Entscheidungsstichwort (Thema)

Anzeige des Arbeitsausfalls bei der ausschließlich zuständigen Agentur für Arbeit als Voraussetzung der Bewilligung von Kurzarbeitergeld

 

Orientierungssatz

1. Die Gewährung von Kurzarbeitergeld nach § 59 SGB 3 setzt u. a. voraus, dass der Antragsteller den Arbeitsausfall bei der gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 SGB 3 ausschließlich zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt hat.

2. Die bei einer anderen Arbeitsagentur gestellte Anzeige gilt nicht gemäß § 16 SGB 1 als bei der zuständigen Agentur erfolgt. Die Anzeige des Arbeitsausfalls i. S. von § 99 Abs. 1 S. 1 SGB 3 ist kein Antrag auf Sozialleistungen i. S. des § 16 SGB 1.

3. Über das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB 10 bzw. den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist der Mangel der beim unzuständigen Leistungsträger erfolgten Anzeige nicht heilbar.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Verpflichtung der Beklagten im Streit, der Klägerin gemäß § 99 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) einen schriftlichen Bescheid darüber zu erteilen, dass hinsichtlich des in Deutschland beschäftigten Mitarbeiters der Klägerin ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld (Kug) erfüllt sind.

Die in Dänemark ansässige Klägerin vertreibt u.a. in Deutschland UV-Geräte zur Aushärtung von Werkstoffen und zur Desinfektion. Sie hat in Deutschland einen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Mitarbeiter, Herrn ... (M.R.), der die Produkte der Klägerin in Deutschland, Österreich, Ungarn und Slowenien sowie in der Schweiz und der Slowakei vertreibt. Verwaltungsarbeiten erledigt M.R. von seinem Homeoffice in München aus, für das er von der Klägerin mit einem Computer, einem Monitor, einem Drucker, einem Smartphone und einem Dienstwagen ausgestattet worden ist. Darüber hinaus trägt die Klägerin die laufenden Kosten für den Dienstwagen und die Telekommunikation. Eigene Geschäftseinrichtungen in Deutschland unterhält die Klägerin in Deutschland nicht, insbesondere ist sie nicht Eigentümerin oder Mieterin von Räumlichkeiten in Deutschland.

Am 25.03.2020 erstattete die Klägerin bei der beklagten Agentur für Arbeit Kiel aufgrund der Reduzierung aller Verkaufstätigkeiten infolge der Corona-Pandemie Anzeige über Arbeitsausfall infolge von Kurzarbeit für die Monate März 2020 bis Juni 2020.

Mit Bescheid vom 07.05.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihrer Anzeige nicht entsprochen werden könne. Die Gewährung von Kug sei nur an Arbeitnehmer in Betrieben möglich, die ihren Betriebssitz im Geltungsbereich des SGB III, also in den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hätten. Der Betrieb sei Antragsberechtigter. Dem Arbeitnehmer werde gesetzlich kein eigenes Recht zur Geltendmachung von Kug-Ansprüchen eingeräumt. Deshalb hätten Mitarbeiter ausländischer Firmen, die in Deutschland keinen Betrieb unterhalten, keinen Anspruch auf Kug, selbst wenn diese nach deutschem Recht sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien.

Zur Begründung des hiergegen am 21.05.2020 erhobenen Widerspruchs trug der Bevollmächtigte der Klägerin u.a. vor, dass der Regelungsgehalt des § 97 SGB III nichts mit der internationalen Abgrenzung der Sozialversicherungssysteme zu tun habe. Der angegriffenen Entscheidung stehe die Europarechtswidrigkeit auf die Stirn geschrieben. Hier werde gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) verstoßen. Für alle in Deutschland Versicherten müsse Kurzarbeitergeld gezahlt werden, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Mitarbeiter ausländischer Firmen, die in Deutschland keinen Betrieb unterhielten, hätten keinen Anspruch auf Kug, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Für einen Betrieb oder eine eigenständige Betriebsabteilung im Sinne des Kug in Deutschland sei kein Nachweis erbracht worden. Dabei sei unerheblich, ob Mitarbeiter nach deutschem Recht sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien und Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland abgeführt würden. Auch die Einbeziehung europäischer Rechtsnormen führe nicht zu einem anderen Ergebnis.

Mit der dagegen am 21.06.2020 zum Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Zweck der Ein-Personen-Betriebsabteilung der Klägerin in Deutschland bestehe darin, dass der Arbeitnehmer M.R. Kunden besuche, die erstens von seinem Wohnort München deutlich einfacher zu erreichen seien als vom Sitz der Klägerin nördlich von Kopenhagen. Zweitens spreche er Deutsch als Muttersprache und sei gebürtiger Deutscher, was in den deutschsprachigen Ländern vorteilhaft, teilweise erforderlich sei. Der technische Fortschritt in der Kommunikation und Datenverarbeitung ermögliche heute Ein-Personen-Betriebsabteilungen, für die man noch vor zehn Jahren ein Büro und vo...

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