Rz. 34

Der dynamische Verschuldungsgrad[1] gibt die Anzahl der Jahre an, die der Cashflow der aktuellen Periode erwirtschaftet werden müsste, um sämtliche Verbindlichkeiten des Unternehmens abzubauen. Geht man von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit aus, so lassen sich die Verbindlichkeiten lediglich aus dem erwirtschafteten Cashflow begleichen. Je länger ein Unternehmen braucht, seine Verbindlichkeiten zurückzuzahlen, desto unsicherer ist die Fortführung der Unternehmenstätigkeit. Ist dagegen eine schnelle Rückführung gewährleistet, stehen dem Unternehmen schneller liquide Mittel für neue Investitionsprojekte zur Verfügung.

 
Dyn. Verschuldungsgrad (in Jahren) = Verbindlichkeiten – Liquide Mittel × 365
Cashflow
 

Rz. 35

Um Gestaltungen zwischen Verbindlichkeiten und Rückstellungen zu verhindern, wird im Zähler auch mit dem gesamten Fremdkapital gerechnet. Unabhängig von den Einzelheiten bei der Ermittlung[2] kann der im Nenner stehende Cashflow als Saldo aller erzielten Einzahlungen aus der Tätigkeit am Markt (jedoch ohne Einzahlungen aus der Veräußerung von Gegen­ständen des Anlagevermögens) und aller Auszahlungen für die Tätigkeit am Markt, allerdings ohne Investitionsauszahlungen, verstanden werden. Er verkörpert die aus Erfolgstätigkeit des Unternehmens erwirtschafteten Finanzmittel der Periode. Der Cashflow ist ein Maß für die Finanzkraft des Unternehmens, denn er bringt zum Ausdruck, inwieweit das Unternehmen die notwendigen finanziellen Mittel zur Bestreitung zentraler unternehmerischer Aufgaben, wie Investition, Schuldentilgung oder Gewinnausschüttung, ohne Rückgriff auf dritte Geldgeber, d. h. aus eigener Kraft, bereitzustellen vermocht hat.[3] Insoweit ist der Cashflow ein Ausdruck der Finanzautonomie, Investitionskraft, Schuldentilgungskraft und Gewinnausschüttungskraft des Unternehmens. Schließlich kommt in dieser Zahl auch zum Ausdruck, inwieweit das Unternehmen eine Stärkung der Liquiditätsposition aus dem laufenden betrieblichen Erfolgsgeschehen heraus bewirken konnte.

 

Rz. 36

Der Grund für die Verwendung dieser Kennzahl in der Bonitätsanalyse liegt in der Beseitigung von Aussageschwächen, die dem Jahresabschluss innewohnen. Zum einen weist der Jahresabschluss erhebliche Verzerrungen auf, die auf bilanzpolitische Maßnahmen zurückzuführen sind. Beispielsweise bieten Abschreibungen sowie Zuführungen und Auflösungen von Rückstellungen erhebliche Möglichkeiten, um den Erfolgsausweis zu beeinflussen. Zum anderen liefert er nur ein unzureichendes Bild über die finanzwirtschaftliche Sphäre des Unternehmens. So erlaubt der Bilanzgewinn z. B. keine Rückschlüsse darüber, wie viel Finanzmittel sich als Überschuss aus der Betriebstätigkeit ergeben. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass sich das Zahlungs- und Erfolgsgeschehen in der Unternehmung nicht immer decken. Mit anderen Worten: Der finanzwirtschaftliche Überschuss hat kurzfristig gesehen ein anderes Aussehen als der erfolgswirtschaftliche – erst langfristig gleichen sich die kumulierten Größen an. Zudem erhält man mit dem Cashflow eine Größe, die weitestgehend von bilanzpolitischen Gestaltungsmaßnahmen befreit ist und somit weit weniger Spielraum für Manipulationen ermöglicht als der ausgewiesene Bilanzgewinn oder das Jahresergebnis.[4]

 

Rz. 37

Für das Unternehmen bedeutet dies, die Cashflow-Entwicklung sehr genau zu beobachten. Je nach der Ermittlungsmethode ist dabei insbesondere die Veränderung des Working Capital zu überwachen, da hier aktiv eingegriffen werden kann. So erhöht sich der (genaue) Cashflow-Ausweis, wenn Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen langsamer bezahlt werden und Forderungen von den Kunden schneller beglichen werden. Aber auch die Lagerbestände wirken auf den Cashflow. Ein Lageraufbau wirkt dabei Cashflow-mindernd. Wird hingegen nur der Cashflow ohne Berücksichtigung der Bestandsveränderungen berechnet, so sind ggf. Beeinflussungen etwa durch Zuschreibungen möglich.

[1] Vgl. zur Verwendung bei Ratingsystemen Meyer, Kunden-Bilanzanalyse der Kreditinstitute, 2. Aufl. 2000, S. 286.
[3] Vgl. Lachnit/Müller, Bilanzanalyse, 2. Aufl. 2017, S. 290.
[4] Vgl. Müller, Management-Rechnungswesen, 2003, S. 255.

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