1 Grundlagen

1.1 Begriff der Bilanzpolitik

 

Rz. 1

Der Jahresabschluss eines Unternehmens ergibt sich nach Form und Inhalt keineswegs zwangsläufig und unabänderlich aus dem Rechnungswesen am Ende des Geschäftsjahres. Vielmehr zeigen sich bei seiner Vorbereitung und Erstellung hinsichtlich der zu erfassenden, auszuweisenden, zu bewertenden und zu erläuternden Vorgänge zahlreiche Handlungsalternativen. Notwendigerweise muss ständig zwischen mehreren zulässigen Alternativen gewählt werden. Die verschiedenen Wahlmöglichkeiten lassen sich in einem HGB-Abschluss aber auch gezielt ausnutzen, weil sich das den Abschluss aufstellende Unternehmen daraus Vorteile verspricht. Dann spricht man von Bilanzpolitik.

Bilanzpolitik lässt sich definieren "als die willentliche und hinsichtlich der Unternehmensziele zweckorientierte Beeinflussung von Form und Inhalt des Jahresabschlusses und der damit einhergehenden Berichterstattung, soweit das geltende Recht beachtet wird."[1]

 

Rz. 2

Im Grunde genommen ist der Ausdruck "Bilanzpolitik" für das damit Gemeinte zu eng, denn es geht ja hier nicht nur um die Bilanz, sondern um alle den Jahresabschluss betreffenden Vorgänge, was die Gewinn- und Verlustrechnung und – bei Kapitalgesellschaften – zumindest[2] auch den Anhang einschließt. Und letztendlich fällt auch die Gestaltung und insbesondere der Umfang des Lageberichts der Kapitalgesellschaft[3] oder zusätzlich mit dem Jahresabschluss und dem Lagebericht offenzulegenden Berichte (z. B. Vergütungsbericht nach § 162 AktG, Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit nach § 21 EntgTranspG oder künftig der Ertragsteuerinformationsbericht[4]) in den Anwendungsbericht. Passender wäre deshalb eigentlich der Begriff "Jahresabschlusspolitik" oder "Rechnungslegungspolitik". In der Praxis hat sich jedoch die Bezeichnung "Bilanzpolitik" eingebürgert, sodass auch im Folgenden von Bilanzpolitik gesprochen werden soll.

[1] Scheffler, in Küpper/Wagenhofer, Handwörterbuch Unternehmensrechnung und Controlling, 4. Aufl. 2002, Bilanzplanung und Bilanzpolitik, Sp. 186.
[2] Die nicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichteten kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften i. S. d. § 264d HGB haben den Jahresabschluss zusätzlich um eine Kapitalflussrechnung und einen Eigenkapitalspiegel zu erweitern (§ 264 Abs. 1 Satz 2 HGB).
[3] Vgl. Sieben/Barion/Maltry, in Chmielewicz/Schweitzer, Handwörterbuch des Rechnungswesens, 3. Aufl. 1993, Bilanzpolitik, Sp. 231.
[4] Vgl. §§ 342 ff. HGB-RegE.

1.2 Ziele der Bilanzpolitik

1.2.1 Ziele im Rahmen der generellen Unternehmenspolitik

 

Rz. 3

Bilanzpolitik ist Bestandteil der Unternehmenspolitik. Sie stellt ein Instrument zur Realisierung der unternehmerischen Zielsetzungen dar. Deshalb verfügt bilanzpolitisches Agieren über keinen Selbstzweck, sondern Bilanzpolitik ist vielmehr ein Mittel, um übergeordnete Ziele zu erreichen.[1] In den meisten Fällen ist die Bilanzpolitik ein Instrument betrieblicher Teilpolitiken, hierbei stehen traditionell die Finanzierungs-, Steuer- und Publizitätspolitik im Mittelpunkt.[2] Vor dem Hintergrund der in jüngerer Zeit hinzukommenden Wertstrategien kann die Bilanzpolitik insbesondere auch der Verfolgung von Shareholder Value- bzw. Wertstrategien des Unternehmens dienen. In diesem Rahmen sind für die Bilanzpolitik selbst folgende Zielgruppen zu nennen:[3]

  • finanzpolitische Ziele, insbesondere Beeinflussung der Gewinnausschüttungen an die Anteilseigner und Verbesserung der extern eingeschätzten Kreditwürdigkeit durch Beeinflussung von Bilanzkennzahlen;
  • steuerpolitische Ziele, insbesondere durch Verschiebung und ggfs. auch Verringerung der Steuerbelastung;

  • informationspolitische Ziele durch Beeinflussung der Verhaltensweisen der Bilanzadressaten zugunsten des Unternehmens.

 

Rz. 4

Die Bilanzpolitik hat die Aufgabe, das sich aus der Buchführung ergebende "Rohmaterial" eines Jahresabschlusses durch geeignete bilanzpolitische Instrumente im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten derart aufzubereiten, dass die vom Unternehmen gewünschten oder beabsichtigten Schlussfolgerungen möglichst durch den Analysten gezogen werden.[4] Dabei können die vom Unternehmen bzw. Konzern gewünschten oder beabsichtigten Schlussfolgerungen sowohl die Darstellung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage als auch die gezielte Darstellung eines besseren bzw. schlechteren Bildes im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen einschließen.[5] In grafischer Darstellung verdeutlicht das in Abbildung 1 dargestellte Portfolio die generellen Möglichkeiten bzw. Strategien der Bilanzpolitik:

Abb. 1: Allgemeine Strategien der Bilanzpolitik

Beispielsweise sollen durch ein – im Vergleich zur Ist-Situation – positives Bild[6]

  • die Gläubiger veranlasst werden, ein Kreditengagement einzugehen, beizubehalten bzw. zu erweitern,
  • Anteilseigner überzeugt werden, Gesellschaftsanteile zu erwerben oder weiterhin zu halten,
  • Arbeitnehmer den Eindruck erhalten, dass ihre Arbeitsplätze und ihre Betriebsrente nicht gefährdet sind,
  • Kunden darauf vertrauen, dass die Unternehmensleistungen auch in Zukunft angeb...

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