bAV: Betriebsrentenanpassung in einer wirtschaftlichen Krise

Der Arbeitgeber muss alle drei Jahre die laufenden Betriebsrenten überprüfen und über eine Anpassung entscheiden. In der Coronakrise sind einige Unternehmen jedoch wirtschaftlich nicht in der Lage, die Betriebsrenten zu erhöhen. In welchen Fällen muss der Arbeitgeber eine Anpassung vornehmen? Was müssen Unternehmen bei der Substanzerhaltungsanalyse beachten?

Die Anpassung laufender Betriebsrenten stellt für viele Unternehmen eine finanzielle Belastung dar, vor allem wenn sich der von der Versorgungsordnung erfasste Kreis der Personen bereits aus vielen Rentnern zusammensetzt. Aktuell trifft die Anpassung die Unternehmen besonders hart, die in Folge der Coronapandemie in einer wirtschaftlichen Krise sind. Viele sehen sich nicht in der Lage, die laufenden Betriebsrenten zu erhöhen. Was ist hierbei zu berücksichtigen?

Betriebsrente: Anpassungsprüfungspflicht des § 16 BetrAVG

Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) sieht in § 16 Abs. 1 BetrAVG vor, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, laufende Betriebsrenten alle drei Jahre auf eine Anpassung hin zu überprüfen und über eine Anpassung zu entscheiden. Hintergrund beziehungsweise Ziel ist, einen durch Inflation bedingten Kaufkraftverlust zu vermeiden. Die Entscheidung hat nach billigem Ermessen zu erfolgen. Hierbei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

Die Prüfung ist grundsätzlich zwar alle drei Jahre vorzunehmen. Doch bei größeren Beständen kann man einen einheitlichen Prüftermin festlegen, zum Beispiel den 1. Juli eines jeden Jahres. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, alle laufenden Renten nur alle drei Jahre einheitlich zu prüfen, sofern auch die Rentner mit einbezogen werden, deren Rente im Rahmen des dreijährigen Prüfzyklus noch nicht zur Anpassung anstehen würde (vgl. z.B. BAG vom 30.08.2005 - 3 AZR 395/04).

Verpflichtung zur Rentenanpassung: Belange der Versorgungsempfänger

Der Empfänger einer laufenden Leistung hat ein berechtigtes Interesse daran, dass die Leistung kaufkraftstabil ist (vgl. BAG vom 23.04.1985 – 3 AZR 156/83). Diese beziehungsweise der Kaufkraftverlust kann entweder an der Entwicklung des vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisindexes ermittelt werden oder an der Entwicklung der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen im Unternehmen.

Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers 

Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers lässt eine Anpassung laufender Leistungen dann zu, wenn die Substanz des Unternehmens erhalten bleibt und die Arbeitsplätze der aktiven Arbeitnehmer durch die Anpassung nicht gefährdet werden (vgl. BAG vom 23.04.1985 – 3 AZR 156/83). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Anpassung wirtschaftlich möglich ist, wenn die Eigenkapitalverzinsung des Unternehmens der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen, für aktive Unternehmen zuzüglich eines Risikozuschlags in Höhe von zwei Prozentpunkten beträgt. Scheingewinne und betriebswirtschaftlich überhöhte Abschreibungen sind außen vor zu lassen. Maßgeblich ist das Eigenkapital gemäß § 266 HGB und der HGB-Jahresabschluss (vgl. BAG vom 18.02.2003 – 3 AZR 172/02).

So ist insbesondere eine Anpassung nicht vorzunehmen, wenn

  • sie nur durch Eingriffe in die Vermögenssubstanz erfolgen könnte,
  • Verluste im Eigenkapital nur durch Einlagen der Gesellschafter ausgeglichen wurden und/oder
  • neues Kapital nur durch die Thesaurierung von künftigen Gewinnen gebildet werden konnte, um den Eigenkapitalverzehr auszugleichen.

