Nachhaltigkeit wird Standardaufgabe im Controlling

Warum steht Nachhaltigkeit nicht unter den TOP 10 der für 2025 genannten Zukunftsthemen im Controlling? Für Prof. Dr. Péter Horváth und Claudia Maron steht außer Frage, dass sich das ändern muss. Gerade bei der Integration in eine Unternehmensstrategie seien die Controllerinnen und Controller gefragt.

Interviewpartner:

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Péter Horváth ist Gründer und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der HORVÁTH AG.

Claudia Maron ist Vorstandsmitglied des Internationalen Controller Vereins (ICV) und leitet die Abteilung Governance bei der DATEV eG. Dazu gehört auch die Digitale Ökonomie.

Die Fragen stellen Andrea Kämmler-Burrak, Expertin im Bereich Performance Management & Corporate Sustainability bei der Managementberatung Horváth, und Prof. Dr. Andreas Klein, Professor für Controlling und International Accounting an der SRH Hochschule Heidelberg.

Das Interview ist ein Vorabauszug aus dem Buch „ Nachhaltigkeit in der Unternehmenssteuerung: Grundlagen – Instrumente – Praxisbeispiele“, das im September 2021 bei Haufe erscheint.

Hintergrund: Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung heutzutage erreicht?

Herr Professor Horváth, die Auffassung, dass Controllerinnen und Controller mit Nachhaltigkeit doch etwas zu tun haben, teilten Sie bereits frühzeitig. Vor inzwischen 10 Jahren gaben Sie uns schon einmal ein Interview zu Nachhaltigkeit und Green Controlling, ein Thema, das Sie für die Ideen-Werkstatt des ICV angestoßen hatten. Gerade für die Controller war das damals noch ein recht neuer Bereich und dementsprechend war verschiedentlich eine gewisse Zurückhaltung wahrzunehmen. Wie würden Sie das heute einschätzen? Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit im Controlling in der betrieblichen Praxis heute erlangt?

Prof. Dr. Péter Horváth: Nachhaltigkeit – im umfassenden Sinne – gehört heute zum Controller-Alltag. Nachhaltigkeit hat zunehmend an Bedeutung gewonnen und unsere gesamte Gesellschaft hat die existentielle Bedeutung der Nachhaltigkeit mittlerweile erkannt. Damit geht einher, dass auch die Stakeholder von Organisationen heute aktiv Nachhaltigkeit einfordern. Allein finanziell profitabel zu sein, reicht heute nicht mehr aus. Damit hat es sich von einem etwaigen Randthema hin zu einem integralen Bestandteil des unternehmerischen Zielsystems entwickelt. Will der Controller seine Rolle als „Business Partner“ erfüllen, so hat er dieser Entwicklung Rechnung zu tragen.

Frau Maron, wie würden Sie das aus Sicht des ICV beurteilen?

Claudia Maron: Nachhaltigkeit ist definitiv ein Thema für die Controllerinnen und Controller. Die Zurückhaltung aufzugeben auch! Zwei Entwicklungen lassen sich beobachten. Zum einen gibt es einen deutlichen Shift hin zu einer nachhaltigeren Unternehmensführung. Mit dem Green Deal der EU, den Klimazielen der Bundesregierung oder Sustainable Finance ist die Nachhaltigkeitsdebatte in der Unternehmenswelt angekommen. Zum anderen steht nachhaltiges Wirtschaften für Controller noch zu wenig auf der Watchlist. Zumindest befindet es sich nicht unter den TOP 10 der für 2025 genannten Zukunftsthemen im Controlling. Woran liegt das? Bei vielen Unternehmen ist die Hauptverantwortung für das Thema Nachhaltigkeit zumeist beim Topmanagement und bei den auf dieses Thema spezialisierten Abteilungen (z.B. Umweltmanagement) verankert. Das Controlling bleibt dann außen vor. Der ICV hat dies frühzeitig aufgegriffen. Seit 2011 setzt der Fachkreis Green Controlling for Responsible Business des ICV genau hier an: Er identifiziert, diskutiert und entwickelt zielorientierte, praxistaugliche und umsetzungsfähige Lösungen für ein Green Controlling.

