Rz. 401

In der Regel ist bei allen Formen der Pflichtwidrigkeiten – auch bei Störungen im Vertrauensbereich – vor Ausspruch einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung erforderlich.[1] Eine Abmahnung ist vor allem dann notwendig, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann.[2] Die von der früheren Rechtsprechung vorgenommene Differenzierung nach verschiedenen Störbereichen ist aufgegeben.[3]

 

Rz. 402

Die Abmahnung ist nur dann ein geeignetes Mittel, wenn sie zu einem Erfolg führen kann. Sie kann daher vor allem in 2 Fallgestaltungen entbehrlich sein:

  • Gibt der Arbeitnehmer trotz Kenntnis der Pflichtwidrigkeit zu erkennen, dass er sich (künftig) nicht vertragsgetreu verhalten will, ist die Abmahnung erfolglos.
  • Handelt es sich ferner um eine schwere Pflichtverletzung, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist, ist eine Abmahnung ebenfalls nicht erforderlich.[4]
 

Rz. 403

Nachfolgend finden sich Rechtsprechungsbeispiele, bei denen die Erteilung einer Abmahnung entbehrlich war:

  • Diebstahl oder Unterschlagung von Eigentum des Arbeitgebers – auch geringwertiger Sachen –, welches sich in der Obhut des Arbeitnehmers befindet, wodurch das Vertrauensverhältnis der Parteien objektiv erheblich belastet wird[5]; Kassenmanipulation, um sich auf Kosten des Arbeitgebers zu bereichern[6]: Eine Abmahnung ist dagegen dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen, etwa aufgrund einer unklaren Regelung oder Anweisung annehmen konnte, sein – objektiv strafbares – Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als kündigungsrelevant angesehen, z. B. weil nach langjähriger störungsfreier Beschäftigung eine vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers erfolgt ist.[7]
  • Arbeitszeitmanipulation[8]
  • Hartnäckige und uneinsichtige Arbeitsverweigerung[9]
  • Missbrauch des Bereitschaftsdienstzimmers zu privaten Zwecken unter Ausnutzung der Stellung als Arzt und Überschreitung der gebotenen Distanz zu Patienten durch Durchführung des Geschlechtsverkehrs[10]
  • Private exzessive Nutzung des Internets während der Arbeitszeit[11]
  • Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses[12]
  • Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit oder genesungswidriges Verhalten[13]
  • Androhung einer künftigen Erkrankung für den Fall der Nichtgewährung von Erholungsurlaub ohne Krankheitsanzeichen zum Zeitpunkt der Ankündigung[14]
  • Vortäuschen von Geldauszahlungen an Kunden durch einen Bankangestellten, um die Beträge zu eigenen Zwecken zu verwenden[15]
  • Schmiergeldannahme[16]
  • Ausübung einer Nebentätigkeit während einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit[17]
  • Sexuelle Belästigung anderer Mitarbeiter[18]
  • Stalking[19]
  • Mehrfache grob fahrlässige Pflichtverletzung mit erheblicher Schadensfolge[20]
  • Antisemitische Äußerungen[21]
  • Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen[22]
 

Rz. 404

Für die Warnwirkung der Abmahnung ist es nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen. Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren. Damit reicht die Abmahnung wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung.[23]

 

Beispiel

Der Mitarbeiter war wegen des Schlags auf das Gesäß einer Mitarbeiterin abgemahnt worden. Später belästigte er eine Mitarbeiterin an 2 Arbeitstagen hintereinander verbal sexuell. Die Warnfunktion der Abmahnung war nicht auf ein körperlich belästigendes Verhalten beschränkt. Der Arbeitnehmer musste ohne Weiteres erkennen können, dass eine neue sexuelle Belästigung – unabhängig davon, ob sie verbal oder körperlich durchgeführt würde – nicht hingenommen wird.[24]

 

Rz. 405

Ist eine Abmahnung nicht entbehrlich, gibt es keine Regel für die Anzahl der Abmahnungen, die vor Ausspruch einer Kündigung erteilt sein müssen. Insbesondere ist die häufig geäußerte Ansicht, es bedürfe immer und auch ausschließlich 2 vorangegangener Abmahnungen, irrig. Ist der Arbeitnehmer bereits wegen gleichartiger Pflichtverletzungen abgemahnt und verletzt er seine vertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen. Entscheidend ist, ob eine negative Prognose gestellt werden kann, was wiederum von einer Einzelfallprüfung abhängig ist. Unter Umständen kann bei erheblichen Vertragspflichtverletzungen – wenn eine Abmahnung nicht sowieso entbehrlich ist – die Erteilung nur einer Abmahnung ausreichen. Bei relativ geringfügigen Verstößen, wie z. B. bei kleineren Verspätungen ohne größere betriebliche Auswirkungen, sin...

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