Expertengespräch Holz: Holzbau Chance Wohnungswirtschaft

Ist Bauen mit Holz der Schlüssel zum günstigen Wohnungsbau? Sind Holzbauten tatsächlich so umweltfreundlich wie vermutet? Und ist die Holzbaubranche überhaupt in der Lage, den Anforderungen der Wohnungswirtschaft gerecht zu werden? Diese und andere Fragen diskutierte auf Einladung der DW eine Runde hochkarätiger Experten. Moderiert wurde das Gespräch von Axel Gedaschko, dem Präsidenten des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, und DW-Chefredakteurin Ulrike Silberberg. Die Diskussion macht deutlich: Holzbau hat Potenzial – doch um dieses zu heben, muss die Holzbaubranche noch diverse Hausaufgaben erledigen

Ulrike Silberberg: Das Interesse am Thema „Holz in der Wohnungswirtschaft“ ist riesig. Das haben wir beim DW-Sonderheft „Holz“ gemerkt, das im November 2012 erschien. Die Branche reagierte sehr stark darauf, und wir mussten das Heft schnell nachdrucken. Deshalb haben wir uns entschlossen, Fachleute einzuladen, um verschiedene Aspekte rund um den Baustoff Holz zu diskutieren. Wir wollen das Thema jedoch nicht zu stark in die Richtung „Holzkonstruktion” treiben. Im Vordergrund soll vielmehr die Schnittstellen zwischen der unternehmerischen Wohnungswirtschaft und den Holzbauexperten stehen, wobei wir uns auf den mehrgeschossigen Mietwohnungsbau konzentrieren wollen. Damit übergebe ich an unseren Moderator, den GdW-Präsidenten Axel Gedaschko.

Axel Gedaschko: Vielen Dank. Vor kurzem war ich mit dem Botschafter von Kasachstan in Hamburg unterwegs. Die Kasachen haben gerade die Bewerbung um die Ausrichtung der Expo 2017 gewonnen, bei der es um das Thema „Energien der Zukunft“ gehen wird. Dabei machen sich die Verantwortlichen auch Gedanken, was man hinsichtlich der Bauweise anders machen könnte als bisher. Und so schaute sich der Botschafter mehrere Projekte der IBA Hamburg an, darunter das Wälderhaus der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald in Hamburg-Wilhelmsburg, das ein fast reines Holzhaus ist. Deshalb meine erste Frage an Sie: Was ist eigentlich der fundamentale Vorteil von Holz gegenüber den be-
währten anderen Baustoffen?

Prof. Stefan Winter: Das ist ganz einfach. Holz ist der einzige nachwachsende Baustoff, den wir weltweit zur Verfügung haben. Und damit ist er ein wesentlicher Schlüssel, um energie- und ressourceneffizient zu bauen – nicht ausschließlich aus Holz, aber in einem intelligenten Mix mit anderen Baustoffen.

Dr. Ernst Böhm: Aus meiner Sicht bietet Holzbau enorme wirtschaftliche Chancen. Wenn in Deutschland 200.000 Wohnungen im Jahr gebaut werden und 10 % davon aus Holz sind, so stellt das einen riesigen Markt dar. Holzbau stößt außerdem auf große Aufmerksamkeit. Das merken wir bei B&O ganz direkt: Obwohl nur etwa 1 % unseres Jahresumsatzes von 240 Mio. € auf Holzbau entfällt, gilt 98 % der Presseaufmerksamkeit diesem Thema. Dafür, dass wir 30.000 Bäder einbauen, interessiert sich niemand, aber Schweden, Engländer, Franzosen, Italiener, sie alle interessieren sich für den Holzbau.

Ulrike Silberberg: Woran liegt dieses große Interesse aus dem Ausland?

Dr. Ernst Böhm: Es hängt mit dem Zeitgeist zusammen. Nachhaltigkeit ist in. Außerdem hat Holz in Bezug auf Optik und Haptik angenehme Eigenschaften.
Prof. Heinrich Köster: Hinzu kommt, dass Architekten wie Hermann Kaufmann, der Kollege von Prof. Winter an der TU München, und Matteo Thun hervorragende Architektur mit Holz machen und diese auch sehr gut nach außen darstellen. Ein zweiter Punkt ist die Vorfertigung, die es ermöglicht, energieeffizient zu bauen.

