Der EuGH[1] hat entschieden, dass ein Finanzierungsleasingvertrag, nach dessen Abschluss die Parteien keine Rechnung ausgestellt haben, als Rechnung i. S. von Art. 203 MwStSystRL angesehen werden kann. Dies ist der Fall, wenn dieser Vertrag alle Angaben enthält, die erforderlich sind, damit die Steuerverwaltung feststellen kann, ob die materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug im konkreten Fall erfüllt sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass die in einer Rechnung ausgewiesene MwSt vom Aussteller dieser Rechnung geschuldet wird, auch wenn jeder tatsächlich steuerpflichtige Umsatz fehlt. Art. 203 MwStSystRL soll einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug nach dieser Richtlinie ergeben kann. Zwar ist das Vorliegen und die ordnungsgemäße Ausstellung einer Rechnung nicht automatisch an das Recht auf Vorsteuerabzug gekoppelt, in dem Sinn, dass erstens dieses Recht grundsätzlich an die tatsächliche Bewirkung der Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen geknüpft ist und zweitens sich die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist.[2]

Da jedoch, so nunmehr der EuGH, das Ziel von Art. 203 MwStSystRL darin besteht, die Gefährdung des Steueraufkommens zu beseitigen, lässt sich diese Gefährdung vermeiden, wenn die Steuerverwaltung über die Angaben verfügt, die erforderlich sind, um festzustellen, ob die materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug erfüllt sind, und zwar unabhängig davon, ob die MwSt in einem als „Rechnung“ bezeichneten Dokument oder in einem anderen Dokument, wie etwa einem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag, ausgewiesen wurde. Um als Rechnung i. S. von Art. 203 MwStSystRL anerkannt werden zu können, muss ein Dokument daher, so der EuGH, zum einen die MwSt ausweisen und zum anderen die Angaben i. S. der Bestimmungen von Titel XI, Kapitel 3 Abschn. 4 MwStSystRL („Rechnungsangaben“) enthalten, die erforderlich sind, damit die Steuerverwaltung feststellen kann, ob die materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug erfüllt sind. Diese v.g. neuen Grundsätze, dass eine Rechnung i. S. v. Art. 203 die Angaben i. S. der Bestimmungen von Titel XI, Kapitel 3 Abschn. 4 MwStSystRL enthalten muss, scheinen der bisherigen BFH-Rechtsprechung[3] zu widersprechen, wonach schon Abrechnungsdokumente eine Rechnung darstellen sollen, die die elementaren Merkmale einer Rechnung aufweisen oder den Schein einer solchen erwecken und den Empfänger zum Vorsteuerabzug verleiten. Möglicherweise muss eine Rechnung mehr als die vom BFH bisher definierten 5 Mindestmerkmale enthalten, um als Rechnung bezeichnet werden zu können.

[1] EuGH, Urteil v. 29.9.2022, C-235/21 (Raiffeisen Leasing), HFR 2022 S. 1195.
[2] Vgl. EuGH, Urteil v. 4.7.2013, C-572/11 (Menidzherski biznes reshenia), DB 2013 S. 2484.

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