Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt: neue Entwicklungen

Künstliche Intelligenz und Robotik dringen immer weiter in die Arbeitswelt vor. Dabei verschwimmen auch die Grenzen von physischer und digitaler Welt immer stärker. Ein Überblick über die neusten Entwicklungen im Bereich der Mensch-Maschine-Kollaboration.

Der weltweite Bestand an Industrie-Robotern hat mit rund 3,5 Millionen Einheiten einen neuen Rekord erreicht – das meldete die International Federation of Robotics (IFR) Ende März 2023. Den größten Anteil daran hat die Automobilindustrie, in der weltweit rund eine Million Roboter im Einsatz sind.  

"Die Automobil-Industrie hat die automatisierte Fertigung praktisch erfunden", sagt Marina Bill, Präsidentin der International Federation of Robotics. "Heute spielen Roboter beim Übergang von Verbrenner-Motoren zum E-Auto eine entscheidende Rolle. Die Automatisierung mit Robotern hilft den Herstellern dabei, grundlegende Veränderungen bei den seit langer Zeit etablierten Fertigungsmethoden und -technologien zu bewältigen."

Die meisten Automobilhersteller, die bereits auf traditionelle Industrieroboter mit Schutzzäunen für die Basismontage gesetzt haben, investieren nun auch in kollaborative Anwendungen für die Endmontage und Endbearbeitung.

Fünf Roboter-Trends für die Arbeitswelt 2023

Folgende fünf Trends sieht die International Federation of Robotics für das Jahr 2023 im Bereich Robotik und Automatisierung:

1. Energie-Effizienz

Der Einsatz von Robotern trägt entscheidend dazu bei, den Energieverbrauch in der Fertigung zu senken. Im Vergleich zur traditionellen Fließbandproduktion lassen sich mit Automation durch reduzierte Raumtemperatur erhebliche Energieeinsparungen erzielen. Gleichzeitig arbeiten Roboter mit hoher Geschwindigkeit und steigern damit die Produktionsraten, sodass die Fertigung insgesamt zeit- und energieeffizienter wird. Um die Nachhaltigkeitsziele für ihre Produktion zu erreichen, setzen Unternehmen Industrieroboter ein, die mit energiesparender Technologie ausgestattet sind: Robotersteuerungen können zum Beispiel Bewegungsenergie in Strom umwandeln und in das Stromnetz zurückspeisen.

2. Rückverlagerung (Reshoring)

Automobilhersteller investieren stark in kurze Lieferketten, um die Prozesse näher an ihre Kunden zu bringen. Diese Hersteller setzen Roboterautomatisierung ein, um leistungsstarke Batterien für E-Autos kostengünstig und in großen Stückzahlen herzustellen. Beispielsweise baut VW gerade eine solche Batteriefabrik in Salzgitter (lesen Sie dazu mehr in Personalmagazin 5/2023 mit dem Schwerpunkt "Orte der Transformation").

Auch die Mikrochip-Produktion wird teilweise von den USA nach Europa zurückverlagert. Da die meisten Industrieprodukte heutzutage einen Halbleiterchip benötigen, um zu funktionieren, ist deren Bereitstellung in Kundennähe wichtig. Da Roboter die extremen Präzisionsanforderungen in der Chipfertigung erfüllen können, spielen sie bei solchen Projekten eine entscheidende Rolle. Speziell entwickelte Roboter automatisieren beispielsweise die Herstellung von Siliziumwafern, übernehmen Reinigungs- und Säuberungsaufgaben oder testen integrierte Schaltkreise.

3. Einfache Bedienung und "Low-Cost-Robotik"

Die Programmierung von Robotern ist einfacher geworden und auch für Nicht-Experten möglich. Anbieter von softwaregesteuerten Automatisierungsplattformen unterstützen die Unternehmen, indem Industrieroboter von den Nutzern ohne vorherige Programmiererfahrung bedienbar sind. Erstausrüster arbeiten Hand in Hand mit Low-Code- oder sogar No-Code-Technologiepartnern zusammen: So können Mitarbeitende aller Qualifikationsstufen einen Roboter selber programmieren.

