New-Work-Siegel: aussagekräftig oder nur Geschäftsmodell?

Die Ziele sind hochgesteckt: engagierte Arbeitgeber auszeichnen, New Work messbar machen und Beschäftigten Orientierung bieten. Doch hält das neue Arbeitgebersiegel der New Work SE, was es verspricht? Die Methode weist deutliche Schwachstellen auf.

Die New Work SE hat kürzlich ein New-Work-Arbeitgebersiegel lanciert, das mit einem hohen Anspruch daherkommt: Erstmals sei New Work transparent messbar – über einen wissenschaftlichen Fragebogen und die Bewertungen bei Kununu.

New-Work-Siegel: Drei Dimensionen charakterisieren die Unternehmen

Wissenschaftlicher Partner für das Siegel ist die Handelshochschule Leipzig (HHL). Tobias Dauth, Professor für Internationales Management an der HHL Graduate School of Management, hat auf Grundlage einer Literaturrecherche existierender Studien – etwa vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) oder der RWTH Aachen – drei Dimensionen identifiziert, die New-Work-Unternehmen charakterisieren sollen: "Individuelle Entfaltung", "Transparenz und Wertschätzung" sowie "Führung und Organisation". Die Recherche hat die HHL in einen Fragebogen überführt, der laut Dauth 59 Fragen zu insgesamt 12 New-Work-Kriterien enthält, die Führungskräfte aus HR-Abteilungen und Geschäftsführende der Unternehmen beantworten sollen.

Mindestanzahl an Kununu-Bewertungen als Voraussetzung

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Neben dieser Arbeitgebersicht fließt zu gleichem Teil die Bewertung der Arbeitgeber auf der Plattform Kununu ein, ein Tochterunternehmen der New Work SE. Am Qualifizierungsprozess können nur Unternehmen teilnehmen, die "eine kritische Masse an Kununu-Bewertungen von Mitarbeitern" aufweisen. Unternehmen mit einer Mitarbeiteranzahl von 1 bis 50 brauchen so viele Bewertungen wie Mitarbeiter, also mindestens 50. Für ein Unternehmen mit 400 Mitarbeitern sind beispielsweise 100 und für Arbeitgeber mit einer Mitarbeiteranzahl zwischen 1.001 und 10.000 sind 200 Bewertungen notwendig. Aktuelle Bewertungen aus den vergangenen zwölf Monaten gewichtet die New Work SE dabei stärker als ältere Mitarbeitereinträge.

Siegelqualität: Wie repräsentativ sind die Mitarbeiterbewertungen?

"Wir machen New Work erstmals in all seinen Dimensionen messbar und mit wissenschaftlicher Methodik transparent", erklärt Dauth in einer Pressemitteilung der New Work SE. "Andere Modelle – wir haben im Zuge unserer Recherchen über 30 verschiedene Ansätze gesichtet – sind in aller Regel weniger umfassend und konzentrieren sich eher auf bestimmte Facetten von New Work", so der Professor, dessen Publikationsliste bislang keine Artikel zum Thema New Work aufweist und der in der HR-Szene und New-Work-Community noch nicht bekannt ist. Seine Aussage ist erstaunlich, denn am Markt sind bereits viele ähnliche Messemethoden wie sein Fragebogen verfügbar. Tobias Dauth bezieht sich offensichtlich lediglich auf wissenschaftlich publizierte Messmethoden, nicht auf Praxisansätze, wie er selbst einen liefert.

Prof. Dr. Heike Bruch, Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen, die mit ihrem Team selbst schon vor einigen Jahren ein New-Work-Messinstrument entwickelt hat, hält es für wichtig, dass Arbeitgebersiegel die Stimmen der Mitarbeitenden valide erfassen. "Wirklich verlässliche Aussagen über Arbeitgeber sind nur möglich, wenn mit einem wissenschaftlich fundierten Fragebogen die Mitarbeitenden auch repräsentativ befragt werden. Genauso wichtig sind auch persönliche Gespräche mit Führungskräften und Mitarbeitenden im Unternehmen."

Mit den Bewertungen auf Kununu ist zwar eine Mitarbeiterbewertung Teil des Qualifizierungsprozesses für das New-Work-Siegels. Doch diese Bewertungen stellen keinesfalls eine repräsentative Stichprobe bezüglich Mitarbeiterebene, Geschlecht oder Alter dar. Unsicher ist auch, ob sie manipuliert sind. Nicht selten sind die Einträge besonders negativ oder durch gezielte Arbeitgeberaufrufe übermäßig positiv gefärbt.

Das New-Work-Siegel als Blackbox

"Damit ein Fragebogen als wissenschaftlich fundiert betrachtet werden kann, muss dieser sich den bekannten psychometrischen Kriterien der Wissenschaft stellen. Dazu gehören die Objektivität, die Reliabilität und die Validität des Verfahrens", erklärt Prof. Dr. Carsten C. Schermuly von der SHR Hochschule Berlin, der ebenfalls selbst einen frei verfügbaren New-Work-Fragebogen entwickelt hat.

