Prof. Dr. Gerd Waschbusch
Rz. 58
Die Abgrenzung zwischen der typischen und der atypischen stillen Gesellschaft ist im Steuerrecht von großer Tragweite, da sich daraus die Trennlinie zwischen dem steuerrechtlichen Eigen- und Fremdkapital ergibt. Grundsätzlich wird die typische stille Gesellschaft steuerrechtlich dem Fremdkapital und die atypische stille Gesellschaft steuerrechtlich dem Eigenkapital zugeordnet. Aus der Klassifizierung der typischen stillen Gesellschaft als steuerrechtliches Fremdkapital und der atypischen stillen Gesellschaft als steuerrechtliches Eigenkapital resultieren wiederum sowohl für den Geschäftsinhaber als auch für den stillen Gesellschafter jeweils unterschiedliche steuerliche Konsequenzen.
Rz. 59
Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen der typischen und der atypischen stillen Gesellschaft ist im Steuerrecht das Merkmal der Mitunternehmerschaft von entscheidender Bedeutung. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG stellen die Einnahmen des stillen Gesellschafters aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe, die im Privatvermögen gehalten wird, Einkünfte aus Kapitalvermögen dar, es sei denn, dass der stille Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen ist. Im Steuerrecht liegt damit eine typische stille Gesellschaft vor, wenn der stille Gesellschafter nicht die Rechtsstellung eines Mitunternehmers, sondern die Rechtsstellung eines Gläubigers einnimmt. Während der stille Gesellschafter also bei einem Halten der stillen Beteiligung im Privatvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt, liegen bei einem Halten der stillen Beteiligung im Betriebsvermögen gemäß § 20 Abs. 8 EStG Einkünfte aus derjenigen Einkunftsart vor, zu der der Betrieb des stillen Gesellschafters gezählt wird (z. B. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft).
Rz. 60
Erfüllt der stille Gesellschafter hingegen das steuerliche Merkmal der Mitunternehmerschaft, so gilt er als Mitunternehmer und erzielt dementsprechend Einkünfte aus Gewerbebetrieb. In diesem Fall liegt eine atypische stille Gesellschaft vor. Die atypische stille Gesellschaft wird im Steuerrecht als "andere Gesellschaft" i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG angesehen. Ein Mitunternehmer i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kennzeichnet sich durch die Merkmale des Mitunternehmerrisikos und der Mitunternehmerinitiative. Die Übernahme des Mitunternehmerrisikos konkretisiert sich durch die Beteiligung am Ertrags- und Kapitalrisiko, also durch die Teilnahme an den laufenden Gewinnen und Verlusten des Unternehmens sowie an den stillen Reserven einschließlich des Geschäftswerts. Eine Mitunternehmerinitiative liegt vor, wenn die Möglichkeit besteht, am Prozess der unternehmerischen Entscheidungsfindung teilzuhaben. Gemäß dem BFH "ist indes schon die Möglichkeit zur Ausübung von Gesellschafterrechten, die wenigstens den Stimm-, Kontroll- und Widerspruchsrechten angenähert sind, die einem Kommanditisten nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) zustehen", ausreichend. Sowohl das Merkmal der Übernahme des Mitunternehmerrisikos als auch das Merkmal der Mitunternehmerinitiative müssen somit unumstritten gemeinsam vorliegen, damit die Rechtsstellung eines Mitunternehmers gegeben ist, eine unterschiedlich starke Ausprägung der beiden Merkmale gilt jedoch als unschädlich. Bleibt also das Mitunternehmerrisiko eines stillen Gesellschafters hinter der Rechtsstellung eines Kommanditisten zurück, liegt gleichwohl eine atypische stille Gesellschaft vor, "wenn die Möglichkeit des stillen Gesellschafters zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative besonders stark ausgeprägt ist."
Rz. 61
Objektivierender Vergleichsmaßstab für die Abgrenzung zwischen der Rechtsstellung eines Mitunternehmers und der Rechtsstellung eines Gläubigers ist im Steuerrecht somit die Rechtsstellung, die ein Kommanditist gemäß dem handelsrechtlichen Regelungsmodell einnimmt und die nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zur Begründung der Mitunternehmerstellung ausreicht. Zeigt sich, dass ein stilles Gesellschaftsverhältnis wirtschaftlich entsprechend dem gesetzlichen Regelungsmodell des Kommanditisten ausgestaltet ist, ergibt sich nach den Grundsätzen der horizontalen Steuergerechtigkeit das Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung des stillen Gesellschafters und des Kommanditisten.