LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.5.2023, 12 Sa 1250/22

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber, der sich auf das Erlöschen der Urlaubsansprüche mit Ende von Urlaubsjahr und Übertragungszeitraum beruft, ist darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt oder erwerbsgemindert war und deshalb die Versäumung der arbeitgeberseitigen Mitwirkungspflicht bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs das Erlöschen von Urlaubsansprüchen nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht hindert.

Sachverhalt

Der 43-jährige Kläger ist seit 1988 beim beklagten Land beschäftigt und seit 2005 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Seit Oktober 2006 war er dauerhaft arbeitsunfähig. Ihm wurde mehrmals, erstmalig ab Oktober 2006, eine befristete Erwerbsminderungsrente bewilligt. Schließlich teilte die Deutsche Rentenversicherung am 25.6.2019 dem Kläger mit, dass die ihm seit September 2006 gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Ende September 2026 als Dauerrente weitergewährt werde.

Am 2.7.2019 übersandte der Kläger den Rentenbescheid. Gleichzeitig wies er auf die dadurch eingetretene Beendigung des Arbeitsverhältnisses hin und machte die Abgeltung des zustehenden Urlaubs – unter Berücksichtigung der gesetzlichen Verjährungsfrist von 3 Jahren – für die Jahre 2016-2019 geltend. Am 31.7.2019 bestätigte das beklagte Land die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2019, zahlte jedoch Urlaubsabgeltung für je 20 Tage gesetzlichen Mindesturlaub sowie von je 5 Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nur für das Jahr 2018 und 2019.

Der Kläger hat daraufhin die Zahlung von Urlaubsabgeltung seit 2006 gerichtlich geltend gemacht und zwar für je 35 Urlaubstage für die Jahre bis 2017 (20 Tage gesetzlicher Urlaub, 5 Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, 10 Tage tariflicher Mehrurlaub) sowie 10 Tage tariflichen Mehrurlaub für 2018. Er begründete dies damit, dass infolge der seitens der Beklagten unterbliebenen Mitwirkung an der Urlaubsverwirklichung in Gestalt der gebotenen Belehrung über Bestehen und drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen ein Verfall des Urlaubs nicht eingetreten sei. Vielmehr seien die Ansprüche seit 2006 jeweils in das Folgejahr übertragen worden und hätten sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Zahlungsansprüche verwandelt.Das beklagte Land hat dagegen die Auffassung vertreten, der gesetzliche Mindesturlaub, der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen und der tarifliche Mehrurlaub seien verfallen. Es gelten die Vorschriften und Regeln zum Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche im Falle langanhaltender Erkrankung mit Ablauf von 15 Monaten seit dem Ende des Urlaubsjahres. Eine Belehrungspflicht wegen des Urlaubs bestehe gegenüber einem langfristig erkrankten Arbeitnehmer nicht.

Die Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das Gericht entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen für die Jahre 2007 bis 2017 hat; denn die zur Abgeltung herangezogenen Urlaubsansprüche waren vor Eintritt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erloschen.

Das Gericht führte aus, dass aufgrund der Entscheidung des EuGH (EuGH 22.9.2022 – C-518/20 und C-727/20) und der in der Folge ergangene BAG-Rechtsprechung die zeitliche Beschränkung eines Urlaubsanspruchs zwar nicht auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub angewandt werden könne, der im Lauf eines Bezugszeitraums erworben wurde, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig geworden sein, ohne dass geprüft wurde, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch geltend zu machen (EuGH 22.9.2022 – C-518/20 und C-727/20, Fraport). War jedoch der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.3. des 2. auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert, verfalle der Urlaubsanspruch weiterhin nach Ablauf der 15-Monatsfrist, und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen war (BAG, Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 401/19). Aufgrund dessen waren die Urlaubsansprüche des Klägers für 2007 bis 2017 vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30.6.2019 verfallen.

Darüber hinaus konnte der Kläger auch aus dem Jahr 2006 keine Abgeltungsansprüche verlangen. Das Gericht begründete dies damit, dass ein Arbeitgeber, der sich auf das Erlöschen der Urlaubsansprüche mit Ende von Urlaubsjahr und Übertragungszeitraum beruft, darlegungs- und beweisbelastet dafür sei, dass der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt oder erwerbsgemindert gewesen war und deshalb die Versäumung der arbeitgeberseitigen Mitwirkungspflicht bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs das Erlöschen von Urlaubsansprüchen nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht hinderte. Allerdinges blieben auch hier die sekundäre Darlegungslasten des Arbeitnehmers bestehen, ...

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