Wichtig seien Fragen wie: Misst der Fragebogen unabhängig vom Tester das Phänomen? Würde also der Test zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wenn ein anderer als die New Work SE ihn durchführt? Würde ein paralleler Test oder eine Testwiederholung dieselben Ergebnisse bringen? "Um das Instrument der New Work SE als wissenschaftlich zu bewerten und seinen Praxisnutzen einschätzen zu können, bedarf es an dieser Stelle belastbarer Studien und Zahlen", so Schermuly. Der Beweis, dass das neue Messinstrument umfassender oder zielsicherer New Work auf den Zahn fühlt, steht also noch aus. Der Fragebogen der HHL steht außerdem - im Gegensatz zu anderen New-Work-Messmethoden - nicht öffentlich zur Verfügung.

Große qualitative Unterschiede auf dem Arbeitgebersiegel-Markt

Werden letztlich also wirklich engagierte New-Work-Unternehmen mit dem Siegel prämiert und erhalten Beschäftigte dadurch echte Orientierung, bei welchen Arbeitgebern sie sich bewerben sollten, wenn sie auf Aspekte von New Work Wert legen? "Arbeitgebersiegel sind ein spezieller Markt. Einerseits gibt es sehr hochwertige Auszeichnungen, denen eine ausführliche, wissenschaftlich fundierte Zertifizierung im Unternehmen selbst zugrunde liegt. Andererseits kommen in den letzten Jahren immer neue Siegel auf den Markt, die aufgrund von mehr oder weniger fragwürdigen Methoden unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit öffentlich zugängliche Informationen auswerten", hat Stefan Scheller, Fachberater Personalmarketing von Datev, beobachtet. Jobsuchende könnten die Werthaltigkeit der meisten Arbeitgebersiegel sowie deren Inhalte allerdings nur in den seltensten Fällen realistisch einschätzen – somit stifteten sie keine tatsächliche Orientierung. Laut "Persoblogger" Stefan Scheller reiht sich das neue Arbeitgebersiegel der New Work SE erst einmal in diese Masse ein. Die Detail-Ergebnisse des Qualifizierungsprozesses sind nicht bei Kununu oder in dem Siegel-Logo einsehbar, sondern im Report, den der Arbeitgeber zusätzlich bekommt.

Siegel der New Work SE ist ein geschicktes Geschäftsmodell

Letztlich ist das New-Work-Arbeitgebersiegel ein Geschäftsmodell, das geschickt mit der hauseigenen Plattform Kununu verknüpft ist. Hätte die New Work SE ein wirklich wissenschaftlich unabhängiges Instrument entwickeln wollen, hätte sie den von der HHL entwickelten Fragebogen schließlich auch auf die Mitarbeiter anwenden können. Dieser Bruch im System entlarvt den eigentlichen Gedanken, der aus unternehmerischer Sicht der New Work SE nachvollziehbar ist: Um an dem Qualifizierungsprozess teilzunehmen, könnten Unternehmen ihre Beschäftigten verstärkt aufrufen, Arbeitgeberbewertungen auf der Plattform abzugeben und ihr damit mehr Traffic sowie eine größere Bedeutung für Arbeitgeber verschaffen. Sie erhalten schließlich nur das Siegel, wenn sie gewisse Schwellenwerte in den angesetzten Kriterien erreichen.

Personaler sollten Nutzwert für die Praxis abwägen

Es genügt zwar ein kostenfreies Profil auf Kununu, um den Siegelprozess zu starten, der 500 Euro kostet und den abschließenden Report einschließt. Zunächst ist das Siegel selbst kostenfrei – die Lizenzgebühr, um das Siegel in der eigenen Unternehmenswerbung zu nutzen, entfällt im ersten Jahr laut New Work SE, um Unternehmen, die bereits engagiert New Work leben, gerade in der Corona-Zeit die Chance zu geben, dies auch zu zeigen.

Langfristig sieht es aber anders aus: Wer das Siegel zu Marketingzwecken einsetzt, wird bezahlen. Deshalb sollten HR-Verantwortliche den Nutzwert gut abwägen. "Für uns bei Datev ist Werbewirksamkeit angesichts der Unübersichtlichkeit und großen qualitativen Unterschiede der Siegel nicht sonderlich attraktiv", meint jedenfalls Scheller. "Wir zeigen lieber direkt und ungefiltert, wie wir unsere Unternehmenskultur verstehen – mit Geschichten und Erlebnisse derjenigen, die es wissen müssen: unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter."


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Schlagworte zum Thema:  New Work, Employer Branding, Arbeitgeber