht angreifbar, stellt lediglich die Äußerung einer Rechtsansicht dar, die dem Vorgesetzten nicht verwehrt werden kann. Generell sind Arbeitsanweisungen, die vom Direktionsrecht gedeckt werden, keine schikanösen Verhaltensweisen (LAG Rheinland-Pfalz v. 20.6.2006, AuA 2006, 614). Die geäußerte Vermutung des Arbeitgebers, dass anonyme Telefonanrufe aus dem Umfeld des Arbeitnehmers stammen oder dass der Arbeitnehmer damit etwas zu tun hat, stellt noch keine Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweise dar (LAG Mainz v. 10.3.2010 – 8 Sa 644/09).

 

Rz. 1211

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch im privaten Rechtsverkehr nicht unbeschränkt gewährleistet. Eingriffe können durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen gerechtfertigt sein. Im Einzelfall bedarf es daher einer Güter- und Interessenabwägung (LAG Thüringen v. 10.4.2001, NZA-RR 2001, 355 unter Hinweis auf die st. Rspr. des BAG). Bei Feststellung von Schikanen, Diskriminierungen oder sonstigen feindlichen der psychischen Zermürbung oder menschlichen Entwürdigung dienlichen Angriffen ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht immer verletzt, denn derartige Vorgehensweisen sind weder von der Rechtsordnung gedeckt noch rechtfertigen sie deren Schutz. Das Tatmerkmal der Anfeindung deckt alle nicht von den Tatmerkmalen Schikane und Diskriminierung erfassten Verhaltensweisen ab (Wickler, DB 2002, 481). Die Bereitstellung eines solchen offenen Tatmerkmales ist unabdingbar für die Vielzahl der denkbaren Mobbing-Handlungsmöglichkeiten, wobei dann im Einzelfall die feindliche Zielrichtung (psychische Zermürbung oder menschliche Entwürdigung) zu prüfen ist. Insoweit wird auf die aufgelisteten 45 typischen Mobbinghandlungen verwiesen (s. Rdn 1186). Der entscheidende Punkt der Prüfung, ob ein Verhalten der systematischen Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dient und damit der Feststellung einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes durch Mobbing, liegt häufig in der Frage der Abgrenzung zu rechtmäßigem oder sozialadäquatem Verhalten.

 

Rz. 1212

Ebenso kann sich die arbeitgeberseitige Ausübung von Rechten aus dem Arbeitsvertrag als Bestandteil eines Mobbingverhaltens erweisen. Jede missbräuchliche Ausübung einer arbeitgeberseitigen Rechtsmaßnahme, z.B. durch Gestaltung von Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit, durch die Erteilung von Weisungen, durch Abmahnungen (zu einem solchen Abmahnungsmobbing vgl. ArbG Kiel v. 16.1.1997 – 5d Ca 2306/96, n.v.), aber auch der Ausspruch von Versetzungen und Kündigungen muss geprüft werden. Allein durch den Ausspruch einer unwirksamen Kündigung verletzt ein Arbeitgeber aber nicht seine dem Arbeitnehmer ggü. bestehenden Rücksichtnahmepflichten. Im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen sind grds. nicht geeignet, die Tatbestandsvoraussetzungen einer Vertragspflichtverletzung zu erfüllen (BAG v. 24.4.2008, DB 2008, 2086). Durch das KSchG ist konkret geregelt, dass und wie sich der Arbeitnehmer gegen diese Maßnahme des Arbeitgebers zur Wehr setzen kann. Der Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber stellt sich im Regelfall als ein sozial adäquates Verhalten dar, dessen Rechtswirksamkeit der Arbeitnehmer gerichtlich überprüfen lassen kann. Zur Annahme von Mobbing ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer über den bloßen Kündigungsausspruch hinaus in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird und dies vom Arbeitgeber auch so gewollt ist (BAG v. 24.4.2008, DB 2008, 2086).

 

Rz. 1213

Die Prüfung, ob bei der Wahrnehmung von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten ein Fall der sachgerechten Interessenwahrnehmung des Arbeitgebers vorliegt oder diese nur vorgeschoben sind und in Wirklichkeit ein Fall von Mobbing vorliegt, erfordert einen Plausibilitätsvergleich. Dabei wird das Handeln eines objektiven, wohlwollenden, an der Aufrechterhaltung und Förderung des Arbeitsverhältnisses und im Konfliktfall die Lösung des Sachproblems und nicht die Ausgrenzung des Betroffenen anstrebenden Vorgesetzten bzw. Arbeitgebers zum Maßstab gesetzt. Wird im Rahmen dieser Prüfung bspw. festgestellt, dass der von Rechtsmaßnahmen betroffene Arbeitnehmer einer Sonderbehandlung unterzogen wird, dass mit überzogenen Maßnahmen reagiert wird ("Kanonen auf Spatzen"), dass der Maßnahme ...

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