Christoph Dorn: Die Vorfertigung ist ein ganz wichtiger Punkt. Sie ermöglicht es, einen Mehrwert für die Investoren zu generieren. Holzbau ist Leichtbau, und der Leichtbau ist mittlerweile so hoch entwickelt, dass er leistungsfähig ist und sich technisch nicht hinter dem Massivbau verstecken muss.

Axel Gedaschko: Wir erleben im Moment einen Wettbewerb um Holz. Ist eigentlich der Rohstoff Holz in der Masse verfügbar, wie wir ihn bräuchten, wenn diese Idee sich in ganz Europa durchsetzen würde?

Prof. Stefan Winter: Mein Kollege Hermann Kaufmann hat in einer Ausstellung in München dargestellt, dass wir eigentlich sämtliche Neubauten in der Bundesrepublik Deutschland aus Holz errichten könnten und trotzdem nur einen kleinen Teil der nachwachsenden Menge verbrauchen würden. Allerdings gibt es einen Wettbewerb zwischen der energetischen und der stofflichen Nutzung. Aus Nachhaltigkeits- und Umweltgründen plädieren wir dafür, die stoffliche Nutzung in den Vordergrund zu stellen. Zugegeben, bei der Fichte, dem Brot- und Butterbaum des deutschen Forstes, sind wir tatsächlich an der Nutzungsgrenze der Nachhaltigkeit angelangt. Wir werden aber zunehmend neben den Nadelholzarten auch die Laubholzarten in die konstruktive Nutzung bringen, und dann ist das Potenzial riesig und noch lange nicht ausgeschöpft.

Prof. Heinrich Köster: Wie sich Buche und Eiche beim Bauen einsetzen lassen, ist noch zu klären. Aber grundsätzlich ist die Verfügbarkeit gegeben. Es fehlt nicht an der Ressource Holz, sondern an den Kapazitäten und an den Firmen, die mit Holz in der richtigen Größenordnung umgehen können.

Axel Gedaschko: Nehmen die Fertigungskapazitäten denn signifikant zu?

Dr. Ernst Böhm: Das Handwerk und die Wirtschaft werden nachziehen, wenn der Markt es verlangt. Aus unserer Sicht hat der Holzbau jedoch zwei Handicaps. Zum einen gibt es zu wenige holzbauerfahrene Architekten. Zum anderen stellt die klassische Gewerketrennung im deutschen Handwerk ein Hemmnis dar. Es ist ja vorgeschrieben, gewerkeweise auszuschreiben. Das ist so ähnlich, wie wenn die Stadt Berlin tausend Fahrräder kaufen möchte und dazu vom ersten Anbieter die Rahmen, vom zweiten die Reifen und vom dritten die Klingeln kaufen würde. Gerade der Holzbau verlangt nach ganzheitlicher Betrachtung und Umsetzung. Wenn man den Holzbau gewerkeweise ausschreibt, schöpft man sein Potenzial nicht aus und macht ihn schlechter, als er in Wirklichkeit ist.

Axel Gedaschko: Wann ist eigentlich ein Holzhaus ein Holzhaus? Beim Wälderhaus der IBA Hamburg, das ich eingangs erwähnt habe, verlangte die Genehmigungsbehörde, im Erdgeschossbereich mit Stahlbeton zu bauen. Ist das trotzdem ein Holzhaus?

Dr. Ernst Böhm: Von der Konstruktion her schon.

Prof. Stefan Winter: Richtig. Auch ein Mauerwerksbau enthält Stahlbetonstützen, auch ein Stahlbetonskelettbau arbeitet mit einer Menge anderer Baustoffe. Ein Holzhaus kann man dann als Holzhaus bezeichnen, wenn seine wesentlichen Konstruktionselemente aus Holz bestehen. Holz ist nun mal ein natürlicher Werkstoff, und es ist durchaus sinnvoll, das Erdgeschoss, in dem vielleicht Geschäfte oder eine Kita untergebracht sind, in Massivbauweise zu errichten und erst von der Ebene plus Eins in Holzbau nach oben zu starten.

