Stakeholder- und Shareholder-Ansatz

Anfang der 1980er Jahre wetteiferten zwei grundlegende Ansätze zur Unternehmensorientierung miteinander: Der Stakeholder-Ansatz von Freeman[1] und der Shareholder-Ansatz von Rappaport.[2] Letzterer hat sich durchgesetzt und mit ihm die Methodik der "wertorientierten Unternehmenssteuerung". Parallel dazu gab es allerdings eine mehr als 35 Jahre zuvor eröffnete Diskussion zur "Political Culture", die den Begriff "Wertorientierung" im Sinne der Teilhabe der Menschen an der Gestaltung ihres Lebens – auch ihres Arbeitslebens – bereits geprägt hatte. Insofern war der kapitalmarktbezogene Ansatz des "Shareholder Value" eine andere Ausrichtung und die deutsche Bezeichnung "Wertorientierung" unglücklich gewählt. Gemeint ist "Unternehmenswertorientierung".

Probleme des Shareholder-Ansatzes

Neben dieser unglücklichen Übersetzung haben die praktischen Erfahrungen mit 30 Jahren Shareholder-Value-Ansatz auch erhebliche inhaltliche Schwächen offengelegt:

  • Am Finanzmarkt drückt sich die Ansicht der Marktteilnehmer über den Wert der dort gehandelten Unternehmen im Kurs der Anteilsscheine aus. Die Interessen anderer Stakeholder werden nicht explizit berücksichtigt, sondern sollen über Marktmechanismen einbezogen werden. Das führte zu Herangehensweisen, die den neuen Herausforderungen und Erfahrungen der globalen Vernetzung und Digitalisierung nicht mehr gerecht werden.
  • Ein konsequent umgesetztes Shareholder-Value-Denken kann zur Fehlsteuerung führen. Die Shareholder-Value-Diskussion gibt keine Antworten auf den Unternehmenszweck. Deutlich wurde dies anhand der Rolle vieler Banken in der Finanzkrise: dem Zweck des möglichst reibungslosen Versorgens der Marktteilnehmer mit liquiden Mitteln stehen Spekulationstransaktionen entgegen, die aus Shareholder-Value-Sicht sinnvoll erscheinen, aber schließlich fast zum Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften geführt haben.
  • Mit dem Shareholder-Ansatz gelingt es nicht, die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen der Umwelt und den Unternehmen transparent einzubeziehen. Die Abbildung der Unternehmung in der Umwelt über den Einbezug und die Bewertung von externen Effekten ist nicht ausreichend.

Daneben sind auch methodische Probleme bei den üblichen Ansätzen zu sehen:

  • Neben den Kriterien für die Veräußerung von Geschäftsanteilen (der Realisierung ihres Wertes durch Kauf und Verkauf) benötigen wir auch Kriterien für die interne Bewertung von Geschäftsanteilen, die im Eigentum gehalten, also nicht veräußert werden (Werthaltigkeit).
  • Außerdem werden die Risiken einseitig externalisiert. "Die relativ (zu) geringe Bedeutung interner Risikoanalysen z. B. bei der Bewertung von Strategien oder Investitionen resultiert daher, dass entgegen dem empirischen Forschungsstand bei einer "wertorientierten" Unternehmenssteuerung noch immer historische Aktienrenditeschwankungen (Beta Faktor) – und nicht aggregierte Ertragsrisiken – Grundlage für die Berechnung von Renditeanforderungen (Kapitalkosten) sind (Verwechslung von kapitalmarkt- und wertorientierter Unternehmensführung)".[3]

Kerngedanke: Teilhabe an der Wertschöpfung

Entscheidend für die Anknüpfung an den Terminus "Moderne Wertorientierung" – in bewusster Abgrenzung zum „Unternehmenswert-Ansatz des Shareholder Value – ist den Autoren jedoch der Gedanke, allen involvierten Menschen die aktive Teilhabe an der Wertschöpfung zu ermöglichen. Wirtschaftlicher Erfolg basiert unter den heutigen Bedingungen globaler Vernetzung und der Digitalisierung von Technologien vor allem auf diesem Faktor. Innovationsfähigkeit, eigenständiges Handeln vor Ort, flexible Reaktion auf Volatilitäten oder Eigeninitiative im Eingehen auf die individuellen Besonderheiten von Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Investoren – all das erhebt die aktive Teilhabe der Menschen an der Wertschöpfung zu einem erstrangigen Wettbewerbsfaktor.

Klassische Unternehmenswertorientierung behält ihre Berechtigung

Der Shareholder-Ansatz wird daher in der Praxis zunehmend vom Stakeholder-Ansatz ersetzt. Die relativ weite Verbreitung der Balanced Scorecard mit ihrer expliziten Berücksichtigung der Stakeholder-Interessen (Perspektiven) hat zu diesem Wandel mit beigetragen.[4]

Das bedeutet aus Sicht der Autoren allerdings nicht, dass der klassischen "Unternehmenswert-orientierte Ansatz" für eine Moderne Wertorientierung grundsätzlich ungeeignet ist. Die Modelle der Unternehmenswert-Ermittlung haben sich vielfach bewährt und sind als Werkzeug zur Unternehmenssteuerung grundsätzlich geeignet. Sie müssen auf eine veränderte Grundlage gestellt und den spezifischen Anforderungen verschiedener Stakeholder angepasst werden. Die kapitalmarktbezogene Werthaltigkeit bildet dabei lediglich eine Dimension. Andere Ziele müssen sich ebenso im Instrumentarium des Controllings widerspiegeln. Und es ist zu respektieren, dass Führungsverhalten und Führungsentscheidungen heute nicht mehr auf finanzielle Aspekte und Berechnungen reduziert werden dürfen. Dann können die klassischen Methoden wei...

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