Die einfach zu bedienende Software wird mit intuitiver Anwendungslogik verknüpft und ersetzt damit die aufwändige Roboterprogrammierung. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Roboterautomatisierung. Software-Startups erobern diesen Markt mit spezialisierten Lösungen, die auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen zugeschnitten sind. Einfach bedienbare Programmierschnittstellen, die es den Kunden möglich machen, Roboter selbst einzurichten, treiben auch das neu entstehende Segment kostengünstiger Lösungen an – die sogenannte "Low-Cost-Robotik".

4. Künstliche Intelligenz und digitale Automatisierung

Künstliche Intelligenz (KI) bietet der Robotik großes Potenzial und ermöglicht eine Reihe von Vorteilen in der Fertigung: Das Hauptziel des KI-Einsatzes besteht darin, Schwankungen und Unvorhersehbarkeiten in der äußeren Umgebung besser zu bewältigen - entweder in Echtzeit oder offline. Damit spielt KI, die auf maschinellem Lernen basiert, eine immer größere Rolle in Softwareangeboten, von denen laufende Systeme profitieren. Dazu zählen beispielsweise die Prozessoptimierung, vorausschauende Wartung oder bildverarbeitungsbasiertes Greifen. KI ist zudem in Umgebungen nützlich, in denen mobile Roboter Objekten oder Personen begegnen. Diese müssen voneinander unterschieden werden und die Roboter müssen lernen, unterschiedlich zu reagieren.

5. Ein "zweites Leben" für Industrieroboter

Da Industrieroboter eine Lebensdauer von bis zu dreißig Jahren haben, sind neue technische Ausrüstungen eine gute Gelegenheit, alten Robotern ein "zweites Leben" zu geben. Hersteller von Industrierobotern wie ABB, Fanuc, Kuka, Stäubli oder Yaskawa betreiben spezialisierte Reparaturzentren in der Nähe ihrer Kunden, um gebrauchte Geräte zu überholen oder aufzurüsten. Diese "Prepared-to-Repair"-Strategie für Roboterhersteller und ihre Kunden spart ebenfalls Kosten und Ressourcen. Kunden langfristige Reparaturen anzubieten ist zudem ein wichtiger Beitrag für die Kreislaufwirtschaft.

Kollaborative Roboter: Cobots auf dem Vormarsch

Ein weiterer Trend ist die immer engere Mensch-Maschine-Kollaboration. Kollaborative Roboter - auch "Cobots" genannt - sind Industrieroboter, die zusammen mit Menschen arbeiten. Cobots sind so konstruiert, dass sie in einem gemeinsamen Arbeitsumfeld ohne Käfige oder Schutzeinrichtungen arbeiten können und den Menschen bei komplexen Aufgaben, die nicht vollständig automatisierbar sind, assistieren. Zwar liegt der Anteil der Cobots bislang im einstelligen prozentualen Bereich, doch die Wachstumsaussichten für diese kollaborativen Roboter sind gut - nicht nur, weil sie keine Schutzzäune benötigen, sondern auch weil sie leicht zu programmieren sind und als besonders flexibel gelten.

Roboter mit Empathie: Teamwork von Mensch und Maschine

Das mit EU-Mitteln geförderte Forschungsprojekt Fluently unter der Leitung von Roboverse Reply will eine Roboterplattform schaffen, die eine echte soziale Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ermöglicht. Das auf drei Jahre angelegte Projekt verfolgt zwei Ziele: die Entwicklung eines auf KI basierenden, tragbaren Geräts für Industriearbeiter und Roboter sowie die Entwicklung eines speziellen Schulungszentrums mit der Bezeichnung "The Fluently Robo Gym", in dem Fabrikarbeiter und Robotern eine reibungslose Interaktion im Industrieprozess trainieren können. 

"Arbeiter sind oft hohen kognitiven oder physischen Belastungen ausgesetzt", erklärt Professorin Anna Valente, Leiterin des Labors für Automation, Robotik und Maschinen der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI), das für die technische Koordination des Projekts zuständig ist. "Wenn ein Mensch eng mit einem Roboter zusammenarbeitet, ist es wichtig, dass der Roboter die Gefühle des Menschen erkennt und entsprechend reagiert, indem er zum Beispiel seine Dynamik anpasst. Wir wollen Roboter zu Teamkollegen des Menschen ausbilden, die ihn so gut wie möglich unterstützen." 

Die Fluently-Forscher konzentrieren ihre Entwicklungsarbeit auf drei für die europäische Wirtschaft wichtige Wertschöpfungsketten: die Demontage und das Recycling von Batterien für E-Bikes und Elektrofahrzeuge, Prüf- und Montageprozesse in der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie die Aufarbeitung hochkomplexer Industrieteile mittels Laserbearbeitung.

Roboter als Bäcker, Koch, Pflegekraft: Bakista backt Brötchen

Inzwischen sind Roboter nicht nur in der Industrie, sondern auch in Wäschereien und auf Bauernhöfen im Einsatz. Demnächst könnten sie auch in Bäckereien Einzug halten: So hat der weltgrößte Roboterhersteller Fanuc, der auch am Fluently-Projekt beteiligt ist, zusammen mit einem Backofenhersteller und einem Retail-Spezialisten den Roboter "Bakisto" entwickelt. Bakisto übernimmt wichtige Arbeitsschritte vom Belegen des Backblechs über die Eingabe und Entnahme des Blechs aus dem Ofen bis hin zum Bestücken der Auslagen. Bei entsprechender Programmierung kann Bakisto frühmorgens selbstständig mit dem Backen beginnen – und die Mitarbeitenden können dadurch länger schlafen.

Auch gegen Lebensmittelverschwendung hilft das Robotersystem: Bakisto berechnet mithilfe von KI, wie viele Brötchen, Croissants oder Teilchen im Tagesverlauf voraussichtlich nachgefragt werden, bereitet die Backwaren vor und holt sie zur richtigen Zeit aus dem Ofen. "Die Verkaufsmengen sind stark abhängig vom Wetter, von Schulferien oder Veranstaltungen. Unser System berücksichtigt diese Daten und backt entsprechende Mengen", sagt Ralf Völlinger, General Manager Robot Business Division bei Fanuc Europe.

Auch in der Hotellerie kommen Roboter zum Einsatz. Beispielsweise bereiteten bei den Olympischen Spielen in Peking 2022 Koch-Roboter warme Speisen ohne menschliche Hilfe zu. Sogar in der Pflege und anderen sozialen Tätigkeiten, zum Beispiel als Stütze psychisch labiler Menschen, sind bereits Roboter im Einsatz.

ChatGPT und generative KI leiten neue Ära ein

Der rasante Aufstieg von ChatGPT hat die Aufmerksamkeit der Welt darauf gelenkt, wie generative KI menschliche Fähigkeiten erweitern kann. Der Begriff generative KI beschreibt Technologien im Bereich der künstlichen Intelligenz, die originäre Inhalte erzeugen (generieren) können. Auf Basis einer Datenbank, mithilfe derer die generative KI trainiert wird, erstellt diese durch Algorithmen beispielsweise neue Bilder, Musikstücke, Texte, Filme oder auch 3D-Modelle und Codesequenzen.

Die Unternehmensberatung Accenture schätzt in ihrem aktuellen Studienbericht "Technology Vision 2023", dass in Zukunft bis zu 40 Prozent der heutigen Tätigkeiten durch sprachbasierte KI unterstützt oder verändert werden können. Nahezu alle für die Studie befragten Führungskräfte sind sich einig, dass generative KI als "Co-Pilot", kreativer Partner oder Berater die Kreativität und Innovationsfähigkeit von Unternehmen erheblich fördern (98 Prozent) und eine neue Ära der Unternehmensintelligenz einleiten wird (95 Prozent).

Weitere Thesen, wie ChatGPT die Wirtschaft verändern wird, hat Darden-Professor Anton Korinek formuliert. Auch in HR bieten sich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten von ChatGPT, beispielsweise bei der Formulierung von Stellenanzeigen oder im Employer Branding (lesen Sie hier mehr zum Einsatz von ChatGPT in HR).


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