Rz. 82

Der Datenzugriff eröffnet eine erleichterte Durchführung statistischer Testverfahren, um Manipulationen insbesondere der Kassenbuchführung aufzudecken und die Vermutung der sachlichen Richtigkeit zu widerlegen. Das "Benford’sche Gesetz" besagt, dass Ziffern und Ziffernfolgen in einer Datenmenge einer bestimmten Häufigkeitsverteilung folgen. Wird dieses Muster bei den zu prüfenden Datensätzen nicht eingehalten, kann dies Anlass für weitere Prüfungsschritte sein. Zur Beurteilung einer vom "Benford’schen Gesetz" abweichenden Verteilung kann der Chi-Quadrat-Test herangezogen werden.[1] Sofern dem Prüfer beim Datenzugriff die steuerlich relevanten Daten auf einem Datenträger überlassen werden, kann er die gesamten Kassentageseinnahmen (Tageslosungen) in das Analyseprogramm IDEA einlesen und eine Ziffernanalyse mithilfe des Chi-Quadrat-Tests (Chi2-Test) durchführen. Dieses von der statistischen Testtheorie einwickelte Verfahren[2] wendet die niederländische Finanzverwaltung bereits standardmäßig an.

 

Rz. 83

Der Chi2-Test geht davon aus, dass derjenige, der falsche Zahlen in sein Kassenbuch einträgt, unbewusst seine Lieblingszahl häufiger verwendet, als dies nach Wahrscheinlichkeitsrechnungen der Fall ist. Der Test ermittelt die Anzahl bestimmter Ziffern – und zwar der letzten oder vorletzten vor dem Komma – und vergleicht die tatsächliche mit der nach der statistischen Wahrscheinlichkeit erwarteten Anzahl. Die angenommene Häufigkeit je Ziffer beträgt 10 %. Die Differenzen aus diesem Vergleich werden zum Quadrat genommen und die Summe aus diesen Quadraten durch die erwartete Verteilung der Ziffern geteilt. Liegt der ermittelte Wert über 30, handelt es sich mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 100 um eine systematische Manipulation der Zahlen.

 

Rz. 84

Auch bei einem Rechenwerk aus gezählten Werten wie den Tageseinnahmen und -ausgaben einer Barkasse ist auf den ersten Blick eine gleichmäßige Verteilung der Häufigkeit der einzelnen Ziffern zu erwarten. Indes hat die statistische Forschung entdeckt, dass das Dezimalzahlensystem zu unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Ziffern an den verschiedenen Stellen einer Zahl führt (Benford’sches Gesetz), sodass insbesondere die Ziffern 1 und 2 mit fast 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an der ersten Stelle einer Zahl auftreten. Aus diesem Grunde werden nicht die Anfangsziffern, sondern die Schlussziffern (Einer- oder Zehnerstelle) oder die Nachkommastellen mithilfe des Chi2-Tests analysiert. Neben der Einzelzifferanalyse kann auch über die Verteilung der Tageslosung (Tagessaldo) getestet werden, ob die Häufung identischer Zahlen, sog. Mehrfachlosungen, statistisch plausibel ist.

 

Rz. 85

Das FG Münster[3] hat im Fall einer Außenprüfung bei einem Gastwirt in einem Aussetzungsverfahren keinen Anlass gesehen, von den Hinzuschätzungen des FA abzuweichen. Es rechtfertigte die Schätzung im freilich summarischen Verfahren[4] mit folgenden Ausführungen: "Allein die Ergebnisse des Chi2-Tests zeigen, dass die Kasseneinnahmen für die Streitjahre offensichtlich nicht zutreffend aufgezeichnet wurden. Ergänzend zeigt jedoch schon eine bloße Ziffernüberprüfung offensichtlich unschlüssige Auffälligkeiten, die nur den Schluss (zulassen), dass die Zahlen frei erfunden wurden."

 

Rz. 86

 
Hinweis
  • In einer weiteren Entscheidung hat das FG Münster allerdings ausgeführt, dass ein Chi2-Test nur Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsmäßige Kassenbuchführung liefern kann. Er lässt aber keinen Rückschluss auf die Höhe der nicht in der Kasse erfassten Einnahmen zu. Die diesem Test zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsrechnungen können auch bei einem festgestellten Vermögenszuwachs einen Nachweis von Einnahmenmanipulationen nicht ersetzen. Dazu bedarf es im Regelfall entsprechender Erkenntnisse aus einer Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung. Der Chi-Quadrat-Test ist anders als die Vermögenszuwachsrechnung und Geldverkehrsrechnung keine bisher von der Rechtsprechung anerkannte Methode, um Einnahmemanipulationen zu belegen. Er kann diese beiden Verprobungsmethoden nicht ersetzen, da durch den Test nicht geklärt werden kann, ob Vermögenszuwächse aus versteuerten oder nicht versteuerten Einnahmen stammen.[5] Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung bleibt insoweit abzuwarten.
  • Ein weiteres Einsatzgebiet dieser mathematisch-statistischen Methoden sind neben der Verplausibilisierung von Kassenbucheintragungen die Aufzeichnungen von Fahrtenbüchern.[6]
[1] Vgl. zu Einzelheiten hinsichtlich des Benford’schen Gesetzes und des Chi-Quadrat-Tests im Rahmen steuerlicher Prüfungen Watrin/Struffert, DB 2006, S. 1748.
[2] Vgl. Bamberg/Baur, Statistik, 10. Aufl. 1998, Kapitel 14.8.
[3] Vgl. FG Münster, Beschluss v. 5.12.2002, 8 V 5774/02, PStR 2004 S. 24.

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