Prof. Heinrich Köster: Der Werkstoff Holz wird dann gewinnen, wenn das richtige Material am richtigen Platz angewandt wird. Ich errichte ja auch keinen Keller aus Holz.

Dr. Ernst Böhm: Viele Leute urteilen nach dem ersten Eindruck. Wer Urlaub in einer mit Holz vertäfelten Zirbelstube in Österreich macht, glaubt, sich in einem Holzbau aufzuhalten, auch wenn das Haus eigentlich Betonmauern hat. Die Ingenieure hingegen sagen: Wenn die tragenden Wände aus Holz sind, ist es ein Holzbau. Dazu ein Beispiel aus London: Dort gibt es einen Holzbau, den Sie nicht als solchen wahrnehmen. Außen ist er geklinkert, innen mit Gipskartonplatten versehen – aber die tragenden Wände sind aus Holz. Und wissen Sie, warum? Weil darunter ein Abwasserkanal verläuft. Mit einem schwereren Baumaterial hätte man nur drei Stockwerke hoch bauen dürfen. Wenn man weiß, was in London der Quadratmeter Bauland kostet, versteht man, warum man sich für Holz entschieden hat.
Axel Gedaschko: Man sollte also nicht unbedingt das deutsche Reinheitsgebot auf den Bau übertragen... Ein anderer Punkt: Im Moment wird ja darüber nachgedacht, wie sich preisgünstiger Geschosswohnungsbau realisieren lässt. Das hängt natürlich stark von den Grundstückspreisen ab, aber auch von den Verarbeitungs- und Materialkosten. Wie verhält sich hier Holzbau zu anderen Materialien und Verarbeitungsweisen?

Dr. Ernst Böhm: Das ist meine Lieblingsfrage. Blicken wir doch einmal auf die Autoindustrie: Der entscheidende Faktor für den Erfolg beispielsweise von VW ist die modulare Bauweise. Und genau da hat Holz klare Vorteile, weil Holz einen wesentlich höheren Vorfertigungsgrad erlaubt. Das größte Handicap ist die deutsche Handwerks­trennung. Wir erlauben uns noch immer, das Handwerkssystem mittelalterlich aufzustellen. Da gibt es den Schreiner, da gibt es den Elektriker – keine andere Industrie macht das noch. Wenn man dieses mittelalterliche Zunftwesen auflöst, wird der gesamte Bau günstiger, und dann kommen die Vorteile von Holz erst richtig zum Tragen. Wir bauen einen Achtgeschosser in 14 Tagen auf. Und für den Investor macht es einen großen Unterschied, ob er seine Wohnungen ein Jahr früher vermieten kann oder nicht.

Christoph Dorn: Richtig. Für den Holzbau sprechen die Leistungsfähigkeit und die Flexibilität des Bauens. Hier hat Holz den Vorteil der Vorfertigung, der für Investoren einen entscheidenden Mehrwert bedeutet. Deshalb sollte man nicht den Baustoff in den Vordergrund rücken, sondern die Systemlösung, die dahintersteckt. Denn für die Baukosten ist nicht der Baustoff entscheidend. Weder der Flughafen in Berlin noch die Elbphilharmonie in Hamburg sind so teuer geworden durch die Baustoffe, sondern durch die Prozesse, die dahinterstehen. Und das gilt auch für Neubauten oder Aufstockungen in der Wohnungswirtschaft. Entscheidend für die Kosten sind die planerische Qualität und die Interaktion der verschiedenen Gewerke. Und die Komplexität des Bauablaufes kann durch Vorfertigung in hohem Maße reduziert werden.

Prof. Stefan Winter: Der Holzbau ist innovativ und qualitativ hochwertig. Der Billigste aber kann er nicht sein. Ohnehin muss man die Gesamtkosten betrachten. Wie viel Geld stecken Ihre Unternehmen denn in die Mängelbeseitigung eines Neubaus? Viele denken: Hauptsache, ich habe erst mal für 1.400 €/m2 brutto gebaut. Aber das ist falsch gedacht. Denn die Vergabe an den billigsten Anbieter führt im Regelfall zu den teuersten Baustellen.
Dr. Ernst Böhm: Wir haben schon den Anspruch, der günstigste Anbieter für die Wohnungswirtschaft zu sein. In zwei Segmenten ist Holzbau bei einer ganzheitlichen Betrachtung schon jetzt ganz klar der Kostenführer: bei der Aufstockung und bei der Errichtung von Punktbauten vor bestehenden Häusern.

Prof. Heinrich Köster: Um aufzuzeigen, vor welchen Herausforderungen wir stehen, möchte ich einen Blick auf die Möbelindustrie werfen, die grundsätzlich auch zur Holzwirtschaft gehört. Die Möbelindustrie hat in den letzten Jahrzehnten enorm an Effizienz gewonnen. Eine Küche benötigte früher pro 60-cm-Raster in der Herstellung 1,5 bis 2 Stunden, heute sind es noch 15 Minuten. Der Holzbau steht bei diesem Prozess noch ganz am Anfang. Außerdem muss sich der klassische Zimmerer von der Überzeugung verabschieden, alles selber machen zu können, und akzeptieren, dass der Architekt und der Bauingenieur eine Schlüsselposition innehaben. Aber auch hier tut sich etwas, und es gibt mittlerweile sehr gute Firmen im Holzbaubereich.

Axel Gedaschko: Wie sieht es diesbezüglich im Ausland aus?

Prof. Heinrich Köster: Was möglich ist, zeigt ein Blick auf die Schweiz, die bereits seit 1985 eine Holzbauausbildung auf Ingenieurebene kennt. Heute sieht man die positiven Auswirkungen. In Zürich werden mittlerweile 20 % aller mehrgeschossigen Bauten in vorgefertigten Konzepten erstellt, überwiegend mit dem Werkstoff Holz als Tragwerk. Auch in Deutschland wird sich die Holzbaubranche verändern müssen, ob sie will oder nicht. Manche Unternehmen arbeiten gerade mal an 220 Tagen im Jahr im Einschichtbetrieb, und das in einer Fabrik, die 60 oder 70 Mio. € gekostet hat. Das treibt natürlich die Preise in die Höhe. Der Markt wird hier Änderungen durchsetzen.

Axel Gedaschko: Wenn ich kurz zusammenfasse: Um die Kosten zu senken, müssen die Themen Ausschreibung, Standardisierung und Auslastung angepackt werden.

Dr. Ernst Böhm: Genau. Lassen Sie mich das Thema Kostensenkung an zwei Beispielen verdeutlichen: Ein VW Golf hat heute noch 26 h Montagezeit. Die Montagezeit für ein Bad beträgt 40 h. Das ist einfach Mittelalter! Der Schlüssel, um das zu ändern, liegt bei der Auflösung der Gewerktrennung im Handwerk. Beim Holzbau git: Wenn zehn Jahre lang jedes Jahr z.B. 1.000 Wohnungen aus Holz gebaut werden und wenn man jedes Jahr 1 % besser wird, dann ist man nach zehn Jahren 10 % günstiger.

Axel Gedaschko: Wie sieht das bei Knauf aus? Wie wird bei Ihnen gearbeitet?

Christoph Dorn: Grundsätzlich gehen wir von der systemischen Seite aus. Wir versuchen, die Baustoffe zu kombinieren. Der Holzbau, ich habe schon darauf hingewiesen, ist eine hochmoderne
Leichtbauweise und liefert so die Grundvoraussetzung für die Optimierung des Fertigungsprozesses. Unser Ziel ist es, den Leichtbau und speziell auch den Holzbau so weiterzuentwickeln, dass er nicht nur wettbewerbsfähig ist zum Massivbau, sondern dass er auch der Maßstab in der Zukunft sein wird.

Dr. Ernst Böhm: Gerade für die Wohnungswirtschaft ist es entscheidend, welcher Werkstoff nach 30 oder 50 Jahren eine Flexibilisierung der Grundrisse erlaubt. Denn die Lebensverhältnisse ändern sich: Zuerst haben Sie eine Wohnung mit zwei Kindern, dann mit einem Kind, dann nur noch die Eltern, dann bleibt einer übrig. Das Entscheidende ist, dass eine Grundrissänderung leicht möglich ist. Und dafür bietet Holz – neben anderen Baustoffen – gute Voraussetzungen.

Axel Gedaschko: Nun gibt es allerdings auch Vorurteile in Bezug auf den Holzbau. Ich spiele jetzt mal den Bundesbedenkenträger und gebe Ihnen die Chance, Aufklärung zu leisten. Erste Frage: Der Holzbalken genügt selbst bei 30 cm Stärke nicht den Anforderungen der neuen EnEV im Neubaubereich. Wie kann die Holzbauweise der verschärften EnEV entsprechen?

Prof. Stefan Winter: Wir bauen ja keine Blockhäuser, bei denen alle Außenwände aus Massivholz bestehen, sondern arbeiten mit zusätzlichen Dämmschichten. Der beste Beweis dafür, dass Holz für eine energieeffiziente Bauweise weit besser geeignet ist als viele andere Baustoffe: ca. 95 % aller bisher in der Bundesrepublik gebauten Passivhäuser wurden in Holzbauweise realisiert. Unserer Büro selbst durfte eine ganze Reihe von Passivhausprojekten für die ABG Frankfurt Holding errichten.

Axel Gedaschko: Wie steht es um den Brandschutz?

Prof. Stefan Winter: Wir haben die Möglichkeit, das Holz zu schützen, im Wesentlichen mit Gipsbauplatten. Denn Gips hat die wunderbare Eigenschaft, chemisch gebundenes Wasser einzulagern, und bietet damit für lange Zeit einen guten Schutz. Aber wir haben in den letzten zwei Jahrzehnten auch viele Konstruktionen weiterentwickelt. Wir bauen feuerbeständig, also F90 und plus, auch mit sichtbaren Holzoberflächen. Selbstverständlich baut man einen Holzbau auf exakt dem gleichen Sicherheitsniveau wie jedes andere Gebäude auch.

Axel Gedaschko: Es gibt aber auch Blitzschlag.

Prof. Stefan Winter: Davor ist das Gebäude durch die Blitzschutzanlage geschützt. Noch einmal: Bloß weil ich einen brennbaren Baustoff verwende, ist das Brandrisiko in einem Holzhaus kein Stück höher als in jedem anderen Gebäude.

Axel Gedaschko: Ein anderes emotional belastetes Thema ist die Behandlung der Hölzer. Wir haben da eine nicht ganz glückliche Historie mit erheblichen gesundheitlichen Folgewirkungen und entsprechenden Prozessen. Wie sieht das heute aus?

Prof. Stefan Winter: Wir haben seit vielen Jahren die Normenreihe DIN 68 800. Nach dieser Norm gibt es die Gebrauchsklasse 0, in der wir keinen vorbeugenden chemischen Holzschutz verwenden. In meinem ganzen Büroleben habe ich kein einziges Holzgebäude gebaut, in dem vorbeugend chemischer Holzschutz verwendet wurde. Wir lösen das konstruktiv. Insbesondere bei hohen Holzhäusern müssen wir Wert auf eine richtige Konstruktion bezüglich des Feuchteschutzes legen. Denn Holz ist ein natürlicher Werkstoff, also ist er auch natürlich zersetzbar durch Holz zerstörende Pilze. Vor allem beim Feuchteschutz von außen, also beispielsweise gegen Schlagregen, müssen wir deshalb in der Tat sorgfältiger arbeiten als bei anderen Baustoffen. Da hilft die Industrialisierung erheblich, weil sich durch immer wiederkehrende Prozesse eine wesentlich höhere Qualitätssicherung erreichen lässt.

Prof. Heinrich Köster: Wir sind dabei schon weit gekommen. Im Fensterbereich zum Beispiel arbeitet man mit einer Kombination von Holz und Aluminium, bei der das richtige Material am richtigen Platz eingesetzt wird. Und bei der Außenfassade werden wir in den nächsten Jahren eine Revolution erleben. Wir werden Fassaden bekommen, die ein hervorragendes ökologisches Profil aufweisen, indem sie mit Papieren arbeiten, die übereinander in mehreren Layern als Laminate eingesetzt werden. Diese sind, um das klar zu sagen, dem Werkstoff Holz zuzurechnen und nicht etwa den Kunststoffen, wie das bei Laminat im Fußbodenbereich eigenartigerweise immer gedacht wird. Hier wird in den nächsten Jahren einiges passieren, was die Außenfassade ganz wesentlich beeinflussen wird.

