Rz. 39

Aus ökonomischer Sicht ist der Einsatz von Sachverhaltsgestaltungen als Mittel der Bilanzpolitik aus folgenden Gründen nicht unproblematisch:

  • Insbesondere die vorübergehenden Maßnahmen, die nach dem Bilanzstichtag wieder rückgängig gemacht werden, weisen zumindest vom Resultat her betrachtet eine gefährliche Nähe zu "rückwirkend vereinbarten Geschäften" auf. Die für Geschäftsfälle vorauszusetzende Ernsthaftigkeit der angestrebten Realisierung ist in Zweifel zu ziehen, wenn unmittelbar nach dem Bilanzstichtag die unmittelbar vor dem Bilanzstichtag vorgenommene Gestaltung aufgehoben wird.
  • Ebenso kritisch sind auch dauerhaft vorgenommene "ergebniswirksame Neubewertungen" von Vermögensgegenständen zu sehen, die nur durch Einschaltung von Tochterunternehmen vorgenommen werden können, z. B. durch Veräußerung von Vermögensgegenständen (insbesondere Immobilien oder immaterielle Vermögenswerte) des Mutterunternehmens an ein Tochterunternehmen unter Aufdeckung darin enthaltener stiller Reserven und anschließendem Rückerwerb durch das Mutterunternehmen zu entsprechend höheren Zeitwerten.
  • Eine Reihe von Sachverhaltsgestaltungen führt selbst zunächst noch nicht oder nur teilweise zur anvisierten Wirkung auf das Jahresergebnis. Die Sachverhaltsgestaltungen zielen hier darauf ab, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Bilanzierungs- oder Bewertungsalternativen zu schaffen. Z. B. ermöglicht die beschleunigte Beschaffung bestimmter Rohstoffe die Ausnutzung des Bewertungswahlrechts "Verbrauchsfolgeverfahren" oder die beschleunigte oder verzögerte Fertigstellung von Anlagegegenständen die Ausnutzung von temporär eingeführten Sonderabschreibungen oder erhöhten Abschreibungen[1]. Man kann die Reihenfolge der Maßnahmen aber auch umgekehrt sehen, wenn man vom Vorhandensein eines unternehmensindividuellen Systems von Regeln für die Bilanzierung und Bewertung ausgeht: Bei dieser Betrachtungsweise schafft die Festlegung des Bilanzierungs- und Bewertungssystems die Voraussetzungen für einen wirksamen Einsatz von Sachverhaltsgestaltungen. Eine solche Kombination bilanzpolitischer Instrumente bietet sich gerade im Hinblick auf den gesetzlichen Stetigkeitsgrundsatz an: Ein vorgegebenes, aber flexibles Bewertungssystem kann mithilfe entsprechender Sachverhaltsgestaltungen zur effektvollen Beeinflussung des Jahresergebnisses sowohl nach "oben" als auch nach "unten" eingesetzt werden (vgl. Rz. 77–94).
  • Die Effizienz der Sachverhaltsgestaltungen ist insbesondere dann äußerst kritisch zu sehen, wenn für die Sachverhaltsgestaltungen wirkliche nicht bilanzielle Gründe fehlen. Nur bilanzpolitisch motivierte Sachverhaltsgestaltungen lösen Mehrkosten (oder Mindererträge) aus, wenn die durch sie bedingten Änderungen des Mengengerüsts der betrieblichen Geschäftsvorfälle Abweichungen vom sich sonst ergebenden betriebswirtschaftlichen Optimum darstellen. Die beschleunigte Beschaffung oder Fertigstellung von Anlagegütern vor dem Bilanzstichtag aus Abschreibungsgründen z. B. führt u. U. zu Verteuerungen (Schnellbaukosten). Eine Aufdeckung stiller Reserven in Vermögensgegenständen bei Veräußerung an Tochterunternehmen mit anschließendem Rückerwerb durch das Mutterunternehmen löst im Regelfall Ertragsteuern und ggfs. auch GrESt aus. Die Verschiebung von Reparaturen hat eventuell zur Folge, dass Betriebsstörungen eintreten. Dem stehen die erhofften Vorteile aus der Verwirklichung des bilanzpolitischen Ziels gegenüber. Diese Vorteile sind oft kaum oder gar nicht quantifizierbar, z. B. bei den informationsbezogenen Zielen der Bilanzpolitik, was das Entscheidungskalkül, ob eine bestimmte Sachverhaltsgestaltung sich lohne, besonders schwer macht. Gegebenenfalls lassen sich die angestrebten Ziele auch durch andere, "billigere" bilanzpolitische Maßnahmen erreichen, z. B. durch Ausnutzung von Bewertungsalternativen. Solche Maßnahmen wären dann unter Kostengesichtspunkten vorzuziehen. Andererseits zeichnen sich sachverhaltsgestaltende Maßnahmen – im Gegensatz zu Bewertungsmaßnahmen – vielfach durch eine besonders flexible Handhabung und durch mangelnde Erkennbarkeit für Externe aus; dies erhöht ihren Wert als bilanzpolitisches Instrument. Bei dieser Abwägung spielt auch die Unternehmensgröße eine gewisse Rolle, da insbesondere kleine Kapitalgesellschaften eine Reihe von Aufstellungs- und Offenlegungserleichterungen für Bilanz, GuV-Rechnung und Anhang in Anspruch nehmen können, was die Erkennbarkeit von Bilanzierungs- und Bewertungsmaßnahmen aus dem offengelegten Jahresabschluss erschwert.
[1] Hierzu zählt beispielsweise auch die in § 7 Abs. 2 EStG befristet zugelassene degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, sofern diese nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt worden sind.

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