Wird von Zufriedenheit und emotionalem Befinden in Gruppen gesprochen, wird oftmals das Gruppenentwicklungsschema von Tuckman (1965) bzw. Tuckman und Jensen (1977) angeführt. Diesem Modell zufolge verläuft die Gruppenentwicklung sukzessiv in vier (Tuckman, 1965) bzw. fünf (Tuckman und Jensen, 1977) Phasen. Die später ergänzte fünfte Phase ("Adjourning") beschreibt die Auflösung einer Gruppe nach Beendigung der gemeinsamen Arbeit. Sie wird hier vernachlässigt, da sie für die folgende Diskussion wenig Relevanz besitzt (vgl. Abb. 9.2).

Nach diesem Schema müsste die Gruppenarbeit am ehesten in der ersten und zweiten Phase von den Beteiligten als emotional belastend erlebt werden. Dementsprechend müssten die Gruppenmitglieder auch in diesen Phasen eher unzufrieden mit der Gruppe sein als in den beiden folgenden Phasen. In der dritten Phase wird explizit von der Existenz eines guten Gruppengefühls gesprochen. Hat eine Gruppe nach diesem Schema die vierte Phase erreicht, wird sie als "reife" Gruppe bezeichnet, die durch Stabilität, intensive Aufgabenorientierung, emotionale Ruhe und Zufriedenheit sowie ein hohes Zusammengehörigkeitsgefühl charakterisiert ist.

Abbildung 9.2: Vier der fünf Gruppenphasen nach Tuckman und Jensen (1977)

Hinsichtlich der Übertragung des Modells auf reale Arbeits- bzw. Projektgruppen existieren allerdings einige Missverständnisse. Zunächst muss beachtet werden, dass Tuckmans Annahmen wie jedes Modell ein vereinfachtes Abbild realer Prozesse darstellen und eine Idealvorstellung beschreiben. Dies bedeutet, dass bei Betrachtung realer Gruppen zwangsläufig Abweichungen von den Modellannahmen beobachtet werden können. Außerdem ist gerade für schulische Projektgruppen zu berücksichtigen, dass die Mitglieder bereits eine Geschichte der gemeinsamen Zusammenarbeit aufweisen, sodass die gegenseitige Klärung von Interessen, Erwartungen, Verhaltensregeln, Rollen usw. von den bereits bestehenden Beziehungen der Gruppenmitglieder beeinflusst wird. Unter Umständen fallen die Eingangsphasen dann sehr verkürzt aus oder sogar ganz weg, weil eine Gruppe bereits in ähnlicher oder identischer Konstellation in anderen Projekten zusammengearbeitet hat. Insbesondere in kleineren Kollegien trifft dies vermutlich häufig zu. Dabei dürfte von Fall zu Fall variieren, ob bereits bestehende Routinen in der gemeinsamen Arbeit eine förderliche Wirkung besitzen, weil anfängliche Aushandlungsprozesse in der Gruppe übersprungen werden können, oder ob sie eher hinderlich sind, weil sie konstruktive Neuorientierungen innerhalb einer Gruppe erschweren.

Angesichts dieses Beispiels wird deutlich, warum eine exakte Übertragung von Tuckmans Modell auf reale Projektgruppen nicht möglich ist. Dies zeigen auch empirische Studien zu diesem Thema: So fehlt bisher der empirische Nachweis für die Annahme, dass "reife" Gruppen existieren bzw. Gruppen die Phasen dorthin sukzessiv durchlaufen. Vielmehr zeigen Studien, dass in realen Arbeitsgruppen die für einzelne Phasen typischen Prozesse im Verlauf der Gruppenarbeit immer wieder auftreten (Ardelt-Gattinger & Gattinger, 1998). Das Ausmaß an emotionalen Spannungen, Zufriedenheit und Aufgabenorientierung kann somit während der gesamten gemeinsamen Arbeit in Gruppen variieren. Allein das Wissen darüber, dass es nicht nur zu Beginn der Gruppenarbeit, sondern auch zu späteren Zeitpunkten zu Differenzen, Rangkämpfen bzw. Neustrukturierungen hinsichtlich Rollen, Normen und emotionalen Beziehungen in Gruppen kommen kann, könnte dazu beitragen, diese mit einer gewissen Gelassenheit zu betrachten und nicht als ernsthafte Krise bzw. Existenzbedrohung für die Gruppe anzusehen.

In Theorien bzw. Modellen zur Gestaltung von Veränderungsprozessen in Institutionen ("Change Management", z. B. Stolzenberg & Heberle, 2009) wird vergleichsweise deutlicher berücksichtigt, dass während der Projektarbeit Höhen und Tiefen durchlaufen werden. Annahmen hinsichtlich der emotionalen Bewertung der Arbeit bei einem typischen Verlauf von Projektarbeit werden in Abbildung 9.3 dargestellt.

Abbildung 9.3: Phasen und typischer Verlauf der Arbeit von Projektgruppen nach Duck (2001)

Erste Euphorie

Je nach Vorerfahrungen und Erwartungen liegt der Startpunkt der Kurve zu Beginn des Projektes im positiven oder negativen emotionalen Bereich. Die Entwicklung zu Beginn (schneller, rasanter oder zögerlicher Start) wird von diesen Ausgangsvoraussetzungen wesentlich beeinflusst. Relativ unabhängig von unterschiedlichen Startmerkmalen wird im weiteren Verlauf des Projektes eine erste Euphorie einsetzen. Ausgelöst wird diese zumeist dadurch, dass durch eine erste Analyse das Problem als identifiziert gilt und in Folge Möglichkeiten zu dessen Lösung oder Verbesserung erarbeitet werden. Es werden entsprechende Konzepte und Maßnahmen entwickelt und geplant, um das angestrebte Ziel zu erreichen.

Konzeptkrise

Eine erste Krise ist häufig zu verzeichnen, wenn die Methoden und Lösungsansätze kritisiert bzw. deren Realisierbarkeit infrage gestellt werden....

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