Koalitionen haben das Recht, autonom das Arbeits- und Wirtschaftsleben zu fördern.[1] Das Arbeitsleben wird im Autonomiebereich durch Tarifverträge geregelt. Sie anzustreben, ist Teil des gewährleisteten koalitionsgemäßen Verhaltens. In diesem Kontext versteht die deutsche Rechtsprechung den Arbeitskampf juristisch nicht wie andere Rechtsordnungen als emanzipatorischen oder vorrevolutionären Akt. Er wird schlicht als Hilfsmittel zur sachgerechten kollektiven Regelung der Arbeitsbedingungen verstanden. Ihm wird eine Komplementärfunktion im Rahmen der Tarifautonomie zugewiesen. Im Individualvertrag ist die Vertragsparität typischerweise gestört. Es besteht eine strukturelle Ungleichgewichtslage. Im Arbeitsverhältnis sind die Möglichkeiten unterschiedlich verteilt, die eigenen Interessen bei der Vertragsgestaltung durchzusetzen. Der Tarifautonomie kommt die Aufgabe zu, die gestörte Parität im Individualverhältnis weitgehend durch eine kollektive Verhandlungsebene mit ausgewogen verteilten Durchsetzungschancen zu ersetzen. Hierfür ist auch das Recht wesentlich, notfalls kampfweise die Arbeit niederzulegen. Können beide Seiten zur Erreichung ihrer Ziele in vertretbarem Umfang Druck ausüben, können für beide Seiten angemessene Verhandlungsergebnisse erwartet werden. Aus dieser sehr stark typisierenden Sicht erklärt sich das das Arbeitskampfrecht prägende Wertungsprinzip der Kampfparität. Der den Gesetzgeber vertretenden Richter verfolgt das Gestaltungsziel, die Rechte und Pflichten im Arbeitskampf so ausgewogen zuzuordnen, dass keine Seite der anderen die dann in den einzelnen Vertragsverhältnissen geltenden Bedingungen diktieren kann.

Die hiernach für die deutsche Rechtsprechung maßgebliche Hilfsfunktion des Streiks als Mittel zur Sicherung einer ausgewogenen kollektiven Verhandlungssituation bei der Regelung der Arbeitsbedingungen führt zur ersten konkreten Grenze des Streikrechts: Streiks sind nur statthaft, die damit zusammenhängenden Verhaltensweisen von vornherein nur rechtmäßig, wenn es um zulässigerweise tarifvertraglich regelbare Regelungsziele geht. Das sind nach § 1 Abs. 1 TVG Regelungen der Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien im Verhältnis zueinander (schuldrechtlicher Teil des Tarifvertrags) und Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen (normativer Teil des Tarifvertrags).

Um welche von der streikführenden Gewerkschaft konkret angestrebten Ziele es geht, ist anhand der Forderungen zu ermitteln, welche die in der Tarifauseinandersetzung stehende Gewerkschaft dem sozialen Gegenspieler vor der Umsetzung eines Streikbeschlusses übermittelt hat. Dabei können auch sonstige auf die verantwortliche Gewerkschaftsleitung zurückzuführende Umstände herangezogen werden, wenn ihnen der Schwerpunkt des gewerkschaftlichen Forderungspakets entnommen werden kann. Hier ist allerdings im Einzelnen noch manches unklar.[2] Der von Seiten der Gewerkschaft vorgelegte Regelungsvorschlag muss zwar nicht derart bestimmt ausformuliert sein, dass die Arbeitgeberseite mit einer bloßen Zustimmungserklärung eine gestaltungsfähige tarifliche Regelung zustande bringen kann. Der soziale Gegenspieler muss aber aufgrund der ihm zugegangenen Forderungen wissen, woran er ist und was von ihm verlangt wird. Er muss eine Rechtmäßigkeitskontrolle durchführen und sein eigenes Verhalten auf das Geforderte einrichten können. An Form und Inhalt der Unterrichtung stellt die Rechtsprechung keine hohen Anforderungen; sie betont zu Recht, dass mit derartigen Forderungen zunächst einmal Verhandlungen angeschoben werden sollen, für die von vornherein ein Verhandlungsspielraum besteht.[3]

Das beschriebene arbeitskampfrechtliche Erfordernis, der Arbeitgeberseite vor Streikbeginn hinreichend bestimmte Forderung zuzuleiten, wird teilweise auch dem wenig griffigen Gebot fairer Kampfführung oder dem ultima-ratio-Prinzip zugeordnet. Mit seiner Erfüllung besteht jedenfalls die Möglichkeit zu prüfen, ob der angedrohte Arbeitskampf das für seine Rechtmäßigkeit erforderliche tarifvertraglich rechtswirksam regelbare Ziel verfolgt.

 
Praxis-Beispiel

Streikrecht für tarifliche Regelungen unternehmerischen Handelns?

Ob unternehmerische Funktionen auf ein ausländisches Tochterunternehmen verlagert werden, ist eine reine unternehmerische Maßnahme. Man kann die Entscheidung dazu wohl nicht einer erzwingbaren tariflichen Regelung unterstellen. Ein Streik, mit dem vorrangig eine solche unternehmerische Maßnahme verhindert werden soll, ist deshalb nach der bisherigen Rechtsprechung rechtswidrig.[4] Entsprechend verhält es sich hinsichtlich der unternehmerischen Maßnahme, einen Produktionsstandort zu schließen. Allerdings kann in einem solchen Fall tariflich geregelt werden, wie und mit welchen sozialen Abfederungen die Stilllegung durchgeführt wird ("Tarifsozialplan"). Dafür kann dann auch gestreikt werden.[5]

Demgegenüber wird es verbreitet als tariflich reg...

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