Stressprävention: psychische Gefährungsbeurteilung

Stress-Prävention ist das große Thema in deutschen Unternehmen. Doch die Mehrheit der mittelständischen Unternehmen ignoriert gesetzliche Vorschriften zur psychischen Gefährdungsbeurteilung, die der Früherkennung und Prävention von Stress am Arbeitsplatz dienen.

Nur in rund vier von zehn Firmen (41 Prozent) erfolgt die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene psychische Gefährdungsbeurteilung, die stressbedingte Erkrankungen und Ausfälle verhindern soll. So lautet ein erstes  Ergebnis aus dem Dekra Arbeitssicherheitsreport 2018/2019, der Ende des Jahres 2018 erscheinen wird.

Gefährdungsbeurteilung als zentrales Element des Arbeitsschutzes

Für die Untersuchung wurden vom Institut Forsa im Auftrag von Dekra insgesamt 300 zufällig ausgewählte Entscheider im Personalbereich oder Arbeitsschutz in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU von 10 bis 500 Mitarbeiter) befragt. Ein wesentliches Thema der repräsentativen Studie ist die Gefährdungsbeurteilung, die im deutschen Arbeitsschutzrecht das zentrale Element darstellt.
Seit 2013 schreibt das Arbeitsschutzgesetz vor, dass Arbeitgeber auch die psychischen Gefährdungen der Beschäftigten am Arbeitsplatz systematisch beurteilen müssen. Falls erforderlich, muss der Arbeitgeber Maßnahmen gegen krankmachenden Stress am Arbeitsplatz einleiten. Private und berufliche psychische Belastungen tragen maßgeblich zu Burnout oder Muskel- und Skeletterkrankungen und somit zu Fehlzeiten und Qualitätsmängeln bei.
„Die Umfrageergebnisse zeigen, dass viele  Mittelständler auch nach fünf Jahren noch nicht wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollen“, sagt Dr. Karin Müller, Leiterin des Bereichs Mensch & Gesundheit bei Dekra. „Dabei existieren Lösungen, um die psychische Gefährdungsbeurteilung gesetzeskonform und wirksam durchzuführen. Gefragt sind Verfahren, die aufzeigen, wie es der Belegschaft wirklich geht und welcher Stress tatsächlich krank macht.“

Messmethoden zur psychischen Gefährdungsbeurteilung 

Das Personalmagazin greift in seiner aktuellen Ausgabe (Personalmagazin, Heft 11/2018) dieses Thema im Beitrag "Stressfaktoren erkennen" auf. Professor  Karlheinz Sonntag erklärt dort die unterschiedlichen Methoden, um psychische Belastungen zu erkennen:  

Befragungen, Beobachtungen und moderierte Analyseworkshops stellen die grundsätzlichen Methoden einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen dar. Die Vorteile von Befragungen liegen beispielsweise darin, dass alle Beschäftigten in die Beurteilung einbezogen werden können. Dadurch lässt sich ein Stimmungsbild zu verschiedenen Anforderungen in der gesamten Belegschaft abfragen. Anhand von Beobachtungen oder Beobachtungsinterviews können potenzielle Belastungen unabhängig vom subjektiven Erleben detailliert und objektiv erfasst werden. Moderierte Analyseworkshops eignen sich hingegen für kleinere Organisationen beziehungsweise Teams.

Gefährdungsbeurteilung durch orientierende Verfahren und Screenings

Je nach Vorgehensweise und Detailtiefe werden verschiedene Verfahren unterschieden. Orientierende Verfahren zielen darauf ab, erste Ansatzpunkte für mögliche psychische Belastungen bei der Arbeit zu erkennen, beispielsweise durch Checklisten. Screeningverfahren hingegen weisen eine größere Analysetiefe auf, wobei die Tätigkeitsmerkmale detaillierter erfasst werden. Anhand von Expertenverfahren werden psychische Belastungen bei der Arbeit noch differenzierter beurteilt, beispielsweise durch die Kombination verschiedener Befragungs- und Beobachtungsverfahren. Einen umfassenden Überblick über die Vielzahl vorhandener Verfahren zur  Erfassung psychischer Belastung und Beanspruchung gibt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung für KMU

Möchte man potenzielle Belastungen den normativen Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes entsprechend erfassen, also objektiv und unabhängig vom jeweiligen individuellen Beanspruchungserleben, empfiehlt sich, so Sonntag, ein Beobachtungsinterview. Eine solche Methode stellt die „Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung (GPB)“ dar. Das Verfahren GPB wurde von Arbeitspsychologen der Universität Heidelberg in enger Kooperation mit der betrieblichen Praxis entwickelt und inzwischen bei mehreren Großunternehmen eingesetzt. Im Projekt „ Mega – Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen“ wird es momentan für die Anwendung auch in KMU angepasst.

Die Praxis: Analyse, Workshop, Gegenmaßnahmen 

Das Kernstück des Verfahrens GPB bilden Arbeitsplatzbegehungen: Direkt vor Ort beobachtet ein unternehmensinternes, interdisziplinäres Analyseteam, das zuvor durch einen Arbeitspsychologen geschult wurde, die Beschäftigten bei ihrer Tätigkeit. Zusätzlich werden die Stelleninhaber nach ihren Arbeitsprozessen, Abläufen und Bedingungen befragt. Im Anschluss beurteilt jedes Mitglied des Analyseteams zunächst für sich alleine – aus seiner fachlichen Sicht – die bei der Tätigkeit auftretenden Belastungen. Um die Objektivität zu gewährleisten, trifft das Analyseteam die endgültige Beurteilung im Konsens. Ganz wichtig dabei: Nicht die einzelne Person, sondern die Anforderungen der Tätigkeit werden beurteilt.

Stressoren bei der Arbeit müssen identifiziert werden

Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung (GPB) werden vor allem die Faktoren betrachtet, die in der Forschung immer wieder als potenzielle Stressoren identifiziert worden sind. Hierzu zählen beispielsweise Arbeitskomplexität, Arbeitsintensität, Konzentrationserfordernisse, Verantwortungsumfang oder Arbeitsunterbrechungen. Dazu werden auch hilfreiche Ressourcen wie Handlungsspielraum oder Informationsaustausch erfasst. In der Auswertung zeigt sich, ob kritische Belastungskombinationen bei der Tätigkeit auftreten. Diese stellen ein besonderes Gefährdungspotenzial für die Beschäftigten dar. Um ein Beispiel zu nennen: Hohe Konzentrationserfordernisse sind nicht per se psychisch belastend, sie sind es allerdings in Kombination mit ständigen Arbeitsunterbrechungen. Ebenso kann eine ausgeprägte Kundenorientierung vor allem bei geringen Zeitspielräumen besonders belastend wirken. Unter Einbezug von Führungskräften und Mitarbeitern finden im Anschluss Workshops statt. In diesen entwickeln die Beteiligten auf Basis der jeweiligen Befunde gemeinsam Maßnahmen.


Den kompletten Beitrag finden Sie in Personalmagazin 11/2018, Seite 76 ff 

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