BAG, Urteil v. 25.1.2018, 6 AZR 791/16

Leitsätze (amtlich)

Bei der Einstellung von Beschäftigten mit einer im Gebiet der Europäischen Union erworbenen einschlägigen Berufserfahrung ("Wanderarbeitnehmer") und der von sog. Inländern ohne auslandsbezogene Berufserfahrung handelt es sich nicht um vergleichbare Sachverhalte, die nach Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich der tariflichen Stufenzuordnung gleich behandelt werden müssten.

Sachverhalt

Die 1983 geborene Klägerin, Diplom-Erziehungswissenschaftlerin, war nach Abschluss ihres Hochschulstudiums von Dezember 2009 bis einschließlich Juni 2010 als pädagogische Fachkraft in einer offenen Ganztagsschule der Evangelischen Jugendhilfe tätig, danach bis zum 14.11.2010 als pädagogische Mitarbeiterin in der von kirchlichen Trägern betriebenen Bahnhofsmission beschäftigt und anschließend bis zum 14.11.2012 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags beim Verein S e. V. in dessen Beratungsstelle, welcher insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund, die Opfer von Gewalt geworden sind, u. a. zur telefonischen Erstberatung eingesetzt. Danach war sie arbeitslos. Ab dem 1.4.2013 bis einschließlich 31.3.2015 war sie dann befristet bei der Beklagten beschäftigt. Sie wurde im Rahmen des Projekts "Bundesweites Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen" als telefonische Beraterin eingesetzt. Gemäß dem anzuwendenden Tarifvertrag TVöD-Bund war sie eingruppiert in die EG 9b.

§ 16 Abs. 2 TVöD-Bund hatte seinerzeit folgenden Wortlaut:

"Bei Einstellung in eine der Entgeltgruppen 9 bis 15 werden die Beschäftigten zwingend der Stufe 1 zugeordnet. Etwas anderes gilt nur, wenn eine mindestens 1-jährige einschlägige Berufserfahrung aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Bund vorliegt; in diesem Fall erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus dem vorherigen Arbeitsverhältnis zum Bund."

Aufgrund eines Schreibens des Bundesministerium des Innern zu § 16 TVöD-Bund (a. F.) vom 6.9.2006, wonach bei der Neueinstellung von Beschäftigten in den Entgeltgruppen 9 bis 15 TVöD zur Personalgewinnung ab dem 1.9.2006 bei der Stufenzuordnung Zeiten einschlägiger Berufserfahrung außerhalb der Bundesverwaltung bis maximal Stufe 4 angerechnet werden können, wenn diese Tätigkeiten für die in der Bundesverwaltung vorgesehene Tätigkeit förderlich seien und die Anrechnung zur Deckung des Personalbedarfs im begründeten Einzelfall notwendig sei, rechnete die Beklagte die Vorbeschäftigung der Klägerin bei dem Verein S e. V. als förderliche einschlägige Berufserfahrung an und vergütete die Klägerin während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses nach Entgeltgruppe 9b Stufe 2 TVöD.

Nach Auffassung der Klägerin hätten jedoch sämtliche Vorbeschäftigungszeiten bei der Stufenzuordnung berücksichtigt werden müssen, da es sich durchwegs um Zeiten einschlägiger Berufserfahrung handele. Die Nichtberücksichtigung ihrer Vorbeschäftigungszeiten verstoße gegen unionsrechtliche Vorgaben sowie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da die tariflichen Regelungen Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten jedenfalls mittelbar diskriminierten, da diese wahrscheinlich in weitaus höherem Maße als Deutsche keine Vorbeschäftigung bei der Beklagten aufweisen könnten. Eine Rechtfertigung für diese mittelbare Diskriminierung sei nicht ersichtlich. Dies führe unabhängig von einem Auslandsbezug zugunsten aller Beschäftigten zur Unwirksamkeit der Voraussetzung einer einschlägigen Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis "zum Bund" in § 16 Abs. 2 Satz 2 TVöD-AT (Bund) a. F.

Sie klagte auf Entgeltdifferenz.

Die Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das Gericht entschied, dass die Nichtberücksichtigung der Berufserfahrung der Klägerin aus Arbeitsverhältnissen mit anderen Arbeitgebern nicht gegen höherrangiges Recht verstoße, insbesondere die Vorgaben des Unionsrechts nicht verletzt wurden. Zwar verbiete, so das BAG, Art. 45 Abs. 2 AEUV jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (sog. Freizügigkeitsverordnung) stelle hierbei nur eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs des EuGH hatte das BAG bezüglich § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L jedoch bereits entschieden, dass diese Vorschrift nicht gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung verstoße, wenn Arbeitnehmer – wie es auch vorliegend der Fall war – vor der Einstellung nur in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt waren und keine Qualifikationen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erworben hatten, ...

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