Praxis-Beispiel

Gründet beispielsweise der in Berlin-Tempelhof ansässige Bauunternehmer in Dublin eine irische Kapitalgesellschaft unter der Firma Tempelhofer Fassadentechnik Ltd., die zwar in Irland registriert, aber dort gar nicht tätig ist, stellt sich die Frage, ob diese Gesellschaft in Deutschland rechtsfähig ist.

  • Die traditionelle deutsche Auffassung hat dazu die sogenannte Sitztheorie vertreten, die besagt, dass die Gesellschaft dort wirksam registriert bzw. errichtet sein muss, wo sie ihren effektiven Sitz hat. Der Sitz wiederum kann nicht willkürlich festgelegt werden, vielmehr ist der Sitz der Gesellschaft dort, wo die Gesellschaft entweder ihre Verwaltung hat, ihren Geschäftsbetrieb, z. B. eine Betriebsstätte unterhält, oder wo ihre Leitung, d. h. ihre Geschäftsführung residiert. Die Tempelhofer Fassadentechnik kann daher nicht in Dublin ihren Sitz unterhalten, wenn dort weder die Verwaltung, der Geschäftsbetrieb noch die Geschäftsleitung ansässig sind.
  • Demgegenüber vertritt die Gründungstheorie die Auffassung, dass es allein darauf ankommt, ob die Gesellschaft in einem Land wirksam gegründet worden ist. Mit der wirksamen Gründung erlangt die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit, die sie auch dann behält, wenn sie ihren effektiven Sitz ins Ausland verlegt. Die Gründungstheorie ermöglicht dadurch Sitzverlegungen über die Grenze unter Beibehaltung des Gründungsstatus.

Die Anwendung der Sitztheorie führt dazu, dass im Ausland gegründete sogenannte Briefkastengesellschaften, entweder im Inland nicht rechtsfähig sind, was wiederum zur Konsequenz hatte, dass sie ihre Ansprüche im Inland nicht durchsetzen konnten oder als Personengesellschaften z. B. als OHG oder GbR zu behandeln sind, sodass eine persönliche Haftung ihrer Gesellschafter bestehen kann.[1]

 
Praxis-Beispiel

Die Tempelhofer Fassadentechnik Ltd. beispielsweise, die in Dublin/Irland registriert ist, könnte bei Geltung der Sitztheorie etwaige Werklohnansprüche für Fassadenarbeiten in Deutschland ggf. nicht durchsetzen, wenn der Vertragspartner sich darauf beruft, dass der irischen Gesellschaft mangels Rechtsfähigkeit ein Werklohnanspruch gar nicht zustehen kann, allerdings wäre zu prüfen, ob tatsächlich eine inländische Rechtsform z. B. eine OHG vorliegt, was dann aber mit einer persönlichen Haftung der Gesellschafter verbunden wäre. Da die Tempelhofer Fassadentechnik Ltd. aber eine irische Gesellschaft ist, handelt es sich um eine EU-Gesellschaft, deshalb gilt die Gründungstheorie. Sie ist solange in Deutschland rechtsfähig, wie sie in Irland rechtsfähig ist.

Die Gründungstheorie, die für Gesellschaften innerhalb der EU oder soweit – ein bilaterales Abkommen dies vorsieht – gilt, führt dazu, dass dann, wenn eine in Deutschland verklagte ausländische EU-Gesellschaft nach Rechtshängigkeit im Gründungsstaat gelöscht wird, sich die Rechtsfolgen nach dem Gründungsstaat bestimmen. Verliert die Gesellschaft nach ihrem Gründungsstatut, also dem Recht ihres Landes, ihre Rechtsfähigkeit, ist sie – vorbehaltlich einer Weiterführung als Rest-, Spalt- oder Liquidationsgesellschaft oder als Einzelunternehmer – in Deutschland nicht mehr partei- oder prozessfähig.[2] Daher müssen die Gesellschafter immer darauf achten, dass sie die Verpflichtungen im Gründungsstaat erfüllen, damit die Gesellschaft dort nicht gelöscht wird, wozu häufig gehört, dass dort Jahresabschlüsse publiziert oder Steuererklärungen abgegeben werden.

[1] BGH, Urteil v.27.10.2008,II ZR 158/06, NJW 2009, 289 = BGHZ 178, 192 (Trabrennbahn) und BGH Urteil v. 21.3.1986, V ZR 0/85, BGHZ 97, 269, 271.

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