Ehemaliger Bürgermeister haftet nicht bei Vergaberechtsverstoß

Der frühere Bürgermeister einer Verbandsgemeinde ist dieser gegenüber nicht zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet ist, wenn der Schaden nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde. Dies entschied das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße.

Das Verwaltungsgericht beschäftigte sich mit dem Fall des früheren Bürgermeisters der Verbandsgemeinde Waldfischbach-Burgalben.

Bürgermeister schloss Ingenieur- und Architektenvertrag ohne vorherige Ausschreibung ab

Die verbandsangehörige Ortsgemeinde Heltersberg hatte im Jahr 2003 ein Bauprojekt zur Erneuerung und Umgestaltung des „Hensel`schen Anwesens“ beschlossen. Das Anwesen mit drei Gebäudeteilen und dazugehörigen Außenanlagen sollte im Rahmen eines Dorferneuerungsprogramms erhalten und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Die Kosten hierfür wurden ursprünglich auf 1,2 Millionen Euro veranschlagt, stiegen im Laufe der Zeit aber auf mehr als 4 Millionen Euro.

Im Mai 2005 schloss der damalige Ortsbürgermeister auf der Grundlage von Beschlüssen des Ortsgemeinderates vom 12.6.2003 sowie vom 6.4.2005 ohne vorherige öffentliche Ausschreibung und ohne Beteiligung der Verbandsgemeinde einen Ingenieur- und Architektenvertrag mit einer ortsansässigen Ingenieurgemeinschaft. Der Ortsgemeinderat stimmte anschließend in seiner Sitzung vom 28.7.2005 einer Gesamtkostenschätzung für die Maßnahmen in Höhe von 1.200.000 Euro zu.

Auf Antrag der Ortsgemeinde bewilligte das Ministerium des Innern und für Sport 2006 und 2008 Fördermittel des Landes für den 1. Bauabschnitt in Höhe von insgesamt 371.750 Euro.

Im März 2010 stellte das Rechnungs- und Gemeindeprüfungsamt der Kreisverwaltung Südwestpfalz vergaberechtliche Ungereimtheiten betreffend den 1. Bauabschnitt fest. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) erstellte am 14.2.2011 einen Prüfbericht, in dem Verstöße gegen Vergabevorschriften bemängelt wurden.

Aufsichtsbehörde rief Fördermittel zurück

Nach Anhörung der Ortsgemeinde widerrief die ADD mit Bescheid vom 13.1.2012 die Bewilligungsbescheide über die Fördermittel für den 1. Bauabschnitt und forderte die Rückzahlung der bereits geleisteten Beträge zuzüglich Zinsen in Höhe von 58.497,28 Euro. Zur Begründung des Widerrufs wurden die fehlerhafte Vergabe des Ingenieur- und Architektenvertrags ohne öffentliche Ausschreibung und unter Umgehung der Verbandsgemeinde sowie der teils vergabewidrige Inhalt dieses Vertrags (u.a. überhöhte Nebenkosten und Zuschläge) angeführt. Die ADD wies in dem Widerrufsbescheid außerdem „deklaratorisch“ auf weitere Vergabeverstöße und eine mangelhafte Information des Ortsgemeinderats hin.

Gemeinde wollte Bürgermeister in Haftung nehmen

Die Ortsgemeinde Heltersberg verzichtete zu Beginn des Jahres 2012 auf Rechtsmittel gegen den Widerrufsbescheid. Ihr Gemeinderat beschloss – nahezu vier Jahre danach – in der Sitzung vom 17.11.2015, den erlittenen Schaden durch den Verlust der Fördermittel und durch überhöhte Zahlungen an das Ingenieurbüro bei ihrem ehemaligen Ortsbürgermeister, der beauftragten Ingenieurgemeinschaft und dem Kläger als ehemaligem Verbandsgemeindebürgermeister geltend zu machen.

Mit Bescheid vom 22.12.2015 forderte die Verbandsgemeinde als ehemalige Dienstherrin vom Kläger den Ersatz des Schadens der Ortsgemeinde nach der beamtenrechtlichen Haftungsnorm des § 48 Beamtenstatusgesetz in Höhe von 471.573,20 Euro für verlorene Fördermittel, Zinszahlungen und die angeblich überhöhten Honorarzahlungen an das Ingenieurbüro. Der Kläger habe die Vergabeverstöße nicht durch sein Einschreiten als Verbandsgemeindebürgermeister verhindert und damit den Widerruf der Fördermittel mitverursacht. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 19.3.2018 zurück.

