Haftung der D&O-Versicherung für Zahlungen nach Insolvenzreife

Ein Geschäftsführer hatte nach Insolvenzreife des von ihm geführten Unternehmens noch Zahlungen veranlasst, dafür bestand ein Haftungsanspruch gem. § 64 Satz 1 GmbHG. Haftet die D&O-Versicherung (Directors and Officers-Versicherung) hier für den Vermögensschaden? In der Rechtsprechung war dies umstritten - bis der BGH für Klärung sorgte.

Der Geschäftsführer eines insolvenzreifen Unternehmens stellte nicht sofort den Insolvenzantrag, sondern veranlasste noch weitere Zahlungen. Der BGH beschäftigte sich mit der Frage, ob die D&O-Versicherung, die die GmbH (Versicherungsnehmer) für den Geschäftsführer (versicherte Person) abgeschlossen hatte, in einem derartigen Fall für den entstandenen Schaden aufkommen muss.

D&O-Versicherer sah keinen Versicherungsschutz für Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG

Kläger aus abgetretenem Recht war der Insolvenzverwalter. Er  machte geltend, der Geschäftsführer hafte nach § 64 Satz 1 GmbHG wegen in den Versicherungsjahren 2011/2012 und 2012/2013 vorgenommenen Zahlungen in Höhe von jeweils mindestens 1,5 Millionen Euro.

Für den Geschäftsführers war bereits mehrere Jahre vor der Insolvenz eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter einer GmbH („D&O-Versicherung“) abgeschlossen worden. Er hatte seine diesbezüglichen Versicherungsansprüche an den Insolvenzverwalter abgetreten.

Die beklagte Versicherung weigerte sich zu zahlen. Sie argumentierte, dass Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG nicht vom Versicherungsschutz erfasst seien.

In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten (ULLA) heißt es (Auszug): 

Versicherte Tätigkeit
Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung der organschaftlichen Tätigkeit bei der Versicherungsnehmerin, einem Tochterunternehmen oder einem auf Antrag mitversicherten Unternehmen begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden von der Versicherungsnehmerin oder einem Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.

Auch das OLG sah für "Ersatzanspruch eigener Art" keinen Versicherungsschutz

In der Vorinstanz hatte das OLG Frankfurt entschieden, der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG

  • stelle keinen gesetzlichen Haftungsanspruch auf Schadensersatz im Sinne der Versicherungsbedingungen dar,
  • sondern sei ein „Ersatzanspruch eigener Art“.

Der Anspruch sei ­ selbst unter Berücksichtigung der Interessen der versicherten Person an einer möglichst weitgehenden Absicherung ­ einem bedingungsgemäßen Schadensersatzanspruch auch nicht gleichzusetzen. Das OLG Frankfurt stützte sich dabei auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 20. Juli 2018 (4 U 93/16), dem es sich anschloss.

BGH sieht bei § 64 GmbHG Schadensersatzanspruch i. S. d. Versicherungsbedingungen

Der BGH, der sich erstmals mit dieser Frage beschäftigte, kam zu einer anderen Einschätzung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handele es sich bei dem in § 64 Satz 1 GmbHG geregelten Anspruch um einen gesetzlichen Haftungsanspruch auf Schadensersatz im Sinne von Ziffer 1.1 ULLA. Dies ergebe sich aus der Auslegung der Klausel.

Bei Klauselauslegung kein versicherungsrechtliches Spezialwissen voraussetzen

Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) seien so auszulegen, so der BGH, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehe. Dabei komme es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und auch auf seine eigenen Interessen an.

Die Auslegung von Ziffer 1.1 der Versicherungsbedingungen ergebe für den durchschnittlichen, hier mithin geschäftserfahrenen und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauten Versicherungsnehmer/Versicherten einer D&O-Versicherung, dass der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch ein bedingungsgemäßer gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz ist.

D&O-Versicherung dient primär der Absicherung der versicherten Person

Die Einbeziehung von Ansprüchen aus § 64 Satz 1 GmbHG in den Versicherungsschutz entspreche auch dem für den Versicherungsnehmer/Versicherten erkennbaren Zweck des Versicherungsvertrags. Die D&O-Versicherung diene als Fremdversicherung der Absicherung der versicherten Personen, die im Bereich der Außen- und auch der Innenhaftung von Schadensersatzansprüchen befreit werden sollten (vgl. BGH, Urteil v. 5.4.2017, IV ZR 360/15).

Anders, als es das Berufungsgericht meinte, würden vom Versicherungsschutz daher nicht primär die Vermögensinteressen der Versicherungsnehmerin (die GmbH), sondern die der versicherten Person geschützt. Der Schutz der Vermögensinteressen des Versicherungsnehmers sei lediglich eine Reflexwirkung des versicherten Haftpflichtinteresses der versicherten Person.

Im Ergebnis hob der BGH, weil insbesondere eine behauptete Vertragsanfechtung durch die Versicherung nicht hinreichend ermittelt worden sei, den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

(BGH, Urteil v. 18.11.2020, IV ZR 217/19).

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Die D&O (Directors and Officers)-Versicherung soll dem Führungspersonal eines Unternehmens Schutz vor schadensrechtlichen Folgen von Fehleinschätzungen, Fehlentscheidungen, Verletzung der Aufsichtspflicht und sonstigen Sorgfaltspflichtverletzungen bieten.

Neben der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Leitungspersonals (z.B. BGH, Urteil v. 17.7.2009, 5 StR 394/08 zur Garantenpflicht, betrügerische Abrechnungen zu unterbinden) sehen die Gerichte die Unternehmensführung zunehmend in der Verantwortung, etwa die Implementierung umfassender Compliance-Regeln zu veranlassen und zu gewährleisten, dass die gesetzlichen Regeln eingehalten, die Einhaltung effektiv kontrolliert wird sowie Vorkehrungen gegen Übertretungen geschaffen werden .

Die Risiken des Leitungspersonals, das heißt, der Vorstände, Aufsichtsräte, Geschäftsführung sowie auch der leitenden Angestellten persönlich in Anspruch genommen zu werden, sind durch die seitens der Rechtsprechung gestellten Anforderungen erheblich gewachsen.