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Hinweis

Im Juli 2021 ist es durch Starkregen und Hochwasser 2021 bei vielen Unternehmen zu erheblichen Schäden und dadurch bedingte Betriebsunterbrechungen gekommen. Damit stehen bei einer Vielzahl von Betrieben eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit und die damit verbundene Insolvenzantragspflicht im Raum. Der Gesetzgeber hat darauf nunmehr mit einem Entwurf eines Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 reagiert.

"Ziel des vorgeschlagenen Gesetzes ist es, den geschädigten Unternehmen und ihren organschaftlichen Vertreterinnen und Vertretern Zeit zu geben, um die notwendigen Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen zu führen, wenn die Insolvenz durch mögliche öffentliche Hilfen, Entschädigungsleistungen, Versicherungsleistungen, Zins- und Tilgungsmoratorien oder auf andere Weise abgewendet werden kann."[1] Deshalb sollen die betroffenen Unternehmen vorübergehend von der Pflicht befreit werden, einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Beschluss des Bundestages steht noch aus.

Im Rahmen der Insolvenzrechtsreform 1999 wurde ein Überschuldungsbegriff eingeführt, der eine dreistufige Prüfungsreihenfolge vorsah. Danach war zunächst auf der ersten Stufe die Prüfung einer rechnerischen Überschuldung auf Basis von aktiven und passiven Liquidationswerten vorzunehmen. Nach damals herrschender Meinung[2] stellten die Liquidationswerte dabei Einzelveräußerungswerte dar, die sich ergaben, wenn die einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens ohne Berücksichtigung ihrer bisherigen Nutzungsmöglichkeit veräußert wurden. Nach diesem Verständnis waren mit Liquidationswerten keine Zerschlagungs- oder Verschleuderungswerte gemeint. Im Vordergrund stand die Annahme eines geordneten Vermögensverkaufs, der ohne hohen Zeitdruck erfolgt. Ergab sich bei einem solchen Ansatz keine rechnerische Überschuldung (die einzelnen aktiven Liquidationswerte decken die Verbindlichkeiten), so war die Feststellung einer rechtlichen Überschuldung ausgeschlossen und die Prüfung damit beendet.

War die Gesellschaft allerdings auf der Grundlage von Liquidationswerten rechnerisch überschuldet, so war auf einer zweiten Prüfungsstufe eine Fortbestehensprognose zu erstellen. Fiel die Fortbestehensprognose negativ aus, so war die Gesellschaft definitiv rechtlich überschuldet und es bestand die Notwendigkeit zur Stellung eines Insolvenzantrags innerhalb des Dreiwochenzeitraums. Fiel die Fortbestehensprognose allerdings positiv aus, so war der bisher auf Basis von Liquidationswerten erstellte Überschuldungsstatus ggf. um auftretende Differenzen zu den höheren (aktiven) Fortführungswerten zu korrigieren. Ließ sich auch durch diese Korrekturen eine rechnerische Überschuldung nicht beseitigen, so war von einer rechtlichen Überschuldung des Unternehmens auszugehen und zwingend innerhalb der vorgegebenen Fristen ein Insolvenzantrag zu stellen. Auf der Basis eines derartigen Überschuldungsverständnisses folgte aus dem Ergebnis der Fortbestehensprognose die Bewertungsprämisse für den Ansatz von Aktiv- und Passivpositionen im Überschuldungsstatus. Im Gegensatz zu der jetzt unbefristet geltenden Definition einer rechtlichen Überschuldung war die Forbestehensprognose damit kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal einer Überschuldungsprüfung.[3]

In Anbetracht der Finanzmarktkrise 2007/2008 wurde durch Art. 6 Abs. 3 des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes 2008[4] die Überschuldung im Rechtsinne neu definiert. Eine insolvenzrechtlich relevante Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 InsO nur dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Im November 2012 hat der Deutsche Bundestag über das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehehelfsbelehrung im Zivilprozess insbesondere mit Relevanz für das Insolvenzrecht die Entfristung der zunächst bis zum 31.12.2013 geltenden Überschuldungsdefinition in § 19 InsO beschlossen. Damit wird die ursprünglich durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz mit Wirkung zum 18.10.2008 geänderte Überschuldungsdefinition, die zunächst bis zum 31.12.2010 gelten sollte und dann noch einmal bis zum 31.12.2013 befristet wurde, in Permanenz anzuwenden sein.[5] Dies bedeutet eine Rückkehr zur sog. modifizierten zweistufigen Überschuldungsprüfung (bzw. Überschuldungsermittlung).[6] Im Fokus der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung steht nunmehr die Fortbestehensprognose als solche. Diese Rückkehr zur modifizierten Zweistufigkeit ist positiv zu bewerten, da die Rechtfertigung einer (insolvenzrechtlichen) Überschuldung bei einem überlebensfähigen Unternehmen schwierig erscheint.[7]

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