Im Fall von Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, ist er dahingehend gegenüber seinem Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Er hat seine Arbeitsunfähigkeit folglich gegenüber seinem Arbeitgeber nachzuweisen und im Zweifel zu beweisen. Denn grundsätzlich gilt im Arbeitsverhältnis das Prinzip "ohne Arbeit, kein Lohn". Ist der Arbeitnehmer jedoch arbeitsunfähig erkrankt, besteht für die Dauer von 6 Wochen regelmäßig ein gesetzlicher Entgeltfortzahlungsanspruch.
Hoher Beweiswert der AU-Bescheinigung
In der Regel wird der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer AU-Bescheinigung geführt. Der AU-Bescheinigung kommt laut Bundesarbeitsgericht regelmäßig ein sehr hoher Beweiswert zu.
Der Beweis des ersten Anscheins spricht für die inhaltliche Richtigkeit des ärztlichen Attests.
Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann durch den Arbeitgeber jedoch erschüttert werden. Dies ist der Fall, wenn vom Arbeitgeber vorgetragene Tatsachen zu ernsthaften Zweifeln an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben.
Will der Arbeitgeber trotz Vorlage einer AU-Bescheinigung die Entgeltfortzahlung verweigern, weil er den Arbeitnehmer für arbeitsfähig hält, muss er Tatsachen vortragen, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern; nicht erforderlich ist jedoch, dass er die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers beweist. Es kommt folglich nicht zu einer Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers.
Wie bei jeder tatsächlichen Vermutung genügt es, wenn zunächst Tatsachen vorgetragen werden, aus denen das Gericht den Schluss ziehen kann, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, weil ernsthafte Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bestehen.
Hiernach kommen z. B. folgende Fälle, die eine Erschütterung des Beweiswerts begründen können, in Betracht (wobei es stets einer Einzelfallbetrachtung bedarf):
- Einreichung einer AU-Bescheinigung nach erfolgter Eigenkündigung des Arbeitnehmers, die exakt den Zeitraum vom Ausspruch der Eigenkündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist umfasst;
- Ankündigung einer Erkrankung durch den Arbeitnehmer;
- Arbeiten während der Arbeitsunfähigkeit bei einem Konkurrenzunternehmen;
- wiederholte Erkrankung von ausländischen Arbeitnehmern jeweils im Anschluss an den Heimaturlaub;
- Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrags im beantragten Urlaubszeitraum;
- Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Untersuchung oder nur nach telefonischer Rücksprache;
- wiederholte gemeinsame und gleichzeitige Erkrankung von Ehegatten nach Urlaubsende;
- unentschuldigte Nichtbefolgung einer Vorladung zur vertrauensärztlichen Untersuchung;
- rückwirkende Datierung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung;
- Umbuchung eines Urlaubsrückflugs vor Krankschreibung auf den Tag des Endes der Krankschreibung;
- mit der Arbeitsunfähigkeit unvereinbare Arbeit außerhalb der Arbeitsstelle, z. B. in der eigenen Nebenerwerbslandwirtschaft oder beim Bau des eigenen Hauses;
- Durchführung von beschwerlichen Reisen während der Arbeitsunfähigkeit;
- strapaziöse sportliche Betätigungen während der Krankheit (z. B. Bungeespringen eines an einem Wirbelsäulenleiden erkrankten Arbeitnehmers);
- mit einer Arbeitsunfähigkeit unvereinbare Freizeitaktivitäten;
- Arbeitnehmer, die auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind;
- Beginn der Arbeitsunfähigkeit fällt häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche;
- die Arbeitsunfähigkeit wurde von einem Arzt festgestellt, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist;
- die Anzahl der Erstbescheinigungen, wenn der Arbeitnehmer häufig, ohne einen die Fachgebiete der Ärzte betreffenden Anlass, die behandelnden Praxen ändert.
Nicht ausreichend für eine Erschütterung sind hingegen regelmäßig das Verlassen der Wohnung während der Arbeitsunfähigkeit, wie z. B. zur Erledigung von Besorgungen, sowie Spaziergänge oder leichte sportliche Betätigungen.
Wird der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, trifft den Arbeitnehmer (erneut) die volle Beweispflicht für seine Arbeitsunfähigkeit. Arbeitgeber können in derartigen Fällen z. B. die Entgeltfortzahlung (vorläufig) einstellen.
Um als Arbeitnehmer im Fall der Erschütterung des Beweiswerts der AU-Bescheinigung zu beweisen, dass er wirklich arbeitsunfähig ist bzw. war, bedarf es daher (vor Gericht) etwa eines detaillierten Tatsachenvortrags über den Krankheitsverlauf, die Benennung des behandelnden Arztes als Zeugen sowie und vor allem dessen Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht.
Annahmeverzugsrisiko bei vorzeitiger Leistungsverweigerung
Für Arbeitgeber, die (vorerst) die Entgeltfortzahlung verweigern, da sie nicht von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers überzeugt sind, besteht im Ergebnis ein Annahmeverzugsrisiko. Dennoch kann es sich je nach Einzelfall und insbesond...