LAG Niedersachsen, Urteil v. 1.8.2018, 17 Sa 1302/17

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber, für den eine zulässige tarifliche Altersgrenzenregelung (hier: § 33 Abs. 1a TVöD) gilt, verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 1 AGG, § 1 AGG, wenn er die Bewerbung eines Altersrentners um eine ausgeschriebene Stelle unter Hinweis auf dessen Rentnerstatus bereits im Bewerbungsverfahren zurückweist. Die mit der Altersgrenze verbundene unmittelbare Benachteiligung des Bewerbers wegen des Alters ist nicht durch § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt.

Sachverhalt

Der im Jahre 1946 geborene Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 12.4.2017 auf ein Internet-Stellenangebot der beklagten Stadt als "Hauswirtschaftliche/r Anleiter/in". Bei der Einsatzstelle für das ausgeschriebene Stellenangebot, nämlich bei dem Zentrum für Jugendberufshilfe, handelt es sich um eine Dienststelle der beklagten Stadt. Der TVöD sollte auf das zu begründende Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Das Bewerbungsschreiben übersandte der Kläger mit dem Hinweis auf seinen Status als Regelaltersrentner. Zum Zeitpunkt der Bewerbung war er 71 Jahre alt. Mit E-Mail vom 24.5.2017 wurde ihm jedoch mitgeteilt, dass seine Bewerbung keine Berücksichtigung finden könne, da bei der Einrichtung keine Rentner eingestellt werden dürften. Aufgrund dessen wandte sich der Kläger an den Oberbürgermeister sowie an die Personalabteilung der beklagten Stadt unter Hinweis, dass er dies als eine Diskriminierung ansehe und – unter Androhung einer Klage – eine Schadensersatzforderung geltend mache. Daraufhin wurde ihm per E-Mail vom 15.6.2017 mitgeteilt, dass die in der Absage vom 24.5.2017 gewählte Formulierung missverständlich und nicht zutreffend sei; man bat, dies zu entschuldigen. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass nach § 33 Abs. 1a TVöD das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats ende, in dem die Beschäftigten das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet haben. Deshalb könne dann, wenn nach Erreichen des für die Regelaltersrente gesetzlich festgelegten Alters erneut Beschäftigungsverhältnisse begründet werden sollten, dies nur mit Zustimmung der zuständigen Personalvertretung möglich sein. Aufgrund der Entscheidungspraxis der Personalvertretung sei davon auszugehen gewesen, dass die erforderliche Zustimmung nicht erteilt worden wäre. Deshalb sei der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden.

Der Kläger ist nun der Auffassung, dass die Zurückweisung seiner Bewerbung mit der bezeichneten Begründung eine Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wegen des Alters darstelle, und klagte auf Entschädigung in Höhe von 3 Bruttomonatsgehältern.

Dagegen brachte die Beklagte vor, dass ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht vorlag, da nach § 10 Abs. 2 Nr. 5 AGG die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Eintritt der Regelaltersgrenze ausdrücklich zugelassen sei. Entsprechendes bestimme § 33 Abs. 1a TVöD (VKA).

Die Entscheidung

Die Klage hatte vor dem LAG teilweise, nämlich in Höhe von einem Monatsgehalt, Erfolg.

Das Gericht entschied, dass dem Kläger eine angemessene Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG zustehe, weil die Beklagte ihn im Bewerbungsverfahren wegen seines Alters benachteiligt habe; denn mit der Ablehnung der Bewerbung wegen seines Rentenalters habe die Beklagte den Kläger unmittelbar und direkt entgegen § 7 Abs. 1 AGG i. V. m. § 1 AGG bei der Bewerbung benachteiligt. Das von der beklagten Stadt in dem Ablehnungsschreiben vom 24.5.2017 geltend gemachte Verbot der Einstellung von Rentnern ziele direkt auf das verbotene Diskriminierungsmerkmal "Alter" nach § 1 AGG ab. Auch sei die gem. § 22 AGG auf die beklagte Stadt übergegangene Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen habe, von der Beklagten nicht angetreten worden. Des Weiteren war nach Auffassung des Gerichts die somit zu vermutende unterschiedliche Behandlung des Klägers wegen des Alters nicht nach § 10 AGG zulässig.

Das LAG führte hierzu aus, dass § 10 Satz 1 AGG die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters gestatte, wenn dies objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei. Nach § 10 Satz 2 AGG müssten die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Die Rechtfertigungsgründe würden hierbei in § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG zunächst in Form einer Generalklausel umschrieben und danach in § 10 Satz 3 AGG als – nicht abschließende – Beispielsfälle näher konkretisiert. Für die nähere Konkretisierung des Begriffs des legitimen Ziels i. S. v. § 10 AGG sei deshalb auch auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG zurückzugreifen. Hiernach seien legitime Ziele i. S. v. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG Ziele, die als geeignet angesehen werden könnten, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, aber wegen der als Beispiele genannte...

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