Kapitel
Drohverlustrückstellung aus schwebenden Geschäften

Nach § 5 Abs. 4a EStG dürfen – abweichend vom Handelsrecht – keine Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gebildet werden. Diese Einschränkung bezieht sich auf Einzelrückstellungen und Rückstellungen aus Dauerschuldverhältnissen. Nicht von der Einschränkung erfasst werden Erfüllungsrückstände und eingegangene Garantie- und Bürgschaftsverpflichtungen. Es kommt somit auf die richtige Abgrenzung an. Wie Sie die Sachverhalte richtig abgrenzen und wann eine Rückstellung gebucht werden darf, erfahren Sie in Kapitel 1.

Wann ein schwebendes Geschäft vorliegt

Ein schwebendes Geschäft liegt vor, wenn Vertragspartner verpflichtende Verträge abgeschlossen haben, die auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind. Regelmäßig ist sowohl handels- als auch steuerrechtlich davon auszugehen, dass sich bei der Erfüllung eines Geschäfts Leistung und Gegenleistung ausgleichen, sodass schwebende Geschäfte grundsätzlich nicht bilanziert werden. Bei schwebenden Geschäften am Bilanzstichtag, wie z. B. bei einer Bestellung, bei langfristigen Verträgen, bei Mietverträgen, bei Lieferzusagen, gilt also die Vermutung, dass sich bei der Erfüllung des Geschäfts Leistung und Gegenleistung ausgleichen.

Voraussetzungen für eine Drohverlustrückstellung

Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Störung des Geschäfts vorliegt und zu erwarten steht, dass der Wert der Leistung den Wert der zu erhaltenen Gegenleistung übersteigt und demnach dem Unternehmer aus dem Geschäft ein Verlust droht. In diesem Fall sieht das Handelsrecht eine Bilanzierung der drohenden Verluste vor. Voraussetzung ist demnach, dass aus dem Vertragsverhältnis voraussichtlich ein Verlust entstehen wird, und keine Möglichkeit besteht, das bestehende Vertragsverhältnis zu ändern. Die Verpflichtung muss sich also aus einem Geschäft ergeben,

  • welches der Unternehmer mit einem oder mehreren Vertragspartnern abgeschlossen hat und
  • er verpflichtet ist, den Vertrag vereinbarungsgemäß zu erfüllen, sodass
  • er nicht verhindern kann, dass ein Verlust einritt.

Fazit: Eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften ist nur dann möglich, wenn ein schwebendes Geschäft vorliegt, das am Bilanzstichtag noch von keiner Seite (voll) erfüllt wurde. Außerdem muss sich aus diesem schwebenden Geschäft für das bilanzierende Unternehmen ein "Verpflichtungsüberschuss" (Verlust) ergeben. Zeichnet sich ein solcher Verlust ab, ist durch den Unternehmer eine entsprechende Rückstellung zu bilden. Die reine Möglichkeit, es könnte ein Verlust entstehen, berechtigt hingegen gemäß Handelsrecht nicht zur Rückstellungsbildung.

Es handelt sich um ein schwebendes Geschäft, wenn es bisher von keiner Seite erfüllt wurde. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um

  • einen einmaligen Leistungsaustausch, wie z. B. bei einem Kaufvertrag, Werkliefervertrag, Dienstleistungsvertrag oder
  • ein Dauerschuldverhältnis, wie z. B. bei einem Arbeitsvertrag, Miet- und Pachtvertrag, Leasingvertrag, Kreditvertrag handelt. Auch ist es irrelevant, ob das Geschäft auf den Absatz oder
  • die Beschaffung von Gütern gerichtet ist.

Praxis-Hinweis: Rückstellung auch bei Angebot dessen Annahme wahrscheinlich ist möglich

Der Unternehmer, der einen Verlust erleidet, kann eine Rückstellung bilden. Möglich ist dies auch bereits dann, wenn der voraussichtliche Verlust auf einem Geschäft beruht, für welches der Unternehmer bislang nur ein verbindliches Angebot abgegeben hat, aber dessen Annahme wahrscheinlich ist.

Die Rückstellung kann von dem Unternehmer ausgewiesen werden, bei dem der Verlust aus einem schwebenden Geschäft eintreten wird. Das kann der Unternehmer sein, der zur Leistung verpflichtet ist, oder der Unternehmer, der die Leistung erhält. Die Höhe der Rückstellung ist sodann jährlich zu prüfen und ggf. anzupassen. Sind die Voraussetzungen ihrer Bildung, so z.B. im Folgejahr, teils oder ganz nicht mehr gegeben, ist die Rückstellung entsprechend vollständig oder teilweise aufzulösen. 

Abgrenzung: Rückstellungen für Verluste aus schwebenden Geschäften oder für ungewisse Verbindlichkeiten?

Handelsrechtlich muss eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften eine Rückstellung gebildet werden. Im Gegensatz dazu ist es gemäß § 5 Abs. 4a EStG steuerlich unzulässig. Für ungewisse Verbindlichkeiten hingegen, ist eine Rückstellung sowohl handels- als auch steuerrechtlich zu bilden. Schon aus diesem Grund ist es wichtig, eine Abgrenzung zu den Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten vorzunehmen. 

Wesentliches Merkmal einer Rückstellung für Verluste aus schwebenden Geschäften ist die Tatsache, dass sie einen zukünftigen Aufwand abbildet, wohingegen die Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten einen Aufwand der Vergangenheit abbildet. Besteht am Bilanzstichtag also ein Erfüllungsrückstand, der seine Ursache in der Vergangenheit hat, dann ist für diesen keine Drohverlustrückstellung, sondern eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten auszuweisen, welche auch steuerlich zu übernehmen ist.

Demnach gilt: Hat der Unternehmer unfertige oder teilfertige Erzeugnisse zur Erfüllung von Absatzgeschäften in seinem Betriebsvermögen, muss er diesen Bestand zum Bilanzstichtag bewerten. Wenn absehbar ist, dass er die Erzeugnisse nicht mit Gewinn verkaufen kann, ist eine Korrektur durch den Ausweis einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften möglich. Besser ist jedoch, wenn der Unternehmer bei einer dauerhaften Wertminderung der unfertigen oder teilfertigen Erzeugnisse eine Teilwertabschreibung vornimmt, die auch steuerlich anzuerkennen ist.

Praxis-Beispiel: Drohverlustrückstellung vs. Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

Die Pots GmbH hat mit ihrem Kunden die Erbringung einer Bauleistung in zwei Teilleistungen über jeweils 50.000 EUR vereinbart. Die zum 25.11.01 vollständig erbrachte 1. Teilleistung ist am Bilanzstichtag abgerechnet und vom Kunden in Höhe von 90% ausgeglichen. Bzgl. des verbleibenden Forderungsbetrags i.H.v. 5.000 EUR (10%), hat der Kunde Wertminderung aufgrund von Baumängeln geltend gemacht, die von der Pots GmbH bestritten werden. Der Ausgleich der Forderungen ist zum Bilanzstichtag ungewiss.

Für das abgeschlossene Teilgeschäft ergibt sich demnach ein Erfüllungsrückstand, welches sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz in Form einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren ist. Die zu bildende Rückstellung weist einen in der Vergangenheit begründeten Aufwand aus.

Praxis-Tipp:

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Rückstellung für drohende VerlusteZukunftsorientiertPassivierungspflichtPassivierungsverbot