Wann gilt Umziehen als Arbeitszeit - sogar ohne Kleider-Anordnung

Zählt die Umkleidezeit zur Arbeitszeit? Und ist diese auch dann zu vergüten, wenn der Arbeitgeber das Umziehen vor Ort im Betrieb gerade nicht vorgeschrieben hat? Das Hessische LAG hat nun diese Fragen für den konkreten Fall eines Mitarbeiters eines Müllheizkraftwerks beantwortet.

Gehört das Umziehen vor und nach dem Job zur Arbeitszeit? Immer wieder landen die Arbeitsklamotten, Uniformen etc. vor Gericht. Sind die Zeiten zum Umziehen und jene für den Weg auf dem Werksgelände zwischen Spind und konkretem Arbeitsplatz vergütete Arbeitszeit?

Grundsätzlich ist bei dieser Frage nach Arbeitszeit und Lohn zu trennen. Nach der Rechtsprechung gehören jedoch Umkleidezeiten zur Arbeitszeit, wenn das Tragen von Arbeitskleidung Pflicht ist und diese erst im Betrieb angelegt werden darf. Dann muss der Arbeitgeber diese Zeit auch bezahlen.

Umkleiden: Vergütete Arbeitszeit auch ohne Anordnung?

Im konkreten Fall hat nun das Hessische LAG entschieden, dass auch ein Arbeitgeber zahlen muss, der nicht vorgeschrieben hatte, die betriebliche Umkleidestelle zu nutzen. Dies gilt für die Umkleidezeit und die deswegen erforderlichen Wege. Der Mitarbeiter eines Müllheizkraftwerks konnte also verlangen, dass ihm die Zeiten als Arbeitszeit vergütet werden, die für das An- und Ausziehen der Arbeitskleidung auf dem Werksgelände und den Weg zwischen Umkleidestelle und Arbeitsplatz anfallen.

Tragen von Schutzkleidung = Pflicht und Arbeitskleidung wurde regelmäßig stark verschmutzt

Wichtige Voraussetzung im konkreten Fall: Das Tragen von Schutzkleidung war Pflicht und die die notwendige Arbeitskleidung wurde regelmäßig erheblich verschmutzt.

  • Aufgrund der Verunreinigungen könne der Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz – sei es im eigenen PKW oder in öffentlichen Verkehrsmitteln – nicht in dieser Kleidung zurückgelegt werden, argumentierten die Richter.
  • Das sei aus hygienischen Gründen weder dem Mitarbeiter selbst noch Mitreisenden in Bussen und Bahnen zuzumuten.

Insofern könnte der Arbeitnehmer faktisch – auch wenn der Arbeitgeber dies nicht vorschreibt – die Arbeitskleidung nur im Betrieb an- und ausziehen. Im Übrigen organisierte der Arbeitgeber auch die Reinigung der Arbeitskleidung im Betrieb.

In auffällige Firmenkleidung ist der Heimweg unzumutbar

Ein weiteres Argument, weshalb Mitarbeiter faktisch dazu gezwungen waren, sich im Betrieb umzuziehen: die auffällig gestaltete Arbeitskleidung selbst.

  • Wegen des sehr auffälligen Firmenemblems sei für den Mitarbeiter nicht zumutbar, den Weg zur Arbeit in dieser Kleidung zurückzulegen, urteilten die Richter.
  • Weil der Mitarbeiter also faktisch keine andere Wahl hatte, als sich vor Ort umzuziehen, behandelte das LAG den Fall im Ergebnis so, als ob eine Anordnung vorgelegen hätte.
  • Daher war die Umkleidezeit als Arbeitszeit zu vergüten. Zumal auch der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Tarifvertrag keine Regelung zur Bezahlung von Umkleidezeiten enthielt.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

(Hessisches LAG, Urteil vom 23. November 2015, 16 Sa 494/15).

Hinweis:

In einem bestimmten Umfang sind Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechts berechtigt, Arbeitnehmern vorzuschreiben, was sie am Arbeitsplatz tragen

  • – sei es der Sicherheit wegen
  • oder mit Rücksicht auf die Kunden.

Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 Abs. 1 GG) folgt zwar grundsätzlich dessen Freiheit bei der Gestaltung seines Äußeren (z. B. Wahl der Kleidung, Frisur, Accessoires etc.) auch während der Arbeitszeit.

Aus gesetzlichen Vorgaben kann sich jedoch eine Einschränkung ergeben, wie auch aus der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB).