Autoren: Jörg Hanken, Stefan Fritsch

Die meisten Finanzverwaltungen setzen Zinsen auf Steuernachzahlungen und -erstattungen fest. Häufig, so auch in Deutschland, endet der Zinslauf erst bei Erlass des Steuerbescheids, der erst nach Abschluss einer Betriebsprüfung erlassen wird. In Deutschland betrug der Zinssatz seit vielen Jahren 6 % p. a. Der deutsche Gesetzgeber hat nun – gemäß Beschluss vom Bundesverfassungsgericht – versucht, diesen Satz den wirtschaftlichen Realitäten anzupassen und hat entschieden, dass der Zinssatz von 6 % nur noch bis inkl. Veranlagungszeitraum 2018 gelten soll. Für Verzinsungen ab dem 1.1.2019 soll der Zinssatz 1,8 % p. a. betragen.

Dazu folgendes Beispiel:

 

Beispiel: Zinsnachzahlungen

Im Rahmen einer Betriebsprüfung in 2014 werden die Jahre 2008 bis 2011 einer deutschen Gesellschaft geprüft. Hieraus resultiert eine unstrittige VP-Anpassung in dem Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 2008 in Höhe von 100 EUR. Die Schlussbesprechung findet im März 2014 statt, die Steuerbescheide werden im August 2014 erlassen und dem Steuerpflichtigen bekanntgegeben.

Mehrsteuerbelastung in 2008 (vereinfacht): 30 % × 100 EUR = 30 EUR

Der gesetzliche Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums 2008, somit am 1.4.2010 und endet am 31.7.2014. Das heißt 52 Monate × 0,5 % Zinssatz = 26 % × 30 EUR = 7,8 EUR Nachzahlungszinsen. Wie die Berechnung zeigt, führen die Nachzahlungszinsen zu einem Anstieg der Mehrbelastung um 26 %. Auf Ebene der deutschen Gesellschaft resultiert aus der VP-Anpassung eine effektive Steuer- und Zinsbelastung in Höhe von 37,8 %. Dieser Effekt wirkt umso stärker, je mehr Zeit bis zum Erlass der endgültigen Steuerbescheide verstreicht. Es empfiehlt sich daher grundsätzlich, durch kommunikative und effiziente Zusammenarbeit mit der Betriebsprüfung zu einem zeitnahen Abschluss der Außenprüfung zu gelangen.

Sind 6 Prozent Nachzahlungszinsen noch zeitgemäß?

Aufgrund der nun seit über zehn Jahren anhaltenden Niedrigzinsphase wurde in der Zwischenzeit eine Diskussion über die Angemessenheit der Nachzahlungszinsen entfacht. Da die Höhe der Nachzahlungszinsen mit 6 % p. a. seit langem stark vom aktuellen Marktzinsniveau abweicht, stellt sich die Frage, ob hier ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG oder das Übermaßverbot vorliegt. Der BFH hält jedoch auch unter Berücksichtigung der Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus Nachzahlungszinsen in Höhe von 6 % p. a. zumindest für das Jahr 2013 für verfassungsgemäß.[76] Allerdings hat der BFH bereits in mehreren Beschlüssen klargestellt, dass im Hinblick auf die Zinshöhe für die Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestehen.[77] In seiner Begründung führt der BFH eine realitätsferne Bemessung des Zinssatzes an, die zumindest für ab 2015 den allgemeinen Gleichheitssatz verletze. Nach Ansicht des BFH überschreite der gesetzlich festgelegte Zinssatz den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Verzinsungszeitraum 2015 bis 2017 ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit für Verzinsungszeiträume ab 2010 bzw. 2012 sind derzeit zwei Verfahren beim Bundesverfassungsgericht[78] anhängig, weshalb Nachzahlungszinsen aktuell vom Finanzamt mit einem Vorläufigkeitsvermerk festgesetzt werden.[79] Vor diesem Hintergrund sollten Zinsfestsetzungen für die Jahre ab 2010 offengehalten werden.

Nun haben die Verfassungsrichter in ihren Beschlüssen vom 8.7.2021 (Az. 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) die Höhe des in § 238 Abs. 1 AO festgelegten gesetzlichen Zinssatzes von jährlich 6 % für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 als verfassungswidrig eingestuft. Das betrifft insbesondere die Einkommensteuer, aber auch die Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer usw. Überraschend ist, dass das Verfassungsgericht die bisherige Vorschrift trotz ihrer Verfassungswidrigkeit nicht rückwirkend ab 2014 als nichtig ansieht, sondern bis einschließlich 2018 für weiter anwendbar hält. Das bedeutet, dass erst für Verzinsungen ab 1.1.2019 der Zinssatz von 1,8 % p. a. gilt. Auf der anderen Seite war der relativ hohe Zinssatz von 6 % p. a., der natürlich auch für Steuererstattungen galt, ein interessantes Gestaltungsinstrument: Man konnte freiwillig frühzeitig bezahlte Mehrsteuern für 6 % p. a. beim Finanzamt "anlegen" und in der Erwartung positiver Ausgänge von langjährigen Verständigungsverfahren hohe Zinserstattungen erhalten.

[76] Vgl. BFH-Urteil vom 9. November 2017 zu §§ 233a, 238 AO, III R 10/16.
[77] Vgl. hierzu unter anderem BFH-Beschluss vom 25. April 2018, IX B 21/18, BFH-Beschluss vom 3. September 2018, VIII B 15/18 oder BFH-Beschluss vom 4. Juli 2019, VIII B 128/18. Die zeitliche Angabe "ab 1.4.2015" bezieht sich auf Zins-/Verzinsungszeiträume, nicht auf Veranlagungszeiträume. Soweit noch offen, können daher auch Zinsen für Steuern aus dem davorliegenden Veranlagungszeitraum betroffen sein (Beispiel: K...

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