Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Arbeitszeitgestaltung

 

Normenkette

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 31 Abs. 2

 

Beteiligte

MÁV-START

IH

MÁV-START Vasúti Személyszállító Zrt.

 

Tenor

1.Art. 5 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

die in Art. 3 dieser Richtlinie vorgesehene tägliche Ruhezeit nicht Teil der wöchentlichen Ruhezeit gemäß Art. 5 ist, sondern zu dieser hinzukommt.

2.Die Art. 3 und 5 der Richtlinie 2003/88 sind im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

dann, wenn eine nationale Regelung eine wöchentliche Ruhezeit von mehr als 35 zusammenhängenden Stunden vorsieht, dem Arbeitnehmer zusätzlich zu dieser Zeit die durch Art. 3 dieser Richtlinie gewährleistete tägliche Ruhezeit zu gewähren ist.

3.Art. 3 der Richtlinie 2003/88 ist im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

ein Arbeitnehmer, dem eine wöchentliche Ruhezeit gewährt wird, auch Anspruch auf eine tägliche Ruhezeit hat, die dieser wöchentlichen Ruhezeit vorausgeht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-477/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Miskolci Törvényszék (Gerichtshof Miskolc, Ungarn) mit Entscheidung vom 28. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 2021, in dem Verfahren

IH

gegen

MÁV-START Vasúti Személyszállító Zrt.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von IH, vertreten durch L. Tóth, Ügyvéd,
  • –        der MÁV-START Vasúti Személyszállító Zrt., vertreten durch S. Szabó und I. Tóthné Pelle, Ügyvédek,
  • –        der ungarischen Regierung, vertreten durch Zs. Biró-Tóth und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Oktober 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 und 5 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen IH und seiner Arbeitgeberin, der MÁV-START Vasúti Személyszállító Zrt. (im Folgenden: MÁV-START), wegen der Gewährung von täglichen Ruhezeiten im Zusammenhang mit der Gewährung von wöchentlichen Ruhezeiten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 enthält diese „Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung“.

Rz. 4

Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“

Rz. 5

Art. 5 („Wöchentliche Ruhezeit“) der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird.

Wenn objektive, technische oder arbeitsorganisatorische Umstände dies rechtfertigen, kann eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewählt werden.“

Rz. 6

Art. 15 („Günstigere Vorschriften“) der Richtlinie lautet:

„Das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten, bleibt unberührt.“

Ungarisches Recht

Arbeitsgesetzbuch

Rz. 7

§ 104 Abs. 1 des A munka törvénykönyvéről szóló 2012. évi I. törvény (Gesetz Nr. I von 2012 über das Arbeitsgesetzbuch) (Magyar Közlöny2012/2., im Folgenden: Arbeitsgesetzbuch) sieht vor:

„Zwischen dem Ende der Arbeit an einem Arbeitstag und dem Beginn der Arbeit am folgenden Arbeitstag ist eine Ruhezeit von mindestens elf zusammenhängenden Stunden (im Folgenden: tägliche Ruhezeit) zu gewähren.“

Rz. 8

Art. 105 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs bestimmt:

„Pro Woche sind zwei Ruhetage (wöchentliche Ruhetage) zu gewähren. Die wöchentlichen Ruhetage können auch ungleic...

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