Nachhaltigkeit umfasst neben der ökologischen Perspektive auch soziale und ökonomische Aspekte. Durch die aktuelle Klimadiskussion scheint in der Praxis häufig eine Verengung auf die Ökologie vorzuherrschen. Inwieweit ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Horváth: Eine Einengung auf die Ökologie - insbesondere auf die CO2-Thematik - greift in der Tat zu kurz. Unternehmen müssen vielmehr ein ganzheitliches Nachhaltigkeitsverständnis im Sinne der Begrifflichkeit „ESG“ verfolgen. Dieses umfasst neben weiteren ökologischen Aspekten wie z.B. Wasser, Abfall, Biodiversität auch die Bereiche Soziales und Governance. Unternehmen müssen ihre Auswirkungen und Abhängigkeiten auf das natürliche und soziale Kapital identifizieren und berücksichtigen sowie ein Minimum an negativen Auswirkungen sicherstellen, um wirklich nachhaltig zu sein.

Maron: Ausgelöst durch Umwelt- und Klimadiskussionen hat sich das englische Wort „green“ als Markenname für nachhaltige Aktivitäten etabliert. Das kann suggerieren, dass Umweltschutz und ökologische Themen den alleinigen Fokus bilden. Nachhaltiges Wirtschaften umfasst jedoch mehr. Eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung wird immer soziale und ökonomische Aspekte miteinbeziehen.

Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, die Themen in der praktischen Umsetzung stärker in den Kontext der Unternehmensstrategie zu setzen und zu integrieren? Ich denke hier insbesondere an die Balance von ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten vor dem Hintergrund der vielfältigen Zielkonflikte, die sich zwischen den drei Perspektiven immer wieder ergeben?

Horváth: Eine Diskussion über Nachhaltigkeit ohne Kontext ist grundsätzlich nicht zielführend. Nachhaltigkeit bedarf neben einem grundlegenden nachhaltigen Kontext stets eines konkreten unternehmerischen Kontexts. In der Praxis ist hier insbesondere eine klare Verbindung mit dem Unternehmenszweck und der Unternehmensstrategie sowie eine Verzahnung von finanziellen und nicht-finanziellen Werttreibern herzustellen und eine Balance im Sinne einer „triple bottom line“ zu schaffen. Nur so kann eine unternehmensweite Akzeptanz erreicht und mögliche - wie von Ihnen angesprochene - Zielkonflikte identifiziert und balanciert werden.

Maron: Selbstverständlich gehört die Verankerung von ökologischen und sozialen Themen in der Unternehmensstrategie zu einer nachhaltigen Unternehmensführung. Damit ist gewährleistet, dass seitens der Unternehmensleitung ein klarer Rahmen und ein Commitment für die Umsetzung dieser Themen vorliegt. Häufig entstehen die Zielkonflikte durch den kurzfristigen Blick auf die Wertschöpfung. Beispielsweise verursacht eine Photovoltaikanlage Kosten und hat eine längere Amortisationsdauer. Dafür entsteht ein positiver Impact auf die CO2-Bilanz. Image und Arbeitgeberattraktivität steigen. Die Investition kann über grüne Kredite finanziert werden, was sich wiederum positiv auf ein Nachhaltigkeitsrating auswirkt. Langfristig betrachtet lösen sich die Zielkonflikte also häufig auf. Wichtig ist dennoch, die gegensätzlichen Ziele transparent aufzuzeigen, sich ein Bild über die Wirkungen zu machen und bewusste Entscheidungen herbeizuführen.

Sind wir inzwischen zumindest auf europäischer Ebene so weit, dass es für alle keine Alternative zur systematischen Integration externer Effekte gibt. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt zum Einstieg in die Thematik gekommen?

Horváth: Nachhaltigkeit ist kein Sprint, sondern lässt sich eher mit einem Marathon vergleichen. Die Umsetzung und Integration von Nachhaltigkeit in die Unternehmensprozesse und -systeme nehmen mehrere Jahre in Anspruch und Bedarf einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Vor diesem Hintergrund ist m.E. der Einstiegszeitpunkt eigentlich schon vorbei! Wer bis dato noch abgewartet hat, sollte schnellsten „aufwachen“ und aktiv werden. Für das Controlling gibt es keine Alternative: Nachhaltigkeit ist ein Überlebensmuss!

Maron: Ja. Für das Geschäftsjahr 2021 muss im Rahmen der EU-Taxonomie das erste Mal verbindlich über Treibhausgas-Emissionen berichten werden. Eine Ausweitung der Berichtspflicht auch auf nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen wird zurzeit von der EU diskutiert. Damit rücken auch größere mittelständische Unternehmen in den Fokus und sollten jetzt mit der Vorbereitung beginnen, um genügend Zeit zu haben, ihre Informationssysteme auf die neuen Anforderungen anzupassen.

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