Dr. Ernst Böhm: Die von Herrn Gedaschko angesprochenen Bedenken, die man in der Wohnungswirtschaft gegen den Holzbau findet, sind zum Teil sehr berechtigt. In Bayern gab es in den frühen Neunzigerjahren mal eine Holzbauinitiative, in Hessen ebenfalls, und da hat man jeden nur möglichen Fehler gemacht. Eine Folge davon ist, dass die Banken bei Holzbauprojekten 50 % Eigenkapital verlangen und nicht 25 %, wie es bei Gebäuden aus anderen Baustoffen der Fall ist. Das ist das Ende jeder Projektentwicklung. Man löste damals das Problem mit der Feuchte nicht richtig, man arbeitete mit Architekten, die noch nie mit Holz gebaut hatten, und man produzierte durch die Gewerketrennung Mängel, die teilweise dazu führten, dass die Häuser wieder rückgebaut werden mussten.

Axel Gedaschko: Immer stärker werden Unternehmen hinsichtlich ihres Carbon Footprints, ihrer Ökobilanz, hinterfragt. Wie steht hier Holz im Vergleich zu anderen Baustoffen da?

Prof. Heinrich Köster: Ich habe hier einen Vergleich zwischen Massiv- und Holzaußenwänden vorliegen. Demnach ist das Treibhauspotenzial einer Holzaußenwand 93 % kleiner als das einer Massivwand.

Dr. Ernst Böhm: Aber auch bei der Ökobilanz sind die Arbeitsprozesse zu berücksichtigen. Um das zu verdeutlichen: Wir führen eine Million Reparaturen aus. Diese benötigen durchschnittlich zwei Arbeitsstunden, wovon eine Stunde Fahrtzeit ist. Allein im Verkehrsaufkommen liegt wesentlich mehr Potenzial, als wenn ich irgendeinen Baustoff isoliert betrachte. Außerdem ist beispielsweise die Ökobilanz von Holzfenstern auch davon abhängig, in welchem Stockwerk Sie sie einbauen. Bauen Sie ein Holzfenster im siebten Stock ein und müssen es nach zehn Jahren streichen, müssen Sie ein Gerüst aufstellen und die Energiebilanz ist tot. Bauen Sie es im Erdgeschoss ein, gehen Sie hin, streichen es schnell – das schlägt alles.

Prof. Stefan Winter: Holz wächst im Wald. Die Energie, die ich reinstecken muss, um es zu produzieren, ist also vergleichsweise niedrig. Darüber hinaus hat Holz zwei weitere wesentliche Vorteile: Zum einen ist es ein Kohlenstoffspeicher und trägt damit wesentlich zu einer CO2-Senkung bei. Und zum anderen steckt im Holz die Energie, die im Wald durch die Sonne eingelagert wurde. Das heißt, am Lebenszyklusende können wir Holz stofflich verwerten, also in die nächste Gebäudegeneration mitnehmen, und den Rest können wir energetisch verwerten. Und jetzt können Sie ja mal probieren, Beton zu verbrennen.
Prof. Heinrich Köster: Wir haben bei der Ökobilanzbewertung allerdings das Problem, dass Lobbyisten eine große Rolle spielen. Nun ist die Holzbranche relativ schwach und zieht deshalb bei der Lobbyarbeit den Kürzeren. Die Folge ist, dass die Ökobilanz zum Beispiel bei Fenstern bei fast allen Werkstoffen relativ gleich aussieht. Aber eigentlich müssten wir bei der Ökobilanz noch ganz andere Kriterien berücksichtigen. Ein Beispiel: In der Gemeinde Stephanskirchen, in der ich wohne, gibt es die Firma Hamberger. Diese Firma erzeugt durch die Trocknungswärme so viel Strom, dass die ganze Stadt Rosenheim mit ihren 62.000 Einwohnern mit Strom versorgt werden könnte. Das aber fließt in die Ökobilanz gar nicht ein.

Prof. Stefan Winter: Ein zweites Problem: Es fehlt ein allgemein anerkanntes Verfahren bei der Ökobilanzierung. Es ist nicht wie bei der EnEV, wo mit nachvollziehbaren Berechnungen gearbeitet wird. Vielmehr werden Tricks angewandt, je nachdem, in welche Richtung man das Ergebnis treiben will. Deshalb müssen wir daran arbeiten, objektive, für alle nachvollziehbare Kriterien festzuschreiben.

