Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung der Tätigkeit eines in Sicherungsverwahrung befindlichen Steuerpflichtigen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein sich in Sicherungsverwahrung in einer Justizvollzugsanstalt befindlicher und dort beschäftigter (hier: in einer anstaltsinternen Schreinerei) Untergebrachter erzielt als Arbeitnehmer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus einem Dienstverhältnis, soweit eine Gesamtbetrachtung für eine (steuerliche) Arbeitnehmereigenschaft spricht (hier: Arbeit aufgrund freien Entschlusses; Einbindung in die Arbeitsorganisation in der Schreinerei; Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit; feste, über der Vergütung von Gefangenen liegende Vergütung; Anspruch auf bezahlte Freistellung).
2. Die besondere Zielrichtung der Beschäftigung von in Sicherungsverwahrung Untergebrachten (vgl. § 31 Abs. 1 SVVollzG NRW) lässt ebenso wie ein besonderes Motiv des Arbeitgebers für die Beschäftigung von Arbeitnehmern den Veranlassungszusammenhang zum Dienstverhältnis und die Zuordnung des Entgelts zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht entfallen.
Normenkette
EStG § 22 Nr. 3; LStDV § 1 Abs. 1; SVVollzG NRW § 31 Abs. 1 S. 1; SVVollzG § 31 Abs. 1 S. 2, §§ 32-33; EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob der Kläger aus seiner Tätigkeit […] in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) steuerbare Einkünfte erzielt und wenn dies der Fall ist, ob diese zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gehören und deshalb ein Pauschbetrag für Werbungskosten i.H.v. 1.000 € gemäß § 9a S. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzen ist.
Der Kläger wird im Streitjahr 2019 allein zur Einkommensteuer veranlagt. Er befindet sich – nach der Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe – seit 2013 als „Untergebrachter” in Sicherungsverwahrung in der JVA X-Stadt. Er arbeitet dort regelmäßig in der anstaltseigenen Schreinerei und erhält hierfür eine Vergütung gemäß § 32 des Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen – im Streitjahr in der Fassung vom 07.04.2017 (SVVollzG NRW).
Im Rahmen einer Kontrollmitteilung teilte die JVA X-Stadt dem Beklagten mit Schreiben vom 02.03.2020 mit, dass der Kläger im Jahr 2019 Zahlungen aus „Gefangenenvergütung, Taschengeld und Ausgleichsentschädigungszahlungen” in Höhe von insgesamt „Bruttoverdienst”) 14.179,11 € „Nettoverdienst”: 14.001,85 €) erhalten habe.
Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin im September 2020 auf, eine Einkommensteuererklärung für 2019 einzureichen.
Am 27.10.2020 übersandte die Prozessbevollmächtigte für den Kläger per Elster eine Einkommensteuererklärung für 2019 an den Beklagten. Im Begleitschreiben wies die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass es dem Kläger nicht möglich sei, selbst eine Steuererklärung einzureichen. Er befinde sich in Sicherungsverwahrung und habe keinen Internetzugang. Die kostenpflichtige Beauftragung eines Dritten mit der Erstellung der Steuererklärung sei ihm nicht zuzumuten.
In der Einkommensteuererklärung erklärte die Prozessbevollmächtigte für den Kläger einen Bruttoarbeitslohn aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 14.179,11 €. Seine erste Tätigkeitsstätte in der JVA X-Stadt habe er im Jahr 2019 an 230 Tagen aufgesucht. Im Rahmen der Vorsorgeaufwendungen erklärte sie Arbeitnehmerbeiträge zur Arbeitslosenversicherung i.H.v. 178 €. Ferner erklärte sie Unterhaltszahlungen i.H.v. 3.610 € des Klägers an seinen […] Sohn. Für diesen habe niemand im Streitjahr Anspruch auf Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einkommensteuererklärung Bezug genommen.
Mit Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 20.11.2020 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 897 € fest. Hierbei berücksichtigte der Beklagte die Einkünfte des Klägers aus der Schreinerei der JVA X-Stadt i.H.v. 14.179 € als sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Die Unterhaltszahlungen an den Sohn des Klägers blieben unberücksichtigt.
Gegen den Bescheid legte der Kläger (vertreten durch die Prozessbevollmächtigte) am 21.12.2020 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass ein Werbungskostenpauschbetrag in Höhe von 1.000 € anzusetzen sei. Seine Tätigkeit in der Schreinerei der JVA X-Stadt sei mit einer abhängigen Beschäftigung vergleichbar. Er arbeite vollschichtig etwa 40 Stunden in der Woche in der anstaltsinternen Schreinerei. Es würden auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt. Zu beachten sei auch, dass er keine Freiheitsstrafe verbüße, sondern sich als Untergebrachter in Sicherungsverwahrung befinde. Anders als für Strafgefangene bestehe für Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung keine Arbeitspflicht. Er habe sich auf die Arbeit beworben und sei angenommen worden. Für Untergebrachte sei die Angleichung der Lebensverhältnisse in Freiheit zu gewährleisten. Überdies seien die Unterhaltszahlungen an seinen Sohn einkommensteuermindernd zu berücksichtigen. Dieser sei fremd untergebrach...