Pflichten des Arbeitgebers bei Unterlassen der Betriebsrentenanpassung

Eine zu Recht unterbliebene Anpassung muss seit dem 1. Januar 1999 nicht später nachgeholt werden (§ 16 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG). Als zu Recht unterlassen gilt eine Anpassung dann, wenn der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schriftlich dargelegt hat, der Versorgungsempfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugang der Mitteilung schriftlich widersprochen hat und er auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgemäßen Widerspruchs hingewiesen wurde.

Das heißt, wenn der Arbeitgeber die Anpassung aussetzt, ist er hinsichtlich dieser Entscheidung darlegungs- und beweispflichtig. Herangezogen werden hier regelmäßig betriebswirtschaftliche Prognosen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft. Weiter werden die handelsrechtlichen Jahresabschlüsse der vergangenen Jahre herangezogen, um die Eigenkapitalverzinsung zu ermitteln und die wirtschaftliche Entwicklung darzustellen. Den Rentnern muss die Nicht-Anpassung laufender Renten dargelegt und erläutert werden, sodass er die Entscheidung hinsichtlich ihrer Begründung nachvollziehen und verifizieren kann. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt regelmäßig hohe Anforderungen an solche Schreiben. Nur wenn die Anpassung zu Recht unterblieben ist, muss sie später, bei Besserung der wirtschaftlichen Lage, nicht nachgeholt werden (vgl. BAG vom 11.10.2011 – 3 AZR 732/09).

Damit kommt der Begründung einer Nicht-Anpassung besondere Bedeutung zu. Arbeitgeber müssen hier sehr genau und nachvollziehbar, wirtschaftlich fundiert und plausibel begründen, dass die Anpassung aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfolgen kann und die Nicht-Anpassung zu Recht erfolgt. In der Praxis hat sich hier eine sogenannte Substanzerhaltungsanalyse bewährt.

Substanzerhaltungsanalyse zur Begründung einer Nicht-Anpassung

Grundsätzlich nimmt das BAG eine gesamtheitliche Betrachtung vor; es beurteilt die wirtschaftliche Lage als zukunftsbezogene Größe, für die als Indiz die bisherige wirtschaftliche Entwicklung herangezogen werden kann, soweit diese Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung zulässt.

Eigenkapitalausstattung des Unternehmens als maßgebliche Kenngröße

Wesentliche Kenngröße für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers ist die Eigenkapitalausstattung. Aus der Entwicklung der Eigenkapitalausstattung ergibt sich der Wertzuwachs des Unternehmens. Für seine Ermittlung stellt das BAG auf den handelsrechtlichen Eigenkapitalbegriff im Sinne des § 266 Abs. 3 lit. A HGB ab, nach dem sich das Eigenkapital aus dem gezeichneten Kapital, einer etwaigen Kapitalrücklage, einer etwaigen Gewinnrücklage, einem etwaigen Gewinn- beziehungsweise Verlustvortrag sowie dem Jahresüberschuss beziehungsweise -fehlbetrag zusammensetzt.

Eigenkapital
I. Gezeichnetes Kapital
II. Kapitalrücklage
III. Gewinnrücklagen
IV. Gewinnvortrag/Verlustvortrag
V. Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag

Abb. 1: maßgebliches Eigenkapital gem. § 266 Abs. 3 lit. A HGB

BAG modifiziert Eigenkapitalbegriff für die Interessenabwägung

Diesen Eigenkapitalbegriff modifiziert das BAG für die Interessenabwägung nach § 16 BetrAVG mit einzelnen Korrekturkriterien. Zugunsten des Arbeitgebers sind bereits begründete, aber nicht bilanzierte Versorgungspflichten eigenkapitalreduzierend zu berücksichtigen, da es einem verständigen Kaufmann nicht zugemutet werden kann, später benötigtes Kapital bereits jetzt zusätzlich auszugeben. Außerdem darf der Arbeitgeber den – vor allem aufgrund eines etwa bereits angefallenen Investitionsstaus – konkreten Investitionsbedarf zur Sicherung der Fortführung seines Unternehmens eigenkapitalreduzierend berücksichtigen.