Christoph Dorn: Der Baumarkt ist ja letztendlich ein Energiemarkt, und damit ist er ein Zukunftsmarkt, der durch energieeffiziente Gebäude geprägt sein wird. In der öffentlichen Diskussion liegt der Fokus noch überwiegend auf der Nutzungsphase der Gebäude. Der Primärenergiebedarf und die CO2-Bilanz eines Gebäudes werden aber auch maßgeblich durch die verwendeten Baustoffe bei der Herstellung und deren Entsorgung oder Wiederverwertbarkeit am Ende des Lebenszyklus bestimmt. Hier haben wir im Holzbau Vorteile, die wir noch besser und nachvollziehbar herausarbeiten müssen. Gleichzeitig muss der Holzbau weiterentwickelt werden. Die stationäre Vorfertigung und ein optimierter Bauablauf müssen zu einer ernsthaften wirtschaftlichen Alternative zum Massivbau führen.

Axel Gedaschko: Damit sich der Holzbau durchsetzt, muss auch die Akzeptanz gegeben sein. Wie beurteilen Sie die Akzeptanz bei Mietern und bei Wohnungsunternehmen?

Prof. Stefan Winter: Ich habe noch keinen Mieter erlebt, der gesagt hat: O weh, ich Ärmster muss in ein Holzhaus ziehen. Im Gegenteil: Viele Mieter nehmen es als etwas sehr Positives wahr, in einem Holzhaus zu wohnen. Bei allen Projekten, die wir kennen, ist unser Empfinden, dass die Nutzer damit hochzufrieden sind.
Christoph Dorn: Der wichtigste Grund für die Wohnungswirtschaft, auf Holzbau zu setzen, ist die Nachverdichtung. Durch Aufstockungen entsteht in attraktiven innerstädtischen Lagen hochwertiger Wohnraum mit höchst überzeugenden Leistungseigenschaften. Die Vermietung ist da in aller Regel überhaupt kein Problem. Im Einfamilienhausbereich hat der Holzbau bezogen auf seine Leistungsfähigkeit und seinen Stellenwert längst aufgeholt. Das Problem für die Durchsetzung des Holzbaus liegt eher in der beschränkten Kapazität der industriellen Unternehmen. Der industrielle Ansatz ist ein Zukunftsthema, für dessen Bewältigung noch viele Hausaufgaben zu lösen sind.

Dr. Ernst Böhm: Wenn ich einen vielleicht etwas gewagten Vergleich ziehen darf: Mit dem Holzbau wird es sein wie mit der grünen Politik. Zuerst war sie nur ein Anliegen der Grünen, jetzt aber ist sie in allen Parteien fest verankert. Das könnte ähnlich auch für den Holzbau gelten.

Ulrike Silberberg: Braucht es eine bessere Lobbyarbeit der Holzbaubranche? Oder setzt sich der Holzbau aufgrund seiner Qualität ohnehin durch?

Christoph Dorn: Die Baustoffindustrie können Sie nicht mit der Stärke der Automobilindustrie vergleichen. Dort wird in der politischen Arbeit eine einheitliche Sprache gesprochen. In unserer Branche verfolgen unterschiedliche Akteure unterschiedliche Ziele.

Axel Gedaschko: Wir erleben das täglich.

Prof. Heinrich Köster: Ich sehe das nicht so schwarz. Ich beobachte, dass die junge Generation ganz anders zusammenarbeitet. Da entsteht eine neue Lobbystruktur für den Holzbau aus jungen Ingenieuren, Betriebswirten und Marketingleuten. Die stecken ihre Köpfe zusammen und gestalten die Zukunft. Und auch auf der Nachfrageseite ist Holzbau der Markt der Zukunft. Wenn man die bekannten Sinus-Milieus nimmt, dann kann man den Anteil von knapp 20 % Holzbau einem ganz bestimmten Sinus-Milieu zuordnen. Das sind die LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability), diejenigen, die einen höheren Bildungsabschluss haben. Und diese Gruppe nimmt zu – fast 50 % der jungen Menschen absolvieren ja heute eine Hochschulausbildung.

