Rz. 2

Gibt es für das zu prüfende Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose, so ist für Zwecke der Überschuldungsprüfung eine Gegenüberstellung von Aktiv- und Passivpositionen schlussendlich entbehrlich. Die Fortbestehensprognose – reine Zahlungsfähigkeitsprognose[1] – soll eine Aussage dazu ermöglichen, ob vor dem Hintergrund der getroffenen Annahmen und der daraus abgeleiteten Auswirkungen auf die zukünftige Ertrags- und Liquiditätslage ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, die im Planungshorizont jeweils fälligen Verbindlichkeiten bedienen zu können. Wobei zunächst die Fortführungswilligkeit der Geschäftsführung als Voraussetzung geprüft werden muss.[2]

Obwohl ein Unternehmen bilanziell überschuldet ist, kann der in der Praxis nicht selten vorliegende Fall eintreten, dass keine insolvenzrechtliche Überschuldung besteht, weil eine positive Fortbestehensprognose für das laufende und das darauf folgende Geschäftsjahr bescheinigt wurde. Beispielsweise werden gemäß § 39 Abs. 2 InsO Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, im Zweifel nach den in § 39 Abs. 1 InsO bezeichneten Forderungen berichtigt.

Eine so verstandene Überschuldungsprüfung besteht nach h. M.[3] aus einem exekutorischen Element (rechnerische Überschuldung) und einem prognostischen Element (Überlebensfähigkeit auf Basis einer Finanz- und Ertragsrechnung) als gleichwertige Bestandteile. In einem ersten Schritt ist zunächst unter Zugrundelegung von Liquidationswerten zu bestimmen, ob eine rechnerische Überschuldung vorliegt. Diese hat jedoch für sich genommen noch keine rechtliche Bedeutung. Eine rechtlich relevante Überschuldung liegt erst dann vor, wenn auch das Ergebnis einer durchzuführenden Fortbestehensprognose negativ ausfällt bzw. eine Fortbestehensprognose erst gar nicht erstellt wurde.[4] Insbesondere beim völligen Fehlen einer Fortbestehensprognose findet man in Gutachten von Insolvenzverwaltern nicht selten folgenden (oder ähnlichen) Vermerk:

"Der Geschäftsführer der Schuldnerin, die sich bereits vor Antragstellung in einer von den finanzierenden Banken begleiteten Sanierungsphase befand, konnte bislang weder eine plausible Unternehmenskonzeption noch eine aus einer Umsatz- und Kostenplanung unter Berücksichtigung der Innen- und Außenfinanzierung abgeleitete Finanzplanung vorlegen. Aus diesem Grunde waren die beteiligten Kreditinstitute zu keiner weiteren Finanzierung der Antragstellerin bereit. Daher muss ich derzeit davon ausgehen, dass weder eine Neufinanzierung möglich ist noch die Finanzkraft des Unternehmens ausreicht, um den Geschäftsbetrieb ohne eine Kreditlinie bei einer Geschäftsbank innenfinanziert aufrechtzuerhalten. Im Ergebnis ist also von einer negativen Fortbestehensprognose auszugehen."

Anders herum gewendet kann danach eine Überschuldung unter Anwendung der modifizierten Zweistufigkeit dann nicht gegeben sein, wenn nach einer festgestellten überwiegenden Wahrscheinlichkeit die Finanzkraft des Unternehmens mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht.[5] Eine rechnerische Überschuldung wird im Ergebnis durch eine positive Fortbestehensprognose modifiziert, wie Abb. 1 zeigt. Im Falle einer positiven Fortbestehensprognose ist von keiner Schädigung des Gläubigerinteresses auszugehen, weshalb auch keine "sanktionswürdige" Überschuldung, sondern nur eine rechnerische Überschuldung, vorliegt.[6]

Abb. 1: Prüfungsschritte im Rahmen der modifizierten zweistufigen Überschuldungsprüfung

 

Rz. 3

Das IDW fordert im Standard S 11 "Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen" (der die Stellungnahme FAR 1/1996 "Empfehlungen zur Überschuldungsprüfung bei Unternehmen" ersetzt) ebenfalls ein zweistufiges Vorgehen:

  • "Auf der ersten Stufe sind die Überlebenschancen des Unternehmens in ­einer Fortbestehensprognose zu beurteilen. Bei einer positiven Fortbestehensprognose liegt keine Überschuldung i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO vor."
  • "Im Falle einer negativen Fortbestehensprognose sind auf der zweiten Stufe Vermögen und Schulden des Unternehmens in einem stichtagsbezogenen Status zu Liquidationswerten gegenüberzustellen. In diesem Fall liegt zumindest eine drohende Zahlungsunfähigkeit und damit ein Insolvenzantragsrecht vor. Ist darüber hinaus das sich aus dem Überschuldungsstatus ergebende Reinvermögen negativ, liegt zusätzlich eine Überschuldung vor, die eine Antragspflicht begründet."[7]
[1] Pape, in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 19 InsO, Rz. 37, Stand: 08.2021.
[2] IDW S 11, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen, Rz. 59.
[3] Mock, in Uhlenbruck, InsO, 2019, § 19 Rz. 39; IDW S 11, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen, Rz. 53.
[4] Grube/Röhm, wistra 2009, S. 82.
[5] Schmidt, DB 2008, S. 2469.
[6] Barth/Träger, BBK 2009, S. 1134.
[7] IDW S 11, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen, Rz. 53.

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