In § 249 HGB ist abschließend bestimmt, für welche Zwecke eine Rückstellung zu bilden ist. Bei Vorliegen der Tatbestände des § 249 HGB muss nach Handelsrecht zum nächsten Bilanzstichtag eine Rückstellung ausgewiesen werden. Es besteht kein Wahlrecht.

Eine wesentliche Rückstellungskategorie sind die Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (bzw. Verbindlichkeitsrückstellungen). Das IDW hat u. a. zur Bilanzierung von Verbindlichkeitsrückstellungen im Standard IDW RS HFA 34 Stellung genommen.

Handelsrechtliche Rückstellungen sind nach dem Maßgeblichkeitsprinzip in die Steuerbilanz zu übernehmen, wenn keine steuerlichen Regelungen dem entgegenstehen. Wesentliche Einschränkungen finden sich insb. in § 5 EStG.

Für das Risiko der Inanspruchnahme aus einer gegen den bilanzierenden Kaufmann angestrengten Klage kann eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden sein, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten setzt eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten voraus, wodurch Vergangenes abgegolten wird. Dementsprechend ist eine Verbindlichkeitsrückstellung zu bilden, wenn

  • es sich um eine Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten oder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung handelt (Bestehen einer Verpflichtung),
  • die Verpflichtung vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht oder rechtlich entstanden ist (wirtschaftliche Verursachung oder rechtliche Entstehung),
  • mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist (Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme) und
  • die Aufwendungen in künftigen Wirtschaftsjahren nicht zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten für einen Vermögensgegenstand führen.[1]

Es stellt sich daher die Frage, wann bei einer Verpflichtung aus einer gegen den bilanzierenden Kaufmann angestrengten Klage diese Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei erweist sich die Anwendung der beiden Kriterien "Bestehen einer Verpflichtung" und "Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme" als problematisch.

Zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer Verbindlichkeit und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme ist zu unterscheiden, beide Risiken können unterschiedlich sein.[2]

3.1 Bestehen einer Verpflichtung

Eine Verpflichtung besteht, wenn die rechtlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage erfüllt sind. Daher ist das Bestehen einer Verpflichtung am Bilanzstichtag anhand der rechtlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage zu prüfen. Dabei kann sich herausstellen, dass die Voraussetzungen entweder erfüllt sind oder deren Erfüllung ungewiss ist. Ist das Bestehen einer Verpflichtung ungewiss, kommt es darauf an, ob es unwahrscheinlich ist, dass die Anspruchsgrundlage erfüllt ist.

Nach handelsrechtlicher Auffassung ist eine Rückstellung bereits dann zu bilden, wenn das Bestehen einer Verpflichtung nicht ausgeschlossen werden kann.[1] Die Wahrscheinlichkeit für das Bestehen kann danach auch unter 50 % liegen.

Strengere Anforderungen stellt der BFH. Nach der Rechtsprechung ist eine Rückstellung dann zu bilden, wenn nach allen am Bilanzstichtag objektiv gegebenen (und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren) Umständen mehr Gründe für als gegen das Bestehen der Verbindlichkeit sprechen. Eine Verbindlichkeit, auch eine ungewisse, muss bereits eine wirtschaftliche Belastung darstellen.[2]

[1] Vgl. Schubert, in: Beck'scher Bilanzkommentar, § 249 HGB, 12. Aufl., Rz. 26.

3.2 Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

Eine Verbindlichkeitsrückstellung kann nur gebildet werden, wenn darüber hinaus die Inanspruchnahme aus der Verpflichtung auch wahrscheinlich ist, d. h. der Bilanzierende ernsthaft mit der Geltendmachung des Anspruchs rechnen muss.[1]

Von einer Inanspruchnahme muss der Bilanzierende nach handelsrechtlicher Auffassung regelmäßig dann ausgehen, wenn der Gläubiger seinen Anspruch kennt. Etwas anderes gilt nur, wenn aufgrund besonderer Umstände mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mit einer Inanspruchnahme zu rechnen ist.[2] Auch hier stellt die Rechtsprechung höhere Anforderungen. Nach Auffassung des BFH ist eine Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme nur dann gegeben, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag mehr Gründe dafür als dagegen sprechen, dass der Gläubiger seinen Anspruch gegen den Bilanzierenden geltend machen wird.[3] Nach der Rechtsprechung darf der Bilanzierende im Hinblick auf seine Inanspruchnahme nicht einfach die pessimistischste Alternative wählen; auch für die Inanspruchnahme müssen mehr Gründe dafür als dagegen sprechen.[4]

Dieses mehr als "50 %-Kriterium" des BFH wird in der Literatur kritisiert, da relevante Risiken auch bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit vorliegen können.[5]

[1] Vgl. Bertram, in Bertram/Brinkmann/Kessler/Müller, Haufe HGB Bilanz Kommentar, § 249 HGB Rz. 43, Stand: 19.10.2021.
[2] Vgl. Schubert, in: Beck'scher Bilanzkommentar, § 249 HGB, 12. Aufl., Rz. 43.

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