Prof. Stefan Winter: Es ist erstaunlich, wie weit der Holzbau gekommen ist, ohne dass es einen Gesamtverband der Deutschen Holz- und Forstwirtschaft gibt, den wir dringend bräuchten. Herr Köster hat Recht, die jungen Unternehmer, die wir sehen, ticken anders, und deshalb geht die Entwicklung in die richtige Richtung.

Ulrike Silberberg: Wir haben jetzt anderthalb Stunden lang viele Aspekte des Baustoffs Holz und der Baukonstruktion mit Holz diskutiert. Ich bitte jetzt zum Abschluss die Runde, kurz zusammenzufassen, was Sie mitnehmen und wie Sie die Zukunft sehen.

Christoph Dorn: Der Holzbau ist hochmodern. Er ist Leichtbau und meines Erachtens das Bauverfahren der Zukunft. Klar ist, dass auf der Verarbeitungsseite wie auf der Planerseite noch viel Entwicklungsbedarf existiert. Den Mehrwert, den wir gerade auch der Wohnungswirtschaft bieten können, müssen wir noch klarer herausarbeiten.

Prof. Heinrich Köster: Meiner Meinung nach findet beim Bauen ein Paradigmenwechsel statt. Die Unternehmensstrukturen werden sich in Richtung intelligentes, integriertes Bauen entwickeln. Darin liegt unsere Chance. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Bildung. Bildung ist die Wirtschaft von morgen.

Dr. Ernst Böhm: Das Innovationspotenzial liegt in der Erneuerung der Prozesse. Und da hat es Holz ein bisschen leichter, einfach weil es nicht so viel wiegt wie Steine.

Prof. Stefan Winter: Ich kann mich den Vorrednern nur anschließen.

Axel Gedaschko: Die Diskussion hat gezeigt, dass ein Hauptproblem für den Erfolg des Holzbaus in der Struktur der Arbeits- und Vergabeprozesse liegt. Von diesen Hemmnissen müssen wir uns verabschieden, und das ist nie leicht. Es wird einige Zeit brauchen, um das Rechtssystem zu ändern, das hinter dieser Struktur steht. Aber die Tatsache, dass wir dringend bezahlbares, gutes Wohnen benötigen, macht diesen Prozess unumkehrbar. Damit danke ich Ihnen für das anregende Gespräch.

Dr. Ernst Böhm ist promovierter Jurist und Gesellschafter der B&O Gruppe. Das Unternehmen, das aus einer Dachdeckerei hervorgegangen ist, beschäftigt (einschließlich Beteiligungsunternehmen) mehr als 1.200 Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2012 einen Umsatz von 240 Mio. €.
Es saniert pro Jahr rund 30.000 Wohneinheiten. Im Bereich Neubau ist es auf den Holzbau spezialisiert.

Christoph Dorn verfügt über langjährige Erfahrung in der Baustoffbranche. Seit 2012 ist er Mitglied der Geschäftsleitung der Knauf Gips KG
in Iphofen und dort für den Vertrieb verantwortlich. Das Unternehmen, das aus einem traditionellen Gipsgeschäft entstanden ist, produziert heute als Systemanbieter eine breite Palette an Baustoffen für Trockenbau, Boden, Putz und Fassade inklusive Wärmedämmverbundsystemen.

Heinrich Köster ist ausgebildeter Zimmermann und studierte an der Fachhochschule Rosenheim Holzingenieur. 1996 wurde er zum Professor an der Fakultät für Holztechnik und Bau an der Hochschule Rosenheim ernannt. Derzeit ist er Präsident der Hochschule Rosenheim und außerdem Präsident des Forums Holzbau, des weltweit größten Weiterbildungsveranstalters in Sachen Holzbau.

Prof. Dr. Stefan Winter absolvierte eine Zimmererlehre und studierte Bauingenieurwesen an der TU München und der TU Darmstadt. Seit 2003 ist er Ordinarius für Holzbau und Baukonstruktion an der TU München. Er ist Prüfingenieur für Baustatik, öbuv Sachverständiger, Fachrichtung Holzbau, und Partner in der bauart Konstruktions GmbH&Co KG, einem mittelständigen Ingenieurbüro, das an vielen der hohen Holzhäuser in Deutschland mitgewirkt hat.