Rz. 923

Ob und unter welchen Voraussetzungen eine im Voraus vereinbarte Freistellungsklausel nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform rechtswirksam ist, hat das BAG noch nicht entschieden. Allerdings hat sich die Rspr. schon früh zu einem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im ungekündigten Arbeitsverhältnis oder im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bekannt (BAG v. 10.11.1955, AP Nr. 2 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht). Danach hat der Arbeitnehmer Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Dieser Anspruch wird mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG begründet. Die Achtung und Respektierung des Arbeitnehmers hängt wesentlich von der geleisteten Arbeit ab und die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis ist eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten eines Arbeitnehmers (BAG v. 10.11.1955, AP Nr. 2 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht; BAG v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht).

 

Rz. 924

Hiervon zu unterscheiden ist der ebenfalls durch die Rspr. gewährte Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsschutzprozesses. Dieser findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 611, 613 i.V.m. § 242 BGB. Nach Auffassung des BAG beruht der Anspruch des gekündigten Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist unmittelbar auf der sich aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz für den Arbeitgeber ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers. Stehen dem Beschäftigungsanspruch schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegen, zu denken ist an den Wegfall der Vertrauensgrundlage, fehlende Einsatzmöglichkeiten, Gefahr des Geheimnisverrates, muss dieser allerdings zurücktreten (BAG v. 27.2.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB – Beschäftigungspflicht). Einen besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch gewährt § 102 Abs. 5 BetrVG bei einem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats.

 

Rz. 925

Auch wenn es noch nicht einheitlich geklärt ist, nach der überwiegenden Auffassung stellt die Beschäftigungspflicht eine arbeitsvertragliche Hauptpflicht des Arbeitgebers dar (ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 703).

 

Rz. 926

 

Praxistipp

Der Arbeitnehmer im ungekündigten Arbeitsverhältnis kann gegen eine unwirksame Versetzung auf einen geringer bewerteten Arbeitsplatz eine Verletzung des Beschäftigungsanspruches durch den Arbeitgeber gerichtlich geltend machen. Diesen Anspruch auf Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen kann der Arbeitnehmer auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers entfällt jedoch, wenn dem Arbeitgeber eine tatsächliche Beschäftigung unmöglich oder unzumutbar ist (LAG Hamm v. 20.8.2004, LAGE § 611 BGB 2002 – Beschäftigungspflicht Nr. 3; BAG v. 13.6.1990, EzA § 611 BGB – Beschäftigungspflicht Nr. 44; LAG Berlin v. 24.9.2004, EzBAT § 54 BAT – unkündbare Angestellte Nr. 18).

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