Richterbesoldung in Berlin war von 2009 bis 2015 zu niedrig

Das Land Berlin muss einem Teil seiner Richter und Staatsanwälte nachträglich mehr Geld bezahlen. Die Bezüge für bestimmte Besoldungsgruppen seien in den Jahren 2009 bis 2015 zu niedrig gewesen und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Konkret ging es um die Gruppen R1 und R2 im Zeitraum von 2009 bis 2015 sowie um die Gruppe R3 im Jahr 2015. Gewehrt gegen die Höhe der Bezüge hatte sich unter anderem ein Richter sowie ein Vorsitzender Richter am Landgericht.

BVerfG: Angemessener Lebensunterhalt war nicht möglich

Eine Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergibt, dass die gewährte Besoldung evident unzureichend war, so das Gericht. Sie genügte nicht, um Richtern und Staatsanwälten einen nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen.

Das zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählende Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, Richtern und Beamten sowie ihren Familien lebenslang einen Lebensunterhalt zu gewähren, der ihrem Dienstrang und der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessen ist und der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards entspricht. Damit wird der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen hergestellt.

Diese Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position bildet die Voraussetzung und innere Rechtfertigung für die lebenslange Treuepflicht sowie das Streikverbot. Der Besoldungsgesetzgeber verfügt über einen weiten Entscheidungsspielraum. Dem entspricht eine zurückhaltende verfassungsgerichtliche Kontrolle.

Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bezüge

Ob die Bezüge evident unzureichend sind, muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien geprüft werden. Dies erfolgt in mehreren Schritten:

Auf der ersten Prüfungsstufe wird mit Hilfe von fünf Parametern ein Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus ermittelt:

Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der

  • Tarifentlohnung im öffentlichen Dienst,
  • des Nominallohnindex sowie des
  • Verbraucherpreisindex,
  • systeminterner Besoldungsvergleich und
  • Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder.

Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist.

Ein Verstoß hiergegen betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist.

Auf der zweiten Prüfungsstufe sind die Ergebnisse der ersten Stufe mit den weiteren alimentations-relevanten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung zusammenzuführen. Werden mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation. Werden umgekehrt bei allen Parametern die Schwellenwerte unterschritten, wird eine angemessene Alimentation vermutet. Sind ein oder zwei Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten Stufe ausgewerteten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt werden.

Ergibt die Gesamtschau, dass die zur Prüfung gestellte Besoldung grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf es auf der dritten Stufe der Prüfung, ob dies ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann.

An diesen Maßstäben gemessen sind die Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG nicht erfüllt. Eine Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergibt, dass die im Land Berlin in den verfahrensgegenständlichen Jahren und Besoldungsgruppen gewährte Besoldung evident unzureichend war.

Der Gesetzgeber des Landes Berlin hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Juli 2021 an zu treffen.

Land Berlin muss Geld nachzahlen

Eine rückwirkende Behebung ist hinsichtlich derjenigen Richter und Staatsanwälte erforderlich, die sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben, so das BVerfG. Dabei ist es unerheblich, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebt (BVerfG, Beschluss v. 4.5.2020, 2 BvL 4/18).

Die Senatsverwaltungen für Finanzen und Justiz wollen sich nun an die Umsetzung der Vorgaben aus Karlsruhe machen. «Dies betrifft insbesondere rückwirkende Ausgleichszahlungen für diejenigen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben».

Besoldung seit August 2016 gestiegen

Die beiden Senatsverwaltungen wiesen darauf hin, dass die Besoldung in den Einstiegs- und Beförderungsämtern für Richter und Staatsanwälte seit August 2016 in Berlin um insgesamt 17 Prozent gestiegen sei. Die Besoldungsanpassung habe ab 2018 außerdem jeweils 1,1 Prozent über der durchschnittlichen Besoldungsanpassung der Bundesländer gelegen; 2017 und 2018 wiederum seien die Sonderzahlungen erhöht worden. «Bis 2021 wird die Besoldung das Niveau des Durchschnitts der Bundesländer erreichen.»

Gewerkschaft fordert Überprüfung aller Beamtenbesoldungen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) für Berlin und Brandenburg verlangte nach dem Urteil, die Besoldung aller Beamten in Berlin auf den Prüfstand zu stellen. Das Niveau müsse deutlich angehoben werden, sagte Vize-Chefin Sonja Staack am Dienstag. Der DGB erneuere seine Bereitschaft zu Gesprächen mit dem rot-rot-grünen Senat. Der Landesbezirk Berlin-Brandenburg der Gewerkschaft Verdi erklärte, das Urteil könne auch für weitere, noch laufende Verfahren von großer Bedeutung sein.

Andrea Kühnemann, stellvertretende Verdi-Landeschefin, sagte, ihre Gewerkschaft habe schon 2017 gefordert, die Besoldungstabelle insgesamt zu überarbeiten, als das Bundesverwaltungsgericht die Berliner Besoldung als verfassungswidrig angesehen habe. Sie erwarte, dass der Senat beziehungsweise das Abgeordnetenhaus als Haushaltsgesetzgeber das Gespräch mit der Gewerkschaft suche.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin erklärte, zwar habe der Senat in dieser Legislatur die Besoldung spürbar angehoben. «Das kann aber nicht die Versäumnisse der Vergangenheit kaschieren», so GdP-Landesvize Stephan Kelm. Der Senat müsse nun Farbe bekennen.

Richterbund begrüßt die Entscheidung

Der Deutsche Richterbund (DRB) begrüßte das Urteil als deutliches Signal an die Länder. «Die aktuelle Besoldungspolitik vieler Länder ist kurzsichtig und gefährdet die hohe Qualität der Justiz», sagten die DRB-Vorsitzenden Barbara Stockinger und Joachim Lüblinghoff.

«Die Länder führen die Besoldung häufig zu hart an die Grenze der Verfassungswidrigkeit heran, anstatt Richter und Staatsanwälte dem Amt angemessen zu bezahlen.» Der Richterbund werde weiter für eine bundeseinheitliche amtsangemessene Besoldung eintreten und sich dafür stark machen, dass Bund und Länder nicht lediglich eine verfassungsrechtliche Mindestbesoldung gewährten.

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dpa
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