Des Weiteren sind außerordentliche Erträge und Aufwendungen – sofern sie keine ausreichende Kontinuität aufweisen – sowie Scheingewinne für die Kalkulation des für die Anpassungsentscheidung nach § 16 BetrAVG maßgeblichen Eigenkapitals in der Regel herauszurechnen. Zugunsten des Arbeitnehmers sind betriebswirtschaftlich überhöhte Abschreibungen dem Eigenkapital wieder zuzuschreiben. Da sich das Eigenkapital im Laufe eines Geschäftsjahres ständig verändert, ist von einem Durchschnittswert aus dem Eigenkapital zu Beginn und zum Ende des Geschäftsjahres auszugehen.

Eigenkapital
-    Bereits begründete, aber noch nicht bilanzierte Versorgungsverpflichtungen
-    Absehbarer Investitionsbedarf
+/- außerordentliche Erträge/Aufwendungen
-    Scheingewinne
     + überhöhte Abschreibungen
     Eigenkapital für Anpassungsprüfung – Durchschnitt aus Wert zu Jahresanfang und Jahresende

Abb. 2: Modifikation des Eigenkapitals für die Ermittlung der Eigenkapitalrendite im Rahmen der Anpassungsprüfungspflicht

Keine Anpassungspflicht bei unzureichender Eigenkapitalausstattung

Eine unzureichende Eigenkapitalausstattung steht einer Anpassung der Rentenansprüche bereits entgegen, wenn die aus den zukünftigen Betriebsrentenansprüchen resultierenden Versorgungslasten das Eigenkapital übersteigen. Zudem kann sich die fehlende Belastbarkeit des Unternehmens und eine Nicht-Anpassung der Betriebsrenten im Sinne des § 16 BetrAVG auch aus einer Eigenkapitalauszehrung ergeben. Eine solche liegt vor, wenn das Eigenkapital unter der Summe des gezeichneten Kapitals und der Kapitalrücklagen liegt. Hier muss der Arbeitgeber zunächst verlorene Vermögenssubstanz wieder aufbauen und darf dazu die nach der Verlustphase erzielten Jahresüberschüsse für die Auffüllung der Eigenkapitalausstattung berücksichtigen.

Keine Anpassungspflicht bei unzureichender Verzinsung des Eigenkapitals

Die Berücksichtigung einer angemessenen Eigenkapitalverzinsung ist erforderlich, da andernfalls die Eigenkapitalgeber das Kapital abziehen und damit die Grundlage der Substanzerhaltung und der Wahrung von Arbeitsplätzen aktiver Mitarbeiter gefährdet würde.

Bei einer ungenügenden Eigenkapitalverzinsung reicht die Ertragskraft des Unternehmens nicht aus, um die Anpassungen finanzieren zu können. Die angemessene Eigenkapitalverzinsung besteht grundsätzlich aus einem Basiszins und einem Zuschlag für das Risiko, dem das in dem Unternehmen investierte Kapital ausgesetzt ist. Der Basiszins entspricht der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen. Allerdings kommt es trotz des mindestens dreijährigen Prognosezeitraums nicht auf die Umlaufrendite von öffentlichen Anleihen mit einer Laufzeit von nur drei Jahren an. Im Wettbewerb behaupten kann sich ein Unternehmen nur, wenn es langfristig Gewinne abwirft, also nicht nur bis zum nächsten Anpassungsstichtag eine angemessene Eigenkapitalrendite erwirtschaftet.

Hierfür sind festverzinsliche Wertpapiere mit einer langfristig erzielbaren Rendite (weiterhin) ein geeigneter Anhaltspunkt. Der Risikozuschlag beträgt zwei Prozent. Bei der Berechnung der Eigenkapitalverzinsung ist auf die erzielten Betriebsergebnisse und auf die Höhe des Eigenkapitals abzustellen. Beide Berechnungsfaktoren sind auf der Grundlage der nach den handelsrechtlichen Rechnungslegungsregeln erstellten Jahresabschlüsse zu bestimmen.

Berechnung der angemessenen Eigenkapitalrendite

In der Literatur ist vereinzelt vorgeschlagen worden, die Rentabilität des Eigenkapitals aufgrund der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank anhand anderer Kenngrößen, wie zum Beispiel der Rendite der Rückstellungsabzinsungsverordnung oder dem Kurs-Gewinn-Verhältnis börsennotierter Aktien, zu bestimmen. Das BAG lehnt es jedoch (bisher) aus Gründen der Rechtssicherheit ab, seine ständige Rechtsprechung zur Berechnung einer angemessenen Eigenkapitalverzinsung zu ändern. Auch in der jüngsten Rechtsprechung hat das BAG nochmals bekräftigt, dass sich die angemessene Eigenkapitalverzinsung nach der Umlaufrendite für öffentliche Anleihen zuzüglich eines Risikozuschlags von zwei Prozent richtet (vgl. BAG vom 22.01.2019 - 3 AZR 616/17). Bei der Anpassungsanalyse besteht daher unseres Erachtens kein Spielraum, andere Kenngrößen für die Berechnung der angemessenen Eigenkapitalrendite zu verwenden.

Schritte bei der Substanzerhaltungsanalyse

Auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechung zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers wird das Anpassungspotenzial im Rahmen einer sogenannten Substanzerhaltungsanalyse ermittelt.

  1. Ermittlung der Ertragslage auf Basis der handelsrechtlichen Jahresabschlüsse
  2. Bereinigung des Ergebnisses durch betriebswirtschaftliche Korrekturen (zum Beispiel überhöhte Abschreibungen, außerordentliche Erträge/Aufwendungen, sonstige Steuern)
  3. Analyse zur Eigenkapitalausstattung
  4. Berechnung der Eigenkapitalverzinsung
  5. Ermittlung des Anpassungspotenzials

Ergebnis: keine, teilweise oder volle Anpassung laufender Renten

Am Ende ergibt sich eine Entscheidungsgrundlage über die Anpassung. Daraus ergeben sich drei Entscheidungssituationen:

  1. Vollanpassung der laufenden Renten möglich
  2. Teilanpassung möglich
  3. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage ist aktuell keine Anpassung möglich

Beispiel: Entscheidung über Anpassung der Betriebsrente

Ein stark verkürztes Beispiel möge das Vorgehen bei der Substanzerhaltungsanalyse verdeutlichen. Aus Vereinfachungsgründen wurde eine Umlaufrendite öffentlicher Anleihen in Höhe von einem Prozent unterstellt.

Beispiel Betriebsrentenanpassung Substanzerhaltungsanalyse

Eine teilweise Anpassung laufender Leistungen kann zum Beispiel angezeigt sein, wenn eine positive Eigenkapitalrendite erwirtschaftet werden konnte, jedoch Teile des aktuellen Vermögenszuwachses noch zum Ausgleich verlorener Vermögenssubstanz aus den Vorjahren verwendet werden muss.

Die Substanzerhaltungsanalyse bietet neben der Entscheidungsgrundlage auch einen neutralen Nachweis für die Anpassungsentscheidung gegenüber Anspruchsberechtigten sowie gegebenenfalls Arbeitnehmervertretern.

Anpassung laufender Betriebsrenten – ein Fazit

Unternehmen sind in Anbetracht der hohen Anforderungen des BAG an eine zu Recht unterlassene Anpassung laufender Betriebsrenten gut beraten, mittels einer Substanzerhaltungsanalyse Klarheit über die (fehlende) Notwendigkeit einer Anpassung laufender Betriebsrenten zu bekommen. Hiermit schaffen sie die Basis für eine zu Recht unterlassene Anpassung, die zu späteren Prüfungszeitpunkten nicht nachgeholt werden muss.


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