Leadership: "Macht ist ein Werkzeug"

Jeffrey Pfeffer, Professor an der Stanford University, beschäftigt sich schon sein Forscherleben lang mit dem Thema "Macht". Nun hat er ein Buch geschrieben, das praxisnahe Anweisungen geben will, wie man im Berufsleben Macht erlangt und behält. Alle Anweisungen sind seiner Aussage nach wissenschaftlich durch Studien belegt - und werden New Worker nicht erfreuen. Ein Interview mit der Zeitschrift "wirtschaft+weiterbildung".

wirtschaft+weiterbildung: Sie haben ein Buch mit sieben Regeln geschrieben, um mehr Macht im Berufsalltag zu bekommen. Das liest sich teils wie eine Anweisung zum Bluffen … 

Jeffrey Pfeffer: Wenn Sie etwas in Ihrer Karriere erreichen wollen, müssen Sie diese Regeln befolgen. Wenn Sie eine Organisation oder die Welt ändern möchten, brauchen Sie Macht. Macht ist ein Werkzeug, das man für verschiedene Zwecke nutzen kann, für gute und für weniger gute. Ein Grund, warum ich das Buch geschrieben habe, war die beobachtbare Realität der heutigen politischen und wirtschaftlichen Anführer, einschließlich, aber sicherlich nicht beschränkt auf Donald Trump, Jeff Bezos, Bill Gates, Meg Whitman und Elon Musk. Viele halten diese Personen und ihr Verhalten für anormal, erkennen aber nicht, dass diese Führungspersönlichkeiten die Regeln der Macht vorleben und wichtige Lektionen zum Thema Führung bieten. Ich finde es interessant, dass alles, was ich sage und schreibe, oft als kontrovers oder unkonventionell bezeichnet wird, obwohl alles durch zahlreiche wissenschaftliche Studien gestützt wird.

Mächtig zu erscheinen, lässt sich lernen

wirtschaft+weiterbildung: Eine Ihrer Regeln lautet, man solle "mächtig erscheinen". Sie raten zu mehr Schein als Sein?

Pfeffer: Sie müssen über sich selbst hinauswachsen. Die meisten glauben, das könnten sie nicht. Aber das sind Fähigkeiten, die gelernt werden können. Und wenn man sie lernen will, muss man sie üben. Das ist wie Schlittschuhlaufen oder Golf spielen. Man fühlt sich nicht wohl, weil man es nicht gut kann. Aber mit der Zeit wird man besser. Wir mögen das, was wir können. Und mögen das nicht, was wir nicht können. So ist es auch mit den "Power Skills".

Es ist wichtig zu verstehen, dass die Regeln der Macht nicht erfordern, dass Sie Ihre Persönlichkeit ändern. "Power Skills" und das entsprechende Verhalten können je nach Situation erlernt und selektiv geübt werden. Sie bestimmen nicht unbedingt, wer Sie sind oder wie Ihre Persönlichkeit ist. Sie können Ihre strategischen Interaktionen verbessern, ohne ein extrovertierter Netzwerker zu werden. Sie können selbstbewusst auftreten, auch wenn Sie sich nicht so fühlen. Sie können Dinge lernen und umsetzen, die Ihre Macht erhöhen, unabhängig davon wer Sie sind. 

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wirtschaft+weiterbildung: Der bloße Anschein von Kompetenz kann also tatsächlich zu einer echten Realität werden?

Pfeffer: Auf jeden Fall. Wir leben in einer Welt, in der es fast unmöglich ist, die Wahrheit herauszufinden. Deshalb ist der Schein immer die Wirklichkeit. Wenn alle denken, Sie sind ein Genie, dann sind Sie es auch.

wirtschaft+weiterbildung: Daher empfehlen Sie auch jedem, sich als eine starke persönliche Marke aufzubauen.  

Pfeffer: Jeder braucht eine Marke. Machen Sie mal folgende Übung: Denken Sie sich zwei oder drei Sätze aus, um sich und Ihre Leistungen, Ihr Fachwissen, Ihre Erfahrung zu beschreiben und eine Möglichkeit, dies mit einem Aspekt Ihrer persönlichen Geschichte zu verbinden. Dann holen Sie sich Feedback dazu von Berufskollegen und Freunden ein. Und dann überlegen Sie, wie Sie diese Botschaft in die Welt hinaustragen wollen. Das kann ein Podcast sein, das Schreiben eines Buchs, der Vortrag auf einer Konferenz oder gestalten Sie Ihre eigene Konferenz. Tun Sie alles, um Ihre Geschichte zu verbreiten. Und Sie müssen es auch gut machen. 

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wirtschaft+weiterbildung: Ihre Regeln widersprechen dem Zeitgeist von Kooperation, Wertschätzung und politisch korrektem Verhalten in den Unternehmen. Sind sie daher nicht überholt? 

Pfeffer: Elon Musk ist nicht nett zu seinen Mitarbeitern, Jeff Bezos sicher auch nicht. Es gibt keine Evidenz dafür, dass jetzt alles anders ist. Das ist einfach Wunschdenken. Was in der Führungsliteratur und im Gespräch über Organisationen geschieht, ähnelt sehr dem, was man in der Politik beobachten kann.  Die Menschen verwechseln das, was sie gerne glauben würden oder was sie gerne hätten, mit dem, was sie tatsächlich anwenden müssen, wenn sie wirklich effektiv sein wollen. 

Hierachien werden abgebaut? "Das ist doch Blödsinn"

wirtschaft+weiterbildung: Aber wozu braucht man Macht, wenn in den Unternehmen Hierarchien abgebaut werden ...

Pfeffer: Das ist doch Blödsinn. Es gibt weiter Hierarchien. Volkswagen hat einen Vorstandsvorsitzenden, Porsche und die Deutsche Telekom auch. Jede Firma hat einen Chef. Ich würde dem nicht viel Aufmerksamkeit gehen, was die Menschen sagen. Ich würde vor allem auf die Realitäten in der Welt setzen. Es gibt keine Evidenz dafür, dass sich etwas ändert.

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wirtschaft+weiterbildung: Heute heißt es oft, Führungskräfte müssen authentisch sein ... 

Pfeffer: Die Idee der authentischen Führung ist wissenschaftlich falsch und in vielerlei Hinsicht schädlich. Populäre Theorien wie transformationale und authentische Führung sind fehlerhaft, wie zwei skandinavische Forscher in einem preisgekrönten Artikel schreiben. Die Grundlagen, auf denen sie basieren, sind zu wackelig, um die Popularität zu rechtfertigen. Ich verweise nur auf Adam Grant. Der Wharton-Professor schreibt, Betrug hält unsere Welt in Schwung. Ohne Lügen würden Ehen zerbrechen, Mitarbeiter gefeuert, Egos zerschmettert und Regierungen kollabieren. Jahrzehntelange Forschung zur Selbstoffenbarung deutet darauf hin, dass sich verletzlich zu machen, indem man persönliche Informationen über sich selbst mitteilt, in der Regel die Sympathie und Gefühle der Nähe fördert.

Die Forschung zeigt jedoch auch die Nachteile, insbesondere bei aufgabenorientierten Interaktionen für Menschen in höheren Führungspositionen. So fanden Forscher heraus, dass die Selbstoffenbarung einer Schwäche zu geringerem Einfluss, größeren Konflikten, weniger Sympathie und einem geringeren Wunsch nach einer zukünftigen Beziehung führt und den Status des Offenbarenden abschwächt.

wirtschaft+weiterbildung: Sie plädieren dafür, unermüdlich zu netzwerken. Dabei sollten wir vor allem mit Menschen Kontakt suchen, mit denen wir bislang nur eine schwache Verbindung haben. 

Pfeffer: Die Logik ist klar. Menschen, mit denen eine enge Verbindung besteht, kennen dieselben Menschen und haben dieselben Informationen. Für was sind sie dann gut? Sie müssen mit Menschen Kontakt knüpfen, die verschieden sind. Dann lernen Sie auch neue Dinge. Sie brauchen viel mehr schwache Verbindungen als die meisten haben. Viele fühlen sich schlecht dabei, Kontakte mit anderen aus strategischen Gründen zu knüpfen. Dabei zeigt die Forschung eindeutig, dass professionelle Netzwerke den Erfolg erhöhen.  

Mutig die Regeln brechen, um Macht zu erlangen

wirtschaft+weiterbildung: Eine Ihrer Regeln heißt, wer Macht haben möchte, muss Regeln brechen. Warum?

Pfeffer: Die meisten Menschen befolgen die Regeln, weil ihnen das so beigebracht wurde. Von der frühesten Zeit der Sozialisation in der Kindheit an wird uns beigebracht, Autoritäten zu gehorchen. Wir lernen zu gehorchen, weil diese in der Regel ziemlich hart durchgreifen. Das Dilemma besteht darin, dass die Menschen sich zwar anpassen und akzeptiert werden wollen, aber sie wollen auch hervorstechen. Wenn man sich zu sehr anpasst, wird man unauffällig. Um Macht zu erlangen, muss man mutig sein.

Mehrere psychologische Mechanismen unterstützen die Idee, dass die Verletzung von Normen, Regeln und sozialen Konventionen den Regelbrecher mächtiger erscheinen lassen und ihm dadurch mehr Macht verschaffen. Mächtige sind freier, sich über soziale Normen und Konventionen hinwegzusetzen. Der Sozialwissenschaftler Gerben van Kleef von der Universität Amsterdam und seine Kollegen führten mehrere Experimente dazu durch und kamen zu dem Schluss, dass das Brechen von Regeln tatsächlich dazu führt, dass die Regelbrecher mächtiger erscheinen. 

wirtschaft+weiterbildung: Macht zu haben reicht nicht. Was muss man tun, um sie auch zu behalten?

Pfeffer: Sie müssen Ihre Macht nutzen, um sie zu konsolidieren. Die meisten Menschen, die Macht haben, benutzen sie, um mehr Macht zu bekommen und sie zu behalten. Sobald sie an der Macht sind, ändern sie die Regeln, sodass ihre Macht institutionalisiert wird, wie zum Beispiel bei den Mehrheitsanteilen, die in den Unternehmen des Silicon Valley immer häufiger zu finden sind. Sie müssen Ihre Rivalen loswerden. So wie Donald Trump die Republikanische Partei übernommen hat.

Das passiert in Unternehmen ständig. Wenn ein CEO an die Spitze eines Unternehmens kommt, entledigt er sich als Erstes der Führungsriege seines Vorgängers, und dann hat er keine Gegner mehr. Die Menschen erinnern sich nicht, dass es ursprünglich drei Gründer bei Apple gab. Oder nehmen Sie Jack Dorsey mit Twitter. Der erzählt eine Geschichte, die teils nicht wahr ist. Twitter wurde von Jack Dorsey, Biz Stone und Evan Williams gegründet. Biz Stone wurde von Dorsey rausgemobbt. Und Evan Williams ist vermutlich mehr verantwortlich für Twitter als Jack Dorsey. Sie müssen Ihre Wettbewerber loswerden und eine Story präsentieren, die Sie in einem möglichst positiven Licht erscheinen lässt. Sie brauchen ein gutes Narrativ.

Trump als Paradebeispiel für die Befolgung der Machtregeln

wirtschaft+weiterbildung: So wie Donald Trump?

Pfeffer: Ja! Mein Verlag hatte mir vorgeschlagen, ein Buch über die Geheimnisse von Donald Trump zu schreiben. Aber das wollte ich nicht tun. Trump folgt übrigens allen sieben Regeln. Und auch Vladimir Putin befolgt die Regeln sehr gut. Er ist komplett rücksichtslos. Diese Rücksichtslosigkeit hat ihm Vorteile gebracht. Jeder sagt, er überspannt den Bogen. Mir gefällt es nicht, was er getan hat und tut, aber andererseits regiert er Russland seit vielen Jahren, wahrscheinlich bis er tot ist. Dasselbe haben wir in China. 

wirtschaft+weiterbildung: Haben Sie einen Beleg für Ihre wichtigste Regel: Erfolg entschuldigt alles? 

Pfeffer: Wir werden von Geld und Macht angezogen. Wenn man das hat, neigen die Menschen dazu, zu verzeihen und zu vergessen, was man getan hat, um Macht zu erwerben. Sie rationalisieren, damit sie dem nahe sein können, was sie sich wünschen – Macht und Erfolg. Auch hierzu gibt es akademische Untersuchungen. Bill Gates hat den Code gestohlen, auf dem Microsoft aufbaut. Jack Dorsey war nicht der Gründer von Twitter. Keinen kümmert es. Die Vorstellung wird zur Realität, weil wir glauben, die Welt ist ein gerechter und fairer Ort. Das ist eine harte Lektion für uns alle.

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wirtschaft+weiterbildung: Ihr Buch basiert auf dem Kurs "The Path of Power", den Sie für MBA-Studierende an der Stanford University unterrichten. Wie kommt der Kurs eigentlich an?  

Pfeffer: Manche verleugnen meine Ausführungen, ungeachtet der zahlreichen sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse. Weil viele Prinzipien der Macht von dem abweichen, was die Menschen vielleicht anderswo über Macht gelesen oder gehört haben, oder was sie von ihren Familien oder in der Schule gelernt haben. Die Leugnung erfolgt meist in der Form, dass ein Gegenbeispiel gefunden wird von einer erfolgreichen Person, die die sieben Regeln der Macht nicht befolgt hat. Aber ein einziges Gegenbeispiel sagt gar nichts. 

Manche behaupten auch, diese Grundsätze seien nicht anwendbar, weil die sozialen Medien oder neue Generationen die Regeln der Macht verändert haben. Manche sagen, sie gelten nicht in bestimmten Kulturen – zum Beispiel in Asien – oder in kleinen Unternehmen, in der Hochtechnologie oder in Partnerschaften. Verleugnung nimmt viele Formen an. Aber die Regeln gelten überall. Und die meisten Studenten sagen, dass die Regeln ihnen sehr geholfen hätten.

wirtschaft+weiterbildung: Gilt das besonders für Frauen?

Pfeffer: Menschen aus privilegierten Verhältnissen, die in der heutigen Gesellschaft in der Regel weiße Männer aus den oberen sozioökonomischen Schichten sind, brauchen die Machtkompetenzen natürlich viel weniger als Frauen oder farbige Menschen. Die Regeln sind wichtiger für Menschen, die nach oben wollen. Wenn Sie etwas erreichen wollen, müssen Sie Macht haben. Wenn sich die Welt ohne Macht verändern würde, hätte sie sich bereits verändert. Aber die Dinge sind im Gleichgewicht, und wenn man sie aus dem Gleichgewicht bringen will, braucht man eine gewisse Kraft. Das ist Physik, angewandt auf das Verhalten von Organisationen.

wirtschaft+weiterbildung: Werden am Ende damit die Falschen Erfolg haben? 

Pfeffer: Nein! Es werden diejenigen an der Spitze sein, die das Spiel am besten spielen. Sie können nicht ein Fußballspiel kritisieren, ohne zu wissen, wie es funktioniert. Und dann müssen Sie das Spiel besser spielen als Ihre Gegner. Es gibt kein Gesetz, das man in einem Unternehmen an die Spitze kommt, nur weil man sehr gutes technisches Wissen hat. Evident ist, dass die "Power Skills" wichtig sind. Sie müssen sie beherrschen. Oder Sie müssen sich über Ihr Schicksal beklagen und sagen, ich mag das nicht, wie die Welt funktioniert. Aber das ist nicht sehr hilfreich. 

Um etwas zu ändern, brauchen Sie Macht. Die Menschen stehen nun mal im Wettbewerb, die Wirtschaft ist im Wettbewerb und wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft, wo nicht jeder gewinnen wird. Also müssen Sie das Beste daraus machen. Macht ist ein Werkzeug, das für jeden beliebigen Zweck eingesetzt werden kann. Man sollte den Wert des Werkzeugs nicht damit verwechseln, wie es eingesetzt wird.


Das Interview ist zunächst in der Zeitschrift "wirtschaft+weiterbildung", Ausgabe 09/2022, mit dem Titelthema "Mut zur Macht" erschienen.


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Schlagworte zum Thema:  Mitarbeiterführung, Leadership, New Work