Zunächst Entscheidung für Schadensersatzanspruch

Die hiergegen erhobene Klage wurde zunächst auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten im Hinblick auf das gegen den ehemaligen Ortsbürgermeister geführte verwaltungsgerichtliche Verfahren zum Ruhen gebracht. In diesem Verfahren entschied das Verwaltungsgericht Neustadt, dass der frühere Ortsbürgermeister zum Schadensersatz verpflichtet sei (Az: 1 K 534/18.NW). Nach dem rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens ist das Klageverfahren gegen den ehemaligen Bürgermeister der Verbandsgemeinde durch das Gericht wiederaufgenommen worden.

In dem parallel von der Ortsgemeinde Heltersberg und der Ingenieurgemeinschaft beim Landgericht Zweibrücken geführten zivilgerichtlichen Verfahren schlossen die dortigen Beteiligten im Jahr 2020 einen Vergleich, durch den wechselseitig alle Ansprüche gegenstandslos wurden und in dem teilweise eine Wirkung zugunsten Dritter vereinbart wurde.

Verwaltungsgericht: Keine persönliche Haftung des Bürgermeisters

Das Verwaltungsgericht Neustadt hat nun mit Urteil vom 22.6.2022 entschieden, dass der Kläger für den Schaden der Ortsgemeinde nicht von der Verbandsgemeinde gemäß § 48 BeamtStG in Haftung genommen werden könne.

Voraussetzung für einen solchen beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch der ehemaligen Dienstherrin, der Verbandsgemeinde, gegen ihren früheren Bürgermeister wäre, dass dieser in seiner Amtszeit als Verbandsgemeindebürgermeister, also in der Zeit vom 1.1.2007 bis zum 31.12.2014, vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Dienstpflichten verletzt hätte und dies ursächlich zum Widerruf der Fördermittel und damit zum Eintritt des Schadens bei der Ortsgemeinde geführt hätte.

Diese Voraussetzungen liegen nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts nicht vor.

Vergabevertrag vor Amtsbeginn als Verbandsgemeindebürgermeister

Der Kläger könne für die Verstöße gegen die Vorschriften des Vergaberechts, die ausweislich des Widerrufsbescheids der ADD vom 13.2.2012 entscheidend zum Widerruf der Fördermittel geführt haben, nicht persönlich verantwortlich gemacht werden. Zum Zeitpunkt der von der ADD beanstandeten Vergabe des Ingenieur- und Architektenvertrags an ein ortsansässiges Ingenieurbüro ohne vorherige öffentliche Ausschreibung im Mai 2005 sei der Kläger als Verbandsgemeindebürgermeister nämlich noch nicht im Amt gewesen.

Weitere im Widerrufsbescheid lediglich „deklaratorisch“ angeführte (spätere) Verstöße gegen das Vergabeverfahren seien für den Widerruf der Fördermittel nicht ursächlich gewesen und könnten dementsprechend auch keine Schadensersatzansprüche gegen den früheren Verbandsgemeindebürgermeister begründen. Auch seien im Übrigen keine vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Dienstpflichtverletzungen des Klägers im Verfahren feststellbar gewesen.

Unabhängig davon müsse sich der inzwischen vor dem Landgericht Zweibrücken abgeschlossene Vergleich der Ortsgemeinde Heltersberg mit dem von ihr ebenfalls als Gesamtschuldner für denselben Schaden in Anspruch genommenen Ingenieurbüro auf etwaige Ansprüche gegen den Kläger und damit auf die streitgegenständlichen Bescheide auswirken, da die Ortsgemeinde in dem Vergleich auch gegenüber möglichen sonstigen Gesamtschuldnern (dem früheren Ortsbürgermeister und dem Kläger) auf ihre Forderung teilweise verzichtet habe. Auch aus diesem Grund erweise sich der streitgegenständliche Haftungsbescheid der Verbandsgemeinde als rechtswidrig und unterliege der gerichtlichen Aufhebung (VerwG Neustadt/Weinstraße, Urteil v. 22.12.2022, 1 K